POLITIK: Das Interview
Interview mit Prof. Dr. med. Peter Sawicki, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen: „Wir haben uns immer festgelegt!“
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Peter T. Sawicki
(53) ist Internist und
Diabetologe. Bevor er
2004 die Leitung des
Instituts für Qualität
und Wirtschaftlichkeit
im Gesundheitswesen
(IQWiG) übernahm,
war er Direktor der
Abteilung für Innere
Medizin am St.-Franziskus-
Hospital in
Köln. Fotos: Eberhard Hahne
Sawicki: Meine Aufgabe war es, das Institut aufzubauen. Das ist gelungen. Und es ist hoch anerkannt – aus politischen Gründen allerdings eher im Ausland als in Deutschland.
Wo lagen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
Sawicki: Das Wichtigste war, dass wir eine Methodik entwickelt haben: die systematische Recherche und eine nachvollziehbare Bewertung des patientenrelevanten Nutzens. 40 Prozent unserer Berichte befassen sich mit Arzneimitteln. Wir haben auch viele Leitlinien und nichtmedikamentöse Verfahren bewertet.
Als Sie Ihre Methodik vorgestellt haben, stießen Sie auf viel Gegenwind vor allem aus der Pharmaindustrie. Ist der Wind inzwischen abgeebbt?
Sawicki: Nein. Der Wind ist nur anders. Wir haben es hier mit einem Grundkonflikt zu tun, den man nicht durch Gespräche auflösen kann: Die Pharmaindustrie strebt nach Gewinnmaximierung. Die ist aber nur dann möglich, wenn man bestimmte Dinge, die nicht so nützlich sind, als nützlich bezeichnet – und dafür braucht man eine Beliebigkeit der Methoden. Und wir sind nicht für Beliebigkeit zu haben.
Welchen Stellenwert hat das Institut inzwischen in der gesundheitspolitischen Landschaft?
Sawicki: Es ist nicht mehr wegzudenken. Niemand, auch nicht der schärfste Kritiker, fordert, dass es abgeschafft wird, sondern nur, dass es anders arbeiten soll. Das Problem ist: Je valider, je unabhängiger und je stringenter die Methodik, desto weniger frei kann die Politik hinterher die Ergebnisse interpretieren.
Allerdings haben die verschiedenen Bänke im Gemeinsamen Bundesauschuss noch nicht verstanden, dass unsere Empfehlungen nur ein Teil ihrer Entscheidungsgrundlage sind und keine Negativbewertung der einen oder der anderen Partei. Wir sagen: Das weiß man, und das weiß man nicht. Und das ist nicht verhandelbar. In der Wissenschaft geht es nicht wie in der Politik nach Mehrheiten. Wir können nicht darüber abstimmen, ob ein bestimmtes Medikament wirkt oder nicht.
Im Grunde plädieren Sie für eine Rollenteilung: Sie bewerten, und die anderen entscheiden.
Sawicki: Richtig. Wir stellen dar, was man weiß. Was man politisch dann daraus macht, ist etwas anderes. Man kann auch sagen: „Diese Metaanalyse interessiert uns jetzt nicht.“ Sehr schön hat das der ehemalige Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium, Franz Knieps, sinngemäß gesagt: „Wenn Mütter mit Kindern auf dem Arm vorm Ministerium stehen und Fernsehkameras sind dabei, dann interessiert keine Wissenschaft.“
Ähnliche Reaktionen würden Sie ja provozieren, wenn Sie zum Beispiel in die Bewertung von Krebsmedikamenten einsteigen . . .
Sawicki:Sicher. Wir brauchen dafür eine Akzeptanz in der Bevölkerung. Aber wenn wir gute Medizin wollen, die langfristig bezahlbar bleibt, müssen wir anfangen, uns die Sachen vernünftig anzuschauen und nicht polemisch. Für mich stand immer an erster Stelle eine gute Qualität des Gesundheitswesens. Denn ein Krebspräparat, das vielleicht nur ein paar Tage Lebensverlängerung bringt, in besonderen Studien, die nicht mal gut sind, hat auch Nebenwirkungen. Es ist unter Umständen sogar schlecht für den Menschen.
Umstritten: Sawickis
Vertrag läuft im
September aus. Offiziell
stolperte er
über eine „Dienstwagenaffäre“.
Kritiker
halten das für
vorgeschoben und
wittern politische
Einflussnahme.
Sind die Kassen hier gefordert?
Sawicki: Ja, denn die Studien der Industrie sind nie objektiv. Therapien, auch die nichtmedikamentösen, muss man objektiv untersuchen, bevor man damit auf die Menschheit losgeht – bevor man in orthopädischen Kliniken einen Robodoc kauft und die Leute hinterher nicht laufen können. Solche Studien kann man auch versorgungsrelevant machen. Das müssten die Kassen eigentlich bezahlen. Mit einer Milliarde Euro pro Jahr könnten wir 90 Prozent der Fragen in der Versorgungsforschung klären. Das ist nicht viel angesichts der 250 Milliarden, die wir pro Jahr für das Gesundheitswesen ausgeben.
