POLITIK
Einstellungsuntersuchung von EU-Parlamentsassistenten: Die Geister, die ich rief . . .


Ein medizinischer Check für EU-Beschäftigte sorgt für Wirbel in Brüssel. Einige Abgeordnete und Assistenten haben datenschutzrechtliche Bedenken.
Carola Herter war sichtlich verwundert. Die Verwaltung des EU-Parlaments (EP) wollte von der Mitarbeiterin des CDU-Europaabgeordneten Thomas Ulmer wissen, wann sie ihre letzte Periode hatte. Auch sollte sie per Fragebogen angeben, ob sie Hämorrhoiden habe, wie viel Alkohol sie pro Monat konsumiere, ob sie die Pille nehme und ob in ihrer Familie neurologisch-psychiatrische Erkrankungen bekannt seien.
Die Fragen sind Teil eines medizinischen Checks, dem sich seit Sommer letzten Jahres alle 1 500 Assistenten des EP unterziehen müssen. Denn mit Beginn der Legislaturperiode sind die Mitarbeiter der Europaabgeordneten in Straßburg und Brüssel aufgrund eines neuen Statuts nicht mehr bei den EU-Parlamentariern angestellt, sondern bei der Parlamentsverwaltung. Der Test ist Voraussetzung für ihre Beschäftigung.
Lange hatten die Assistenten für das neue Statut gekämpft, um einheitliche Regeln für die Höhe des Gehalts, den Ausgleich von Überstunden, Urlaubsansprüche und die soziale Absicherung zu bekommen. Dabei hatten sie allerdings übersehen, dass die Parlamentsverwaltung umfassende Auskünfte über den Gesundheitszustand ihrer Mitarbeiter verlangt. Bei der Untersuchung handelt es sich nämlich um einen Standardcheck, dem sich sämtliche EU-Beschäftigte vor ihrer Einstellung unterziehen müssen, um ihre „körperliche Eignung“ für die jeweilige Tätigkeit und etwaige Ansprüche bei Invalidität oder im Todesfall festzustellen.
Der Test umfasst neben einer Blutanalyse und einem Urintest Röntgen- und EKG-Untersuchungen sowie das Ausfüllen eines 26 Punkte umfassenden Fragebogens zur familiären und persönlichen medizinischen Geschichte.
Trotz ihres Befremdens hat Herter sich dem Check schließlich unterzogen. 280 ihrer Kolleginnen und Kollegen hingegen verweigern sich dem Test standhaft. Statt sich der Untersuchung durch den Medizinischen Dienst (MD) des EP auszuliefern, wollen sie sich ihre körperliche Fitness lieber von einem Arzt ihres Vertrauens bescheinigen lassen. Einige Abgeordnete unterstützen den Boykott. „Man kann schließlich niemandem vorschreiben, zu welchem Arzt er gehen soll. Das verstößt gegen die freie Arztwahl“, meint der Arzt und CDU-Politiker Dr. med. Thomas Ulmer.
Die Abgeordnete der Linken-Fraktion im EP, Cornelia Ernst, wiederum ärgert, dass die EU-Verwaltung unter dem Deckmantel der gesundheitlichen Vorsorge Datenberge mit hochsensiblen Informationen über ihre Angestellten sammelt. „Der Umfang der erfassten Daten ist weder erforderlich noch verhältnismäßig und bietet ein Einfallstor für Diskriminierung“, moniert Ernst.
Auch ein von ihrer Fraktion in Auftrag gegebenes Gutachten ergab, dass die Pflichtuntersuchung in einigen Teilen einer datenschutzrechtlichen Prüfung nicht standhalten dürfte. Die Autoren, der Vorsitzende der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz, Prof. Dr. Hansjürgen Gartska, sowie der Landesdatenschutzbeauftragte von Mecklenburg-Vorpommern, Karsten Neumann, kritisieren beispielsweise, dass sich die Betroffenen verpflichten sollen, alle medizinisch dokumentierten Belege über ihren Gesundheitszustand vorzulegen, die für die Beurteilung der Arbeitstauglichkeit in einer Institution der Europäischen Union notwendig sind. „Eine solche Pflicht zur Vorlage, also zur Übermittlung personenbezogener und besonders schützenswerter Gesundheitsdaten findet keine rechtliche Grundlage“, erklärten die Gutachter. Auch sei eine Familienanamnese ohne konkreten Verdacht unzulässig.
Adeline Otto, wissenschaftliche Assistentin von Ernst, findet es zudem unzumutbar, dass ihr und ihren Kollegen eine Kündigung droht, sollten sie die Teilnahme an der Untersuchung verweigern. „Von einer solchen Rechtsfolge ist in den zugrunde liegenden Beschäftigungsbedingungen keine Rede“, so Otto.
Der MD besteht indessen darauf, dass sich die Assistenten dem Test unterziehen. Auch die SPD-Abgeordnete und Vizepräsidentin des EP, Dagmar Roth-Behrendt, die eine Arbeitsgruppe leiten soll, um Lösungen für die aufgetretenen Probleme bei der Umsetzung des Status zu finden, hat wenig Verständnis für die Boykotteure. „Die Untersuchung ist rechtlich vorgeschrieben. Das lässt sich nicht mal eben so ändern oder umgehen.“
Für Ottos Chefin Ernst ist die Sache hingegen noch nicht ausgestanden. Sie will weiter für ihre Mitarbeiter kämpfen und notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof gehen.
Petra Spielberg