THEMEN DER ZEIT
E-Health in Österreich: Pragmatischer Ansatz trägt Früchte


Die Arbeiten an ELGA, der elektronischen Gesundheitsakte, sind weit vorangeschritten. Auch sonst ist Österreich in Sachen Gesundheitstelematik gut aufgestellt.
Glückliches Österreich – beim Aufbau einer landesweiten Telematikinfrastruktur tut sich der südliche Nachbar erheblich leichter als Deutschland mit dem Projekt der elektronischen Gesundheitskarte, in dem gerade erst die elektronische Patientenakte auf unbegrenzte Zeit verschoben wurde. Österreich dagegen hat bereits seit 2005 flächendeckend das E-Card-System eingeführt, eine breitbandige E-Health-Infrastruktur mit Smartcards als Zugangsschlüssel zum Gesundheitssystem für Versicherte und Ärzte. Als personenbezogene Chipkarte der österreichischen Sozialversicherung hat die E-Card zunächst den Papierkrankenschein abgelöst, inzwischen ermöglicht sie aber weitere administrative Anwendungen, die schrittweise hinzugeschaltet werden (Kasten).
Unabhängig davon arbeitet das Land an der Einführung einer elektronischen Gesundheitsakte (ELGA), in der die relevanten Gesundheitsdaten der Bürger künftig elektronisch verwaltet werden sollen. Ein wichtiger Schritt zur Umsetzung dieses gesundheitspolitischen Ziels war die Gründung der ELGA GmbH durch den Bund, die Länder und den Hauptverband der Sozialversicherungsträger im November 2009. Deren Unternehmensgegenstand ist, etwas kryptisch formuliert, „die nicht auf Gewinn gerichtete Erbringung von im Allgemeininter- esse liegenden Serviceleistungen auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge im Bereich von E-Health zur Einführung und Implementierung der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA)“. Zusammen mit dem österreichischen Gesundheitsministerium bereitet die ELGA GmbH derzeit eine Novellierung des Gesundheitstelematikgesetzes vor, das den gesetzlichen Rahmen für die Einführung der Gesundheitsakte abstecken und spätestens Anfang 2011 in Kraft treten soll. Parallel dazu finden erste Pilotprojekte statt, um das System in Praxen und Kliniken umzusetzen. Circa 30 Millionen Euro sollen diese Piloten kosten, je ein Drittel kommt vom Bund, von den Ländern und vom Hauptverband.
„ELGA ist ein Informationssystem für strukturierte elektronische Gesundheitsdaten zu einer eindeutig identifizierten Person. Die Daten stammen von verschiedenen Gesundheitsdiensteanbietern wie auch vom Patienten selbst und sind in einem oder mehreren Informationssystemen gespeichert. ELGA stellt diese zielgerichtet rund um die Uhr internetbasiert zur Verfügung, unabhängig vom Ort der Erstellung und Speicherung der Daten“, erläuterte Dr. Susanne Herbek in Wien das Projekt*. Die Ärztin für Allgemeinmedizin und langjährige Gesundheitsmanagerin ist seit Anfang des Jahres Geschäftsführerin der neuen Gesellschaft und verwendet in dieser Funktion viel Zeit darauf, Vorbehalte und Ängste gegenüber dem Projekt abzubauen.