Sie setzen sich schon lange für die Unabhängigkeit von der Pharmaindustrie und für evidenzbasierte Medizin ein. Sind die Ärzte zu unkritisch?
Sawicki: Der einzelne Arzt, der in seiner Praxis den ganzen Tag arbeitet, kann ja nicht am Abend selbst Metaanalysen auswerten. Das hat er auch gar nicht gelernt.
Aber was Ärzte häufig verwechseln, ist der Regelfall mit dem Einzelfall. Den Regelfall kann man wissenschaftlich beschreiben. In der Regel ist es zum Beispiel gut, wenn man nach dem Herzinfarkt Acetylsalicylsäure einnimmt. Wie das im Einzelfall ist, kann keine Studie beschreiben. Das kann auch kein Institut beschreiben. Das muss der Arzt entscheiden, und wenn er darauf verzichtet, muss er es begründen.
Man hat Ihrem Institut oft vorgeworfen, dass seine Methodik zu alltagsfern sei.
Sawicki: Manchmal wird uns vorgeworfen, wir würden nur randomisierte kontrollierte Studien berücksichtigen. Das stimmt nicht. Wir berücksichtigen alle Studien, die eine zuverlässige Aussage erlauben. Aber: Kleine Unterschiede, um die es bei uns meistens geht, kann man mit einer Fallbeobachtung nicht belegen. Dafür braucht man besondere Methoden.
Schützt die Trägerschaft durch die Selbstverwaltung das Institut vor politischer Einflussnahme?
Sawicki: Es gibt immer und überall Versuche der politischen Einflussnahme, entweder durch das Ministerium oder andere Interessengruppen – ob es da einen G-BA gibt oder nicht, spielt keine Rolle.
Im Koalitionsvertrag steht, dass man die Methoden des IQWiG überprüfen will, um die Akzeptanz der Entscheidungen zu verbessern. Was bedeutet das für das Institut?
Sawicki: Wenn man jetzt die Methoden aufweicht, ist das nicht gut. Was wir wollen, ist, dass die Politik oder der G-BA in Kenntnis der Tatsachen entscheiden. Aber die wollen manchmal die Tatsachen verändern, damit sie ihnen besser passen. Es ist fraglich, ob man eine bessere Gesundheitsversorgung schafft, wenn man sich selbst in die Tasche lügt.
Wie viel Politik steckt denn hinter Ihrer verweigerten Vertragsverlängerung?
Sawicki: Das weiß ich nicht. Es gibt Papiere von Abgeordneten, die meine Abberufung gefordert haben.
Was mich persönlich getroffen hat, ist, dass die Trägerorganisationen alle einstimmig dafür waren, meinen Vertrag nicht zu verlängern.
Und die Art war auch nicht nett. Ich hätte es besser gefunden, wenn man gesagt hätte, wir finden für Sie keine Mehrheit, die Politik glaubt, mit einem anderen Leiter das Institut besser führen zu können – ohne vorgeschobene Argumente. Das hätte mich nicht gefreut, aber ich hätte es verstanden und akzeptiert.
Gibt es etwas, das Sie gerne anders gemacht hätten?
Sawicki: Meine Freunde haben mir gesagt, ich habe zu wenig auf mich selbst geachtet. Zum Beispiel hätte ich meinen Vertrag juristisch genau überprüfen sollen. Oder ich hätte mir vielleicht einen Elektrorasenmäher kaufen sollen.
Ulla Schmidt hat mal gesagt: „Seien Sie doch diplomatischer.“ Aber „diplomatischer“ heißt, man legt sich nicht fest. Wir haben uns immer festgelegt. Damit macht man sich angreifbar. Jemand, der diplomatischer ist, ist vielleicht politisch akzeptabler, bequemer. Aber es geht nicht darum, dass das Institut politisch akzeptabler oder bequemer ist. Es geht darum, dass es eindeutige Bewertungen macht, die unbeeinflusst sind und validen international akzeptierten Methoden entsprechen.
Das Gespräch führten
Heike Korzilius und Dr. Marc Meißner.
Organisation des IQWiG
Trägerverbände des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sind der GKV-Spitzenverband, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Vertreter der Verbände bilden den zwölfköpfigen Stiftungsrat und stellen vier der fünf Mitglieder des Vorstands. Ein Vorstandsmitglied wird vom Bundesministerium für Gesundheit benannt. Der Stiftungsrat schlägt den Leiter des IQWiG vor, der dann vom Vorstand bestellt wird.
Weihe, Wolfgang