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Bundesgerichtshof zur Präimplantationsdiagnostik: Druck auf die Politik


Bei Paaren mit einer Veranlagung zu schweren Erbschäden dürfen Ärzte künftig im Reagenzglas befruchtete Eizellen auf Genschäden untersuchen und nur die gesunden Zellen für eine künstliche Befruchtung auswählen. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) erlaubte damit die Präimplantationsdiagnostik (PID) an pluripotenten Zellen. Er begründete seine Entscheidung damit, dass sie die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche schwerst behinderter Kinder vermindern könnte. Das ist nachvollziehbar, denn wenn eine Behinderung festgestellt wird, sind Abtreibungen auch noch nach der zwölften Schwangerschaftswoche möglich.
Der Angeklagte, ein Berliner Frauenarzt, war vom Vorwurf einer dreifachen strafbaren Verletzung des Embryonenschutzgesetzes freigesprochen worden. Der Arzt hatte bei drei Patientinnen jeweils acht extrakorporal befruchtete Eizellen im Blastozystenstadium untersucht. An vier Eizellen hatte er gravierende genetische Defekte festgestellt, weshalb diese „nicht weiter bebrütet, abgestorben und letztlich verworfen wurden“, wie es das Landgericht Berlin formulierte. Ein Strafsenat des Berliner Kammergerichts hatte einen Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz bei dem Arzt, der sich selbst angezeigt hatte, zunächst bejaht. Eine große Strafkammer des Berliner Landgerichts hatte dann entschieden, dass er nicht gegen die Normen des Embryonenschutzgesetzes verstoßen habe. Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte dagegen Revision beim BGH eingelegt, der das Urteil jetzt aber bestätigte.
Der Gynäkologe hat somit die rechtliche Klärung eines Themas erzwungen, das seit Jahren kontrovers diskutiert wird. Wiederholt beschäftigte sich, ausgehend vom „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ der Bundesärztekammer (DÄ, Heft 9/2000), vor allem auch das Deutsche Ärzteblatt mit dieser Thematik. Dabei ging es vorwiegend um die Frage, ob die PID mit dem Embryonenschutzgesetz vereinbar sei und falls nicht, ob man sie in engen Grenzen zulassen sollte. Zahlreiche Politiker hielten die PID für unvereinbar mit dem Embryonenschutzgesetz. Und das aus guten Gründen. Denn nach dem Embryonenschutzgesetz ist das Verwenden eines Embryos verboten. Und darunter fällt dann ja wohl ebenfalls die Selektion und anschließende Tötung des Embryos durch Wegschütten. So sah es jedenfalls das Berliner Kammergericht. Außerdem ist davon auszugehen, dass mit dem Urteil der Rechtfertigungsdruck auf Menschen mit Behinderung und deren Eltern weiter wachsen könnte. Doch der BGH kam offenbar zu einer anderen Einschätzung und veranlasst damit jetzt auch die Politik, sich wieder mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.
Kritiker der Methode befürchten allerdings, dass die PID irgendwann nicht mehr nur bei Paaren mit genetischen Defekten angewendet wird. Tatsächlich gibt es international bereits einige Fälle, wo ein Kind nur deshalb in vitro gezeugt wurde, um als Gewebespender für ein Geschwisterkind zu dienen. Solchen Praktiken erteilte der BGH glücklicherweise eine eindeutige Absage. Er betonte, dass Gegenstand seiner Entscheidung lediglich die Untersuchung von Zellen auf schwerwiegende genetische Defekte sei. „Einer unbegrenzten Selektion von Embryonen anhand genetischer Merkmale wäre damit nicht der Weg geöffnet.“ Letztendlich ist eine Klarstellung durch den Gesetzgeber zu wünschen.
Gisela Klinkhammer
Chefin vom Dienst (Text)
Overdick-Gulden, Maria