Kein Kontrollsystem
ELGA sei kein Kontrollsystem und auch kein Werkzeug zur Qualitätssicherung, darauf legt die E-Health-Expertin Wert, denn „davor fürchten sich die Ärzte, und diese Sorgen nehmen wir sehr ernst“. Das System werde auch nicht für die Abrechnung mit den Krankenversicherungen genutzt, dafür gebe es das E-Card-System. Die ELGA sei ein Behandlungsinformationssystem, stellt Herbek klar. Daher sei auch Archivierung nicht das Thema, denn eine zentrale Datenhaltung sei nicht vorgesehen: „Wir bedienen uns bereits archivierter Krankenunterlagen aus den KIS, den Krankenhausinformationssystemen.“
Wichtige konzeptionelle Vorarbeiten für das System wurden bereits in den Jahren 2006 bis 2009 von der Vorgängerorganisation der ELGA GmbH, der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) ELGA geleistet. So sind zwei Hauptkomponenten der Gesundheitsakte, nämlich der Patientenindex und der Gesundheitsdiensteanbieterindex (GDA), relativ weit gediehen. Dabei handelt es sich – vereinfacht dargestellt – um zwei Datenbanken: Der Patientenindex dient dazu, die Patienten zweifelsfrei zu identifizieren, wohingegen der GDA-Index Ärzte, Apotheker und andere Gesundheitsberufe auflistet. So wird etwa der Arzt über den GDA-Index identifiziert und anhand der Daten geprüft, ob er berechtigt ist, auf Patientendaten zuzugreifen. Die Daten beider Datenbanken werden miteinander verknüpft, damit ein Dokument über einen Patienten im System gefunden werden kann, und zwar sowohl vom Patienten selbst über einen gesicherten Zugang (und mittels seiner E-Card) als auch vom Arzt im Krankenhaus oder in der Arztpraxis.
Virtuelles Inhaltsverzeichnis
Weitere Systemkomponenten sind ein Dokumentenregister als eine Art Inhaltsverzeichnis der verfügbaren Dokumente, ein Berechtigungsregelwerk, ein Protokollierungssystem sowie ein Online-Zugangsportal. ELGA ließe sich auch umschreiben als ein riesiges Inhaltsverzeichnis mit qualifizierten Suchfunktionen. Über das Dokumentenregister wird ein virtuelles Inhaltsverzeichnis erstellt. Öffnet ein Nutzer über das Webportal eine Patientenakte, sieht er – je nach Berechtigung – eine Übersicht aller verfügbaren Daten, die in den jeweiligen Archiven der Gesundheitsdiensteanbieter liegen.
Zu den weit fortgeschrittenen Kernanwendungen zählt die E-Medikation, die sich aus dem Projekt des „Arzneimittelsicherheitsgurtes (siehe DÄ, Heft 9/2009) entwickelt hat (vergleichbar der geplanten Arzneimitteltherapiesicherheitsprüfung in Deutschland). Sie umfasst die elektronische Speicherung der Verordnung und der Abgabe sowohl von rezeptpflichtigen als auch von frei verkäuflichen Medikamenten (OTC-Präparaten). Ziel ist es, bei der Verschreibung und bei der Abgabe von Medikamenten über automatisch im Hintergrund ablaufende Prüfvorgänge Wechselwirkungen und Mehrfachverschreibungen von Medikamenten rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern. In Tirol, Oberösterreich und Wien werden bereits im Herbst 2010 Piloten starten, und 2012 soll die E-Medikation in ganz Österreich Standard sein.
Während für Patientenindex und E-Medikation der Hauptverband der Sozialversicherungsträger zuständig ist, fallen der Gesundheitsdiensteanbieterindex und das ELGA-Webportal in den Bereich des Gesundheitsministeriums. Bis Ende 2010 solle der GDA-Index fertiggestellt sein, während die Arbeiten am Patientenindex im ersten Halbjahr 2011 abgeschlossen sein sollen, meinte Herbek. Auch das ELGA-Portal unter www.gesundheit.gv.at ist bereits in einer ersten Ausbaustufe seit Mitte Januar 2010 mit allgemeinen qualitätsgesicherten Gesundheitsinformationen verfügbar. Das vom Gesundheitsministerium finanzierte, sponsorenfreie Portal soll künftig über ein Login-Verfahren auch den Zugang zur Gesundheitsakte ermöglichen.
Widerspruchslösung
Den Anspruch einer lebensbegleitenden Gesundheitsakte hat man zwar aufgegeben, jedoch soll das ELGA-System grundsätzlich alle Österreicher einbeziehen. Wer nicht daran teilnehmen will, hat die Möglichkeit eines generellen oder partiellen Opt-out, das heißt, er muss aktiv Widerspruch einlegen, ähnlich wie bei der Regelung zur Organspende in Österreich. Die Speicherung gynäkologischer oder psychiatrischer Befunde beispielsweise kann der Patient ablehnen und ebenso einzelne Anbieter vom Datenzugriff ausschließen. Zudem ist die Benutzung der ELGA an ein bestehendes Behandlungsverhältnis gebunden – Arbeitsmediziner oder Kontrollärzte von Versicherungen etwa haben keinen Datenzugriff. Die missbräuchliche Verwendung von Daten der ELGA soll unter Strafe gestellt werden.
