ArchivDeutsches Ärzteblatt37/1997Arzneimittel-Richtgrößen: Genügend Spielraum für alle

POLITIK: Leitartikel

Arzneimittel-Richtgrößen: Genügend Spielraum für alle

Glöser, Sabine

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LNSLNS Von 1998 an werden die kollektiven Arzneimittelbudgets durch arztgruppenspezifische Richtgrößen abgelöst. Für die rund 110 000 Kassenärzte bedeutet dies: Die kollektive Haftung für das Überschreiten einer nicht kontrollierbaren Budgetobergrenze entfällt. Allerdings: Die jetzt auf Bundesebene vereinbarte Empfehlung läßt vieles zu - sogar die vorübergehende Beibehaltung der Budgets, falls von den Kassenärztlichen Vereinigungen gewünscht.
Nach harten Verhandlungen haben sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Spitzenverbände der Krankenkassen nun auf eine Empfehlung für Arzneimittel-Richtgrößen geeinigt. Das "HeckenschnittInstrument" Budget ist damit grundsätzlich vom Tisch. In den Jahren der Arzneimittelbudgetierung hatten die Krankenkassen alle Vorteile auf ihrer Seite. Die strikte Deckelung garantierte eine Ausgabenobergrenze. Für Überschreitungen mußten alle Vertragsärzte geradestehen - unabhängig vom individuellen Verordnungsverhalten.
Eine grundlegende Änderung sieht das am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getretene 2. GKV-Neuordnungsgesetz vor: Die kollektiven Arzneimittelbudgets müssen durch Richtgrößen abgelöst werden. Dennoch haben die Spitzenverbände der Krankenkassen hartnäckig versucht, prinzipiell am Budget festzuhalten. Letztlich vergebens. Von Januar 1998 an können arztgruppenspezifische Arzneimittel-Richtgrößen festgelegt werden - ein Erfolg aus Sicht der KBV.
Die Empfehlung regelt lediglich die Rahmenbedingungen für regionale Richtgrößenverträge zwischen KVen und Kassen. Ihr Verbindlichkeitsgrad ist deshalb eher gering. Wollen einzelne KVen das Budget beibehalten - wenn auch vom Gesetzgeber anders beabsichtigt -, können sie dies im Einvernehmen mit den Kassen vorübergehend tun. Auf diese Möglichkeit werden vornehmlich die KVen zurückgreifen, bei denen es bisher nicht zu Budgetüberschreitungen gekommen ist. Die überwiegende Mehrheit wird sich jedoch für Richtgrößen entscheiden.
Die Empfehlung sieht vor, für alle Kassenarten einheitliche Richtgrößen festzulegen. Differenziert werden soll nach Altersgruppen. Die Richtgrößen werden auf der Basis der Bruttoausgaben festgelegt und beziehen sich auf die Fälle und Ausgaben eines Kalenderjahres. Von der Richtgrößenbildung werden Wirkstoffe ausgenommen, bei denen keine Anhaltspunkte für eine unwirtschaftliche Anwendung außerhalb der zugelassenen Indikation oder für eine Mengenausweitung bestehen.
Ziel: Differenzierung nach Indikationen
KBV und Krankenkassen planen, "alsbald zu Richtgrößenregelungen zu kommen, die bei Arzneimitteln nach Indikationsgebieten oder Stoffgruppen gegliedert sind". Aus datentechnischen Gründen ist dies zur Zeit nicht realisierbar. Daher sollen zunächst am durchschnittlichen Fallkostenwert orientierte Richtgrößen vereinbart werden: Als Berechnungsgrundlage für die Ermittlung der Richtgrößen für das Jahr 1998 dient die weiterentwickelte Ausgabenobergrenze des Jahres 1997. Der Ausgabenanteil der jeweiligen Arztgruppe wird durch die Zahl der Behandlungsfälle geteilt. Daraus ergibt sich die arztgruppenspezifische Richtgröße für die Verordnungskosten pro Fall.
Um sein Verordnungsverhalten aber wirksam überprüfen und steuern zu können, braucht der Arzt zeitnahe Informationen über seine tatsächlichen Arzneiverordnungskosten. Diese sollen die Krankenkassen an die KVen liefern - der Empfehlung zufolge spätestens sechs Wochen nach Quartalsende.
Nach Abschluß des Kalenderjahres folgt die Endabrechnung: Die KV stellt die tatsächlichen Ausgaben den Richtgrößen gegenüber. Sollte ein Arzt seine Richtgröße aufs Jahr bezogen überschritten haben, kommt es zur Wirtschaftlichkeitsprüfung. Dabei werden die besonderen Versorgungsverhältnisse einer Praxis, die einen erhöhten Versorgungsaufwand rechtfertigen, berücksichtigt. Ein Regreß wird nur dann fällig, wenn der Arzt die Mehrverordnungen nicht medizinisch begründen kann. Für die Kassen bedeutet dies: sie tragen wieder einen Teil des Morbiditätsrisikos. Zu Recht, denn sie zahlen für medizinisch Notwendiges. Der Vertragsarzt muß im Falle eines Regresses nur für die Nettokosten aufkommen. Die gesetzlichen Zuzahlungen und der Apothekenrabatt werden von den Bruttokosten abgezogen. Die Empfehlung wird mit Erläuterungen der KBV in einer der nächsten Ausgaben des Deutschen Ärzteblattes veröffentlicht. Dr. Sabine Glöser

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