THEMEN DER ZEIT
Robert Schumann (8. Juni 1810 bis 29. Juli 1856): Abgeschoben ins Irrenhaus
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Den Geburtstag unseres Geliebten wußt’ ich nicht“, steht vieldeutig andeutend in der Mittelzeile von Schumanns allerletztem Brief an seine Frau Clara. Der so Geliebte war Johannes Brahms. Den Brief schrieb Schumann am 5. Mai 1855 als Patient der privaten Irrenanstalt von Dr. Richarz in Bonn-Endenich. Mit diesen Zeilen brach Schumann den Kontakt zu seiner Frau ab. Fortan kam er niemals mehr einer Aufforderung nach, ihr zu schreiben.
Robert Schumanns rätselvolle Krankheit hat die Psychiater seit seinem einsamen Tod so sehr beschäftigt wie kaum eine andere bei einer historischen Persönlichkeit. Er war schon 1864 bei Cesare Lombroso ein Musterbeispiel für die Nähe von „Genie und Wahnsinn“ und ist es bis in die Gegenwart geblieben. Er galt auch als Prototyp für eine bipolare Störung, für „Melancholie und Kreativität“ überhaupt. Musikwissenschaftler diagnostizierten bei ihm eine Syphilis und machten in seinem musikalischen Werk frühe Zeichen davon aus.
Zu seinem 200. Geburtstag kann nun nach Auswertung alter und vieler neuer Quellen belegt werden, dass keine dieser Diagnosen zutreffend ist. Zutreffend ist nur eine Diagnose: Schumann war nicht geisteskrank. Aus psychiatrischer Sicht war Schumann ein Problemtrinker, was stets vertuscht worden war, auch von seiner Frau. Im Februar 1854 hatte er schließlich ein mehrtägiges Alkoholdelir durchgemacht. Seine beiden Ärzte hatten das jedoch als dauerhafte Geisteskrankheit fehlgedeutet, obwohl das Krankheitsbild damals gut bekannt war und es sogar Spezialisten für eine Therapie gab. So kam ein Stein ins Rollen, den Schumann nicht mehr stoppen konnte, so sehr er sich auch bemühte.
Diese hatte es am 3. Mai 1855 in einem Brief an den behandelnden Arzt endgültig abgelehnt, ihren Mann nach Hause kommen zu lassen. Tags darauf, am 4. Mai, drohte Schumann seinem Arzt, von dem er unentwegt forderte, ihm seine Freiheit zu geben, er werde sich einen Anwalt nehmen. Was Schumann übrigens gar nicht konnte, da er unter Briefzensur stand. Einen Tag später, am 5. Mai, schrieb er den zitierten letzten Brief. Noch einen Tag später, am 6. Mai, sprach er dem Arzt gegenüber von den „Verfolgungen des bösen Weibes“. Diese empfing den Brief am 7. Mai, als sie in Schumanns Wohnung mit dem jetzt 22-jährigen Johannes Brahms groß dessen Geburtstag feierte – „noch keinen so heitern Tag“ verlebte (Tagebuch).
Von da an ging es mit Schumann abwärts – seelisch und körperlich. Seine Bemühungen um Befreiung gab er notgedrungen auf. Damit endete eine der steilsten Künstlerkarrieren des Jahrhunderts. In einem Beziehungsdrama, in Einsamkeit, Verlassenheit und Gefangenschaft endete auch eine der bekanntesten Liebesbeziehungen des Jahrhunderts. Schumanns ganze Lebensgeschichte, wie auch die seiner Frau, muss nunmehr neu geschrieben werden.
Clara Wieck war zwölf Jahre alt, Robert Schumann war 21 Jahre, als sich beide kennenlernten und im Hause Wieck ständig miteinander in Kontakt waren. Robert schrieb seine ersten Kompositionen, Clara war schon eine bekannte, fast nicht mehr kindliche Klaviervirtuosin. Die frühreife Clara machte sich bald an den herzensweichen berufslosen Romantiker heran und begann damit den Lösungsprozess von ihrem übermächtigen Vater, Mentor und Klavierlehrer. Am Tag vor ihrem 21. Geburtstag konnte schließlich geheiratet werden.