„Die Teilnahme der Gesundheitsdiensteanbieter ist verpflichtend, weil es sich um eine öffentliche Infrastruktur, ein staatliches System, handelt“, erklärte Herbek. Ähnlich wie in den Diskussionen in Deutschland haben auch die österreichischen Ärzten große Bedenken, dass es zu einer unüberschaubaren Datenflut kommen könnte. Die Gesundheitsakte ist jedoch strukturiert – als Standard für Dokumente wurde CDA (Clinical Document Architecture, Level 2 und 3) festgelegt –, sie ist somit „viel leichter zu durchsuchen als etwa ein Schuhkarton mit Papierdokumenten“, meinte Herbek. Zudem sei es Sache der Ärzte, die wirklich relevanten Dokumente zu einem Patienten für das Verweisregister auszuwählen. An der inhaltlichen Erarbeitung der ersten Dokumente – Entlassungsinformation, Labor- und Radiologiebefund – seien von Anfang an mehr als 100 Ärzte quer durch alle Fachgruppen beteiligt gewesen. Angestrebt werde, dass der Arzt später von der zugrunde liegenden technischen Struktur nichts wahrnehme, sondern in seiner gewohnten Softwareoberfläche arbeiten könne.
Darüber hinaus müssen als weitere wesentliche technische Grundvoraussetzung alle beteiligten Informationssysteme IHE-konform sein, das heißt den Interoperabilitätsrichtlinien der IHE-Initiative (Integrating the Healthcare Enterprise; www.ihe.net) entsprechen. Die international zunehmend an Einfluss gewinnende Initiative hat zum Ziel, den Informationsaustausch zwischen IT-Systemen im Gesundheitswesen zu standardisieren und zu harmonisieren. IHE formuliert Anforderungen aus der Praxis in Use Cases, legt relevante Standards fest und entwickelt technische Leitfäden („Profile“), die die IT-Hersteller berücksichtigen müssen, wenn ihre Produkte mit Lösungen anderer Hersteller interoperabel sein sollen.
Die österreichischen Bundesländer sind, nicht zuletzt aufgrund der langen Projektentwicklungsgeschichte, unterschiedlich auf die Einführung der ELGA vorbereitet. Hinzu kommt, dass das österreichische Gesundheitswesen, ähnlich wie das bundesdeutsche oder auch das schweizerische, hochfragmentiert und die IT-Landschaft sehr heterogen ist. Vorreiter in Sachen E-Health ist Tirol, weil man dort mit dem „Gesundheitsnetz Tirol“ bereits seit Jahren an einer einheitlichen IT-Infrastruktur für den Austausch von Gesundheitsdaten und am Aufbau vernetzter klinischer Archive der Krankenhäuser gearbeitet hat. Der Patientenindex sowie das Dokumenten- und das Protokollierungsregister sind dort fertig. Die ersten Anwendungen auf Basis der ELGA-Architektur laufen bereits: So können mehrere Krankenhäuser auf die elektronisch vorliegenden Entlassungsdokumente von Patienten zurückgreifen – sofern der Patient seine Zustimmung dazu gibt.
