THEMEN DER ZEIT
Robert Koch (1843–1910): Begründer einer neuen Wissenschaft


Als Robert Koch am 29. April 1876 von Wollstein aus aufbrach, um zwei Kollegen der Breslauer Universität seine Milzbrandexperimente zu demonstrieren, konnte er nicht ahnen, dass sich sein Leben von nun an völlig verändern würde. Die Lebensmitte war bereits erreicht – und passiert war bisher in diesem Arztleben nichts Spektakuläres: Medizinstudium in Göttingen, Arzt am Allgemeinen Krankenhaus in Hamburg, wo Koch die Dramatik der ersten Choleraepidemie miterlebte, Landarzt und Anstaltsarzt in einer Nervenklinik in der Nähe von Hannover, Landarzt in der Mark Brandenburg und der Provinz Posen und schließlich Amtsarzt in derselben Gegend, nämlich in Wollstein. Einzig die Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg war für den jungen Militärarzt ein einschneidendes persönliches Ereignis gewesen; denn einerseits hatte er die Schrecken des Krieges kennengelernt, andererseits aber auch darüber räsonieren können, wo denn die Ursache für die explosionsartig steigende Zahl an Infektionen bei den verwundeten Soldaten liegen könnte.
Robert Koch (11. Dezember 1843 bis 27. Mai 1910) gilt als der
Begründer der modernen Bakteriologie und Klinischen Infektiologie
sowie zum Teil auch der Tropenmedizin. 1876 gelang es ihm, erstmals
den Erreger des Milzbrands in Kultur zu vermehren und dessen Rolle
bei der Entstehung der Krankheit nachzuweisen. 1882 entdeckte er
den Erreger der Tuberkulose und entwickelte später das Tuberkulin. Fotos: Wikipedia
Dass Koch als unbekannter Landarzt in Breslau von Ferdinand Julius Cohn, Professor für Botanik, und Julius Friedrich Cohnheim, Lehrstuhlinhaber für Pathologie, überaus freundlich empfangen wurde, mag aus heutiger Sicht wie eine glückliche Fügung erscheinen; denn nun konnte er Schritt für Schritt vor den Augen seiner Zuschauer die Experimente wiederholen, die er während der Wollsteiner Jahre durchgeführt hatte. Bei einer Maus, die gerade an Milzbrand gestorben war, präparierte er die Milz frei, gewann Blut aus dem Organ und inkubierte es mit Hilfe von Augenkammerwasser vom Kalb in diversen Kulturgefäßen. Schon 24 Stunden später konnte er zusammen mit Cohn und Cohnheim das Wachstum der Stäbchen beobachten und schließlich Haufen von Milzbrandsporen identifizieren. Dass er bei der Inokulation der Erreger bei anderen Tieren wiederum den Milzbrand reproduzieren konnte, führte am Ende zur Etablierung der Koch-Henle’ schen Postulate, die fast ein Jahrzehnt später von seinem Schüler Friedrich Loeffler so formuliert wurden:
„1. Es müssen constant in den local erkrankten Partien Organismen in typischer Anordnung nachgewiesen werden.
2. Die Organismen, welchen nach ihrem Verhalten zu den erkrankten Theilen eine Bedeutung für das Zustandekommen dieser Veränderungen beizulegen wäre, müssen isoliert und rein gezüchtet werden.
3. Mit den Reinculturen muss die Krankheit wieder erzeugt werden können.“
Alles andere, was Koch letztlich zum Mitbegründer einer neuen Wissenschaft – der Bakteriologie – machte, ergab sich fast zwangsläufig: Vor allem das umständliche Abzeichnen der unter dem Mikroskop sichtbaren Bakterienkulturen war der wissenschaftlichen Objektivität abträglich. Koch machte sich folgerichtig während der nächsten Monate daran, mit fotografischen Methoden zu experimentieren: Seine während dieser Jahre entstandenen Mikrofotografien zeugen noch heute von dem enormen Fleiß, mit dem der nun plötzlich bekanntgewordene Amtsarzt – nach wie vor in seinen eigenen, privaten Räumen – zu Werke ging. Im Gegensatz zu Ludvik Flecks Theorie von 1935 („Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“), wonach wissenschaftliche Ideen immer im Kollektiv reifen müssen, Wissenschaft mithin also kaum je etwas Individuelles ist, war Koch dabei immer noch auf sich allein gestellt und höchstens auf die Hilfe seiner Frau angewiesen, die ihn bei seinen fotografischen Arbeiten unterstützte.