Vor der Hochzeit schrieben beide in Briefen, was sie von der Ehe erwarteten. Clara wollte, dass er beständig arbeitet, schreibt und komponiert und dass er vor allem auf Alkohol verzichtet. Er musste es ihr schwören, hielt den Eid später aber nicht. Robert wollte, dass Clara ihre Karriere aufgab, den Haushalt für ihn führte und ihm auf dem Kla-vier vorspielte. So begann die Ehe.
Clara wurde nach drei Monaten schwanger, in etwas mehr als 13 Ehejahren wurden es acht Geburten und eine Fehlgeburt. Robert komponierte unentwegt, obwohl ihm die klassische Musikerausbildung fehlte und er Autodidakt war. Clara konnte in diesen Jahren ihren Beruf nur äußerst beschränkt ausüben.
Die Lösung aller Probleme schien zu kommen, als Robert durch Vermittlung seines Freundes Ferdinand Hiller die Stelle eines Musikdirektors in Düsseldorf erhielt. Die Düsseldorfer waren begeistert, weil sie zwei berühmte Musiker zum Preis von einem erhielten. Clara konnte wieder aufblühen und Konzerte geben. Der Job war gut bezahlt und mit hohem Ansehen verbunden. Leider war Schumann jedoch als Orchesterdirigent, Chorleiter und Musikdirektor eine Fehlbesetzung. Er kam mit dieser Aufgabe fachlich nicht zurecht – aber auch aufgrund seiner stillen, zurückhaltenden Veranlagung. Musiker und Chor begannen erst zu murren und dann zu mobben.
Clara Schumann: Sicher ist, dass sie ihren
Mann am Rosenmontag für immer verließ
und die Kinder mitnahm. Foto: picture allliance-akg
Nur ein paar Wochen verlief das Leben in diesem Schwebezustand, dann brach in der Karnevalszeit das Alkoholdelir aus, das lange Zeit für eine Geisteskrankheit gehalten wurde. Um diese Tage im Februar 1854 bildete sich damals fast augenblicklich eine Legende, die mit einigen Varianten bis in die Gegenwart fortgesponnen worden ist. Selbst der berühmte Sprung in den kalten Rhein in suizidaler Absicht und die Heimkehr inmitten fröhlicher Karnevalisten haben wohl überhaupt nicht stattgefunden. Einen Straßenkarneval gab es an diesem Tag in Düsseldorf überhaupt nicht. Clara selbst hat von einem Suizidversuch nichts bemerkt. Sicher ist nur, dass Clara ihren Mann an diesem Rosenmontag für immer verließ und alle Kinder mitnahm.
Es folgte am 4. März 1854 der Abtransport nach Endenich, 70 Kilometer in einem Pferdewagen und unter Bewachung, Schumanns letzte Reise. „Abends um sechs Uhr fuhr ich mit der Mutter nach Haus“, schrieb Clara später in ihr Tagebuch. Bald war Johannes Brahms ständig bei ihr.
Schumanns zwei Jahre und vier Monate in Endenich kann man in drei Perioden einteilen. Die erste im Sommer 1854 wird vor allem geprägt durch Ausruhen, Schlafen, Lesen und zahlreiche Spaziergängen zu allen Sehenswürdigkeiten im Bereich von Bonn. Diese Gelassenheit wird allerdings vorübergehend durch unruhige Tage unterbrochen, als Schumanns Hausarzt und langjähriger Freund, Dr. Hasenclever, in die Irrenanstalt kommt, dort aber nur seinen Kollegen Richarz besucht und Schumann, der auf ihn wartet, nicht einmal einen Gruß bestellen lässt. Auch sonst bleiben Nachrichten von der Familie völlig aus. Als Sonntag, den 11. Juni 1854 sein Sohn Felix geboren wird, erfährt der Vater nichts davon. Clara hat immer behauptet, die Ärzte hätten ihr einen Besuch nicht erlaubt und seien für die Kontaktsperre verantwortlich. Das stimmt aber nicht, es gibt weder direkte noch indirekte Beweise dafür. Sie hätte zu jeder Zeit Zutritt gehabt.