Regionale Besonderheiten
In Niederösterreich sei im Rahmen der ELGA-Pilotierung ein landesweiter Patientenindex der 27 Landeskliniken erstellt worden, berichtete Dr. Peter Urban von Devoteam Consulting, dem ELGA-Projektbüro in dem Bundesland. Auch die zentrale Ablage von Entlassungsinformationen und Arztbriefen aus den KIS in die ELGA-Repositories, die als KIS-übergreifende Speicher für den Datenaustausch dienen, schreitet voran, ist aber bislang auf die Krankenhäuser begrenzt. Bis Ende 2010 sollen sämtliche Labor- und Radiologiebefunde im zentralen Index hinterlegt und über das ELGA-Portal abrufbar sein. Im ersten Schritt werden diese Befunde im PDF-Format eingebunden, später sollen sie auch als strukturierte CDA-Dokumente zur Verfügung stehen. Darüber hinaus werde am Aufbau einer Plattform zur Befundabfrage im täglichen Betrieb gearbeitet, die auch die juristische Klärung und Konzeption eines Berechtigungssystems einschließe, erläuterte Urban.
Die ELGA steht jedoch nicht nur für eine nationale E-Health-Strategie, sondern sie soll auch kompatibel mit europäischen Entwicklungen gestaltet werden. So engagiert sich Österreich im EU-Projekt epSOS (European Patients Smart Open Services), das 2008 mit dem Ziel gestartet wurde, die europäischen Gesundheitssysteme über nationale Grenzen hinweg stärker (elektronisch) miteinander zu vernetzen (www.epsos.eu). An epSOS sind insgesamt zwölf EU-Staaten (einschließlich Deutschland) beteiligt. Ab 2011 soll der „patient summary“, ein medizinischer Basisdatensatz, in ersten Piloten erprobt werden. Für Österreich fungiert die ELGA GmbH als Kompetenzzentrum, arbeitet an den technischen Spezifizierungen und der epSOS-Architektur mit und ist für die Arbeitspakete zur Personenidentifikation und zur Rechteverwaltung verantwortlich.
Heike E. Krüger-Brand
*Hintergrund: Exkursion der Arbeitsgruppe„Archivierung von Krankenunterlagen“ der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS) zum Thema elektronische Gesundheitsakte 7./8. Juni 2010 in Wien
E-Health-Strategie in Österreich kurzgefasst
E-Card (www.chipkarte.at)
Die E-Card ist die personenbezogene Chipkarte des elektronischen Verwaltungssystems der österreichischen Sozialversicherung (Kranken-, Unfall-, Renten-, Arbeitslosenversicherung). Sie enthält keine Gesundheitsdaten und kein Foto, sondern nur die Personendaten des Karteninhabers wie Name und Versicherungsnummer und dient als Zugangsschlüssel ins Gesundheitssystem. Das System unterstützt die Verwaltungsabläufe zwischen Versicherten, Arbeitgebern, Vertragspartnern (Ärzten, Krankenhäusern, Apothekern etc.) und Sozialversicherungsträgern. Eine E-Card erhalten auch Nichtösterreicher, die in Österreich arbeiten. Zusätzlich zur E-Card werden auch O-Cards (Ordinationskarten) als Berechtigungskarten des Arztes ausgestellt.
Seit dem Start des Systems im Jahr 2005 wurden auf der elektronischen Plattform weitere E-Health-Dienste eingeführt, wie die automatisierte Genehmigung von chefarztpflichtigen Rezepten, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsmeldung und die elektronische Überweisung.
ELGA (www.elga.gv.at)
Die elektronische Gesundheitsakte (ELGA) soll relevante Gesundheitsdaten von Bürgern elektronisch zur Verfügung stellen mit dem Ziel, die Behandlungsqualität durch zeitnahe Information zu verbessern. Die rechtlichen Grundlagen für die ELGA werden mit der Novellierung des österreichischen Gesundheitstelematikgesetz geschaffen, das Anfang 2011 in Kraft treten soll.
Die im November 2009 gegründete ELGA GmbH übernimmt die operative Umsetzung des Telematikprojekts. Die umfassende Gewährleistung des Datenschutzes, insbesondere das Verhindern von unberechtigten Zugriffen auf Patientendaten, ist dabei ein zentraler Faktor. Die Gesundheitsdaten sollen für die Patienten per Login über das ELGA-Gesundheitsportal unter www.gesundheit.gv.at abrufbar sein. Eine der ersten Anwendungen der Gesundheitsakte ist die E-Medikation (elektronisch abrufbare Medikamentenliste).