Malariaexpedition
nach Neuguinea
1900: Robert Koch
(Mitte, stehend) mit
dem Gouverneur von
Deutsch-Neuguinea,
Rudolph von
Bennigsen. Foto: picture alliance
Nur ein Jahr später folgte mit der deutschen Choleraexpedition der nächste Paukenschlag. Wieder einmal hatte eine Cholerapandemie den Mittelmeerraum erreicht und bedrohte das europäische Festland. Da die französische Regierung bereits eine Choleraexpedition nach Ägypten entsandt hatte, wollten die Deutschen nicht zurückstehen und begannen ebenfalls eine Forschergruppe zusammenzustellen. Schließlich reisten Robert Koch und sein Adlatus Georg Gaffky in Begleitung des Chemikers Hermann Treskow und des Marinearztes Bernhard Fischer im August 1883 mit umfangreichem Gerät nach Alexandria, um den Erreger der Cholera zu identifizieren und Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse retteten fast zehn Jahre später während der verheerenden Choleraepidemie in Hamburg vielen Tausenden Menschen das Leben. Im Verlauf seiner monatelangen Choleraexpedition in Ägypten schuf Koch das Modell für die nun folgenden 25 Jahre: Dank der Globalisierung seiner Forschungsansätze, dank des Studiums der Erreger vor Ort während einer Epidemie und der Sammlung wissenschaftlicher Daten in Risikogebieten und der sich daran anschließenden Verlagerung der „Krankheit ins Labor“ – so der Medizinhistoriker Christoph Gradmann – gelang es ihm, eine Reihe weiterer Erreger zu identifizieren und Therapiekonzepte zu entwickeln.
Nachdem die französische Choleraexpedition gescheitert war und auch die deutschen Bemühungen zur Isolierung des Erregers erfolglos geblieben waren, trat Koch getreu seiner Lebensmaxime „nicht lockerlassen“ die Flucht nach vorn an. Sobald die Genehmigung der deutschen Regierung eingegangen war, machte er sich zusammen mit Fischer und Gaffky nach Kalkutta auf. In Anlehnung an den Briten John Snow, der bereits 30 Jahre zuvor erstmals epidemiologische Methoden bei der Infektionsforschung propagiert hatte, gelang es der kleinen deutschen Truppe in Indien endgültig, Choleravibrionen als Erreger der tödlichen Seuche zu identifizieren. Die Überlegung dabei war höchst einfach, denn die genaue Anamneseerhebung bei Cholerakranken hatte immer wieder eine enge Beziehung zwischen Wohnort, Hygienegewohnheiten und Cholera ergeben. Die „Tanks“, kleine Teiche, in denen man die Wäsche reinigte, badete und die zur Trinkwassergewinnung dienten, waren das Erregerreservoir – und damit konnte schließlich Anfang 1884 die Identifizierung des Choleraerregers bekanntgegeben werden.
Robert Koch am
Mikroskop in seinem
Laboratorium
in Kimberley in
Südafrika im Jahr
1896. Er hielt sich
von 1896 bis 1897
zur Erforschung
und Bekämpfung
der Rinderpest im
Süden Afrikas auf. Foto: dpa
Ohne sein neues Projekt mit den Mitarbeitern ausführlich zu diskutieren, war er in die Gewohnheiten seiner Wollsteiner Zeit zurückgefallen und hatte weitere Studien zur Pathogenese der Tuberkulose vorgenommen. Dabei hatte er das Tuberkulin entwickelt, ohne näher auf die Zusammensetzung dieses Stoffs einzugehen. Aus Mykobakterienlysaten hatte er eine Substanz gewonnen, von der er sich Fortschritte im Kampf gegen die Tuberkulose versprach. Während Kochs Mitarbeiter Emil Behring die Charakterisierung von Diphtherietoxin und -antitoxin vorantrieb, glaubte der Institutsdirektor, mit dem Tuberkulin ein ähnliches Prinzip entdeckt zu haben. Entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten – sorgfältige Dokumentation aller Laborversuche, Kontrollversuche über Kontrollversuche und bisweilen jahrelanges Experimentieren – ließ er sich dieses Mal von der Reichsregierung dazu überreden, sein noch nicht vollständig erforschtes und ausgereiftes Therapeutikum der Weltöffentlichkeit vorzustellen:
Während des 10. Internationalen Medizinischen Kongresses in Berlin, an dem nicht weniger als 5 500 Ärzte teilnahmen, gab er seine Entdeckung bekannt – und geriet dadurch in eine veritable persönliche (Scheitern seiner Ehe) wie wissenschaftliche Katastrophe: Zunächst schossen in Berlin die Privatkliniken, in denen Tuberkulosekranke mit dem neuen Therapeutikum behandelt wurden, wie Pilze aus dem Boden. Aus England reiste sogar Arthur Conan Doyle, selbst Mediziner und Sherlock-Holmes-Erfinder, an, um über die Ereignisse zu berichten. Doch schon nach wenigen Monaten machte sich überall Ernüchterung breit, die Menschen starben weiterhin an der Tuberkulose, und Robert Koch verschwand vorübergehend völlig von der Bildfläche. Fast zwei Jahrzehnte später feierte das Tuberkulin als Diagnostikum für den späteren Stempeltest eine glanzvolle Wiederauferstehung. Immerhin hatte Koch die Tuberkulinentdeckung noch rechtzeitig genutzt, um die Preußische Regierung um die Errichtung eines „Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten“ zu ersuchen – mit dem Ziel, in Zukunft verstärkt auf diesem Gebiet forschen zu können und dabei frei von Lehrverpflichtungen zu sein.
1891 konnte Koch nach diesen Misserfolgen nochmals einen neuen Anlauf nehmen – und er besann sich auf seine guten Erfahrungen mit der Globalisierung, die er in Ägypten und Indien gesammelt hatte. Nachdem er dem Institut eine zukunftsfähige Struktur gegeben hatte – Labors auf der einen und Krankenstationen auf der anderen Seite – widmete er sich wieder den exotischen Infektionserregern. 1896 folgte eine Expedition ins heutige Simbabwe, wo neben der Schlafkrankheit die Rinderpest wütete. Er studierte die Krankheit (von der er nicht wissen konnte, dass sie durch ein Virus hervorgerufen wird) und versuchte, einen Impfstoff zu entwickeln. 1897 traf er in Bombay ein, nachdem man ihn in Afrika alarmiert und um Mitarbeit bei der Bekämpfung der Pest in Indien gebeten hatte. Während er dort noch tätig war, war die Seuche auch in Ostafrika ausgebrochen, was Koch und seine zweite – 30 Jahre jüngere – Frau veranlasste, sofort wieder in die deutsche Kolonie zurückzukehren. Erst viele Monate später war er wieder in Berlin, um sich seinem Institut zu widmen. Anschließend untersuchte er die Malaria in Italien, Neuguinea und wiederum in Italien sowie das Küstenfieber in Südafrika. Ab 1904 folgten zunächst Georg Gaffky und später Friedrich Loeffler als Präsidenten des Instituts und Koch konzentrierte sich als Emeritus ganz auf seine wissenschaftlichen Hobbys, beschäftigte sich am Victoriasee mit der Bekämpfung der Schlafkrankheit, wobei er das von seinem Schüler Paul Ehrlich entwickelte Atoxyl erfolgreich einsetzte, und unterbrach seinen Aufenthalt nur, um 1905 den Nobelpreis für Medizin entgegenzunehmen, mit dem vier Jahre zuvor bereits sein Schüler Emil von Behring ausgezeichnet worden war und den drei Jahre später auch sein Mitarbeiter Paul Ehrlich bekommen sollte. Trotz seiner sich ständig verschlimmernden koronaren Herzkrankheit wollte er vom Reisen nicht lassen, besuchte Japan und die USA und gönnte sich erst ab Frühjahr 1910 einen Sanatoriumsaufenthalt. Ähnlich wie sein Arztkollege Anton Tschechow, der 1904 in Badenweiler an einem Herzinfarkt verstorben war, ging auch Robert Kochs Leben im Schwarzwald zu Ende: Am 27. Mai 1910 starb der berühmte Bakterienforscher in einem Baden-Badener Sanatorium.
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Friedrich Hofmann
Lehrstuhl für Arbeitsphysiologie,
Arbeitsmedizin und Infektionsschutz, Bergische Universität Wuppertal, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut
Hummel, Lutz
Klimm, Rolf
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