Schumanns zweite Endenicher Phase beginnt im Spätherbst 1854. Von da an wünscht und fordert er mit zunehmender Eindringlichkeit und Häufigkeit die Heimkehr nach Hause. Er schreibt viele klare und schöne Briefe und versucht auf vielerlei Weise, seine Geistesgesundheit zu beweisen. Denn für Richarz gilt ein Patient so lange als geisteskrank, als dessen Geistesgesundheit nicht unumstößlich bewiesen ist. Das hat er in neu erschlossenen medizinischen Schriften öffentlich bekanntgemacht, welche von damaligen psychiatrischen Koryphäen ebenso öffentlich scharf kritisiert wurden. Schumann hatte das wohl zumindest intuitiv verstanden. Einen Höhepunkt erreichten diese Bemühungen, als die berühmte Dichterin Bettina von Arnim nach Endenich kam und Schumann besuchte. Sie ist der einzige Mensch, der von Clara jemals die Erlaubnis erhielt, Schumann zu besuchen, wenn man von ihren beiden engsten Gefolgsleuten, Johannes Brahms und Joseph Joachim, absieht. Der Erfolg war eklatant, Schumann fehle nichts als die Freiheit und seine Familie, das war Bettina von Arnims Urteil. Aber auch diese Bemühungen endeten mit einer Absage, was zu dem letzten Brief Schumanns an seine Frau führte, mit welchem dieser Bericht begonnen hatte.
Die dritte und letzte Phase von Schumanns Aufenthalt in Endenich ist von vollständiger Einsamkeit, Verlassenheit, Aussichtslosigkeit und dem Ende seiner Versuche geprägt, die Freiheit wiederzuerlangen. Er verfällt nach und nach auch körperlich, isst immer weniger, Hungerödeme stellen sich ein, schließlich kommt die finale Pneumonie.
Johannes Brahms: Schon bald nach Schumanns
Einlieferung in die Nervenheilanstalt
intensivierte sich die Beziehung zu Clara. Foto: Wikipedia
Warum es erst nach 150 Jahren zu dieser Interpretation der Ereignisse kommt? Es gab offenbar eine stillschweigende Interessengemeinschaft zwischen Dr. Richarz und Clara Schumann, zusammen besaßen sie ein Informationsmonopol, da alle Quellen in ihren Händen waren. Richarz war an Geld und Teilhabe am Ruhm interessiert, Clara vollzog letztlich eine nicht öffentlich als solche erkennbare Trennung von ihrem Ehemann. Solange Schumann lebte, stellte Richarz keine Diagnose und bestritt vor allem energisch, dass es eine Syphilis sein konnte. In der Tat verliefen alle seine Tests (Sprachartikulation, Pupillenreaktion) negativ und wurden auch so notiert. Aber bereits zwei Monate nach Schumanns Tod machte er die Syphilisdiagnose öffentlich bekannt und berief sich fälschlich auf sein Obduktionsergebnis, dessen Wortlaut erst 1986 veröffentlicht wurde. In den letzten beiden Jahrzehnten sind sehr viele neue Quellen zu Schumann zugänglich geworden, darunter das tägliche Krankenjournal, eine Art Verlaufsbericht, wenngleich es keine eigentliche Krankheitsgeschichte gibt. Weitere wichtige Quellen konnte ich selbst aufspüren. Aus zahllosen Mosaiksteinchen ließ sich schließlich ein neues authentisches Bild zusammensetzen.
