SCHLUSSPUNKT
Körperbilder: Albrecht Dürer (1471–1528) – Das ideale erste Menschenpaar


Die Künstler der Renaissance wollten den menschlichen Körper so lebensnah wie möglich abbilden. Ihnen fehlten allerdings grundlegende anatomische Kenntnisse, da das Sezieren von Leichen bis ins hohe Mittelalter aus religiösen Gründen verboten war. Um das Zusammenspiel von Muskeln, Sehnen, Knochengerüst und Organen zu ergründen, schnitten Albrecht Dürers Zeitgenossen Leonardo da Vinci und Michelangelo sogar heimlich Körper unlängst Verstorbener auf.
Auch ihr aufstrebender deutscher Kollege, der 1495 mit dem Gedankengut der Renaissance im Gepäck von seiner ersten Italienreise zurückkehrte, sah das Wissen über den Körper als Voraussetzung für seine künstlerische Arbeit an. Aber er erforschte diesen vor allem mit Hilfe von Geometrie und Mathematik. 1504 vollendete Dürer den berühmten Kupferstich „Adam und Eva“, Quintessenz seiner jahrelangen Auseinandersetzung mit der Proportionslehre. Seine Erkenntnisse hatte er um 1500 in dem Werk „Vier Bücher von menschlicher Proportion“ (1) niedergeschrieben. Mit höchster technischer Präzision ritzte der Künstler feinste Linien in die Kupferplatte und modellierte seine Vorstellung vom perfekt proportionierten männlichen und weiblichen Körper. Indem er das Modell der antiken Götterskulpturen Apoll und Venus auf Adam und Eva übertrug, stellte er den idealen Zustand des Menschen kurz vor dem Sündenfall dar. Während Eva, von der Schlange verführt, selbstbewusst die verbotene Frucht entgegennimmt, scheint Adam noch zu zögern. Zahlreiche mittelalterliche Sinnbilder wie die Hinterlist verkörpernde Schlange, die zur Vorsicht mahnende Bergziege oder der Papagei als Ausdruck der Begehrlichkeit laden dazu ein, sich näher mit dem vielschichtigen Bild zu beschäftigen. Bis 1. November 2010 ist es in der Staatsgalerie Stuttgart ausgestellt.
Dürers ideales erstes Menschenpaar, das als Druckgrafik in Europa schnelle Verbreitung fand, wurde zum Maßstab aller nachfolgenden Künstlergenerationen. Das Thema setzte er drei Jahre später, nach seinem zweiten Italienaufenthalt, noch einmal um – diesmal als monumentales zweiteiliges Ölgemälde „Adam und Eva“, das heute im Madrider Prado zu bewundern ist. Sabine Schuchart
Ausstellung:
„. . . Nur Papier, und doch die ganze Welt . . .“, 200 Jahre Graphische Sammlung, Staatsgalerie Stuttgart, Mi./Fr./Sa./So. 10–18, Di./Do. 10–20 Uhr; bis 1. 11. 2010, www.staatsgalerie.de