Die Interpretation Schumann’- scher Kompositionen ist zu überdenken und zu korrigieren, wie sich aus Gesprächen mit bedeutenden Musikern ergeben hat. Gestützt auf medizinische Diagnosen hat man in Schumanns Werk scheinbare Regelwidrigkeiten als Ausfluss eines kranken Geistes angesehen. In Wahrheit fehlten Schumann als Autodidakten viele Kenntnisse des klassisch ausgebildeten Musikers, so dass er sich seine Regeln erst neu erschaffen musste. Schumann erfand seine Musik nicht am Klavier, das er nie vollkommen zu spielen lernte, sondern am Schreibpult auf dem Papier.
Das öffentliche Bild von der Beziehung zwischen Clara und Robert, das so lange durch das Image beherrscht worden ist, welches Clara Schumann ihr – auch als PR-Frau perfekt – zu geben wusste, kann geändert werden. Nicht mehr das große Liebespaar mit Treue bis in den Tod ist dann zu feiern. Sondern wir erleben ein erstes Ehepaar, wo jeder Partner um das Vorrecht kämpft, seine Karriere durchzusetzen. Doch welche Mittel sind da noch erlaubt?
Schumanns Ende in Endenich war nicht so romantisch, wie man es gern hätte, sondern tragisch. Er ist nicht in geistiger Umnachtung gestorben, wie bisher angenommen, sondern bewusst und wissend um alles. Im Fall Schumann liefert somit die Medizin der Kultur ein neues Schumann-Bild. Wird sie es annehmen? Noch lange nicht ist sicher, ob sich nicht doch in den Vorstellungen der Menschen die romantische Legende gegenüber authentischer Berichterstattung als die stärkere erweist.
Prof. Dr. med. Uwe Henrik Peters
Emer. Direktor der Klinik für Neurologie
und Psychiatrie-Psychotherapie an der
Universität zu Köln
Bücher des Autors zum Thema
Peters, Uwe Henrik: Robert Schumann – 13 Tage bis Endenich. Köln: ANA Publishers 2009.
Peters, Uwe Henrik: Gefangen in Irrenhaus – Robert Schumann. Köln: ANA Publishers 2010.
Peters, Caroline, und Peters, Uwe Henrik: O’ könnt’ ich Euch noch einmal sehen. Robert und Clara Schumann – Anfang und Ende einer Ehe. Köln: ANA Publishers 2010; auch als Hörbuch erhältlich.
Robert Schumann
Nach den Beiträgen von Ulrich Skubella (DÄ, Heft 40/1999) und Caspar Franzen (DÄ, Heft 30/2006) ein weiterer Beitrag im Deutschen Ärzteblatt zur Deutung der Krankengeschichte von Robert Schumann. Dieser gilt als ein bedeutender Vertreter der deutschen Romantik. Die geplante Laufbahn als Pianist musste er wegen Schädigung einer Hand nach Überbeanspruchung aufgeben. Schumann begründete 1834 mit Wieck, Schunke und Knorr die „Neue Zeitschrift für Musik“. 1843 war Schumann für kurze Zeit Lehrer am neu gegründeten Konservatorium in Leipzig. Er begleitete seine Gattin Clara Schumann, eine europaweit bekannte Pianistin, auf Konzerttournee.
1844 zerschlug sich Schumanns Hoffnung, Nachfolger von Mendelssohn-Bartholdy am Leipziger Gewandhaus zu werden. Schumann zog daraufhin mit seiner Familie nach Dresden. Erfolg war ihm zu der Zeit nicht beschieden. Einige Bemühungen, eine Festanstellung an einem Konzert- oder Opernhaus in Sachsen zu erhalten, scheiterten. Im Dezember 1849 erhielt Schumann das Angebot, die Nachfolge von Ferdinand Hiller als Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf anzutreten.
Nauhaus, Gerd
Payk, Theo R.