ArchivDeutsches Ärzteblatt30/2010Comics: Vergewaltigung, Krankheit und Tod

KULTUR

Comics: Vergewaltigung, Krankheit und Tod

Litten, Freddy

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS
Foto: © Hiroshi Takano 2004
Foto: © Hiroshi Takano 2004

Es gibt mehrere Titel mit unterschiedlichen grafischen Stilen, narrativen Strukturen und Zielsetzungen, die sich mit dem Thema „Arzt im Krieg“ beschäftigen.

Das Thema „Arzt im Krieg“ findet man in der Welt der Comics nicht gerade häufig, doch es gibt Beispiele aus neuerer Zeit. Einen der hierzulande weitgehend ignorierten afrikanischen Kriegsschauplätze wählt Joshua Dysart für seine Serie „Unknown Soldier“ (2009–2010): die mit immenser Brutalität speziell gegen die Zivilbevölkerung geführten Auseinandersetzungen zwischen der „Lord’s Resistance Army“ (LRA) von Joseph Kony und der ugandischen Regierung von Yoweri Museveni im Acholiland im Norden Ugandas. Der ugandische Arzt Dr. Moses Lwanga, Absolvent der Harvard Medical School, ist 2002 mit seiner Frau Sera in einem der Flüchtlingslager im Nordwesten Ugandas tätig, als er einen Kindersoldaten der LRA erschießt. Entsetzt nicht nur über diese Tat, sondern über seine Gefühle dabei, zerstört er sich selbst das Gesicht. In der Folge wird jedoch immer deutlicher, dass es sich bei dem eingeschworenen Pazifisten offenbar auch um einen Profi des Tötens handelt.

Dysart sowie die Zeichner Alberto Ponticelli und später Pat Masioni zeigen Bilder eines Krieges, in dem Verstümmelung, Vergewaltigung, Krankheit und Tod Alltag sind. Das ärztliche Handeln spielt nur eine untergeordnete Rolle, denn der Schwerpunkt der Porträtierung Lwangas liegt auf dem Wandel vom Verfechter der Gewaltlosigkeit zum „bandagierten Rächer“ und seinem inneren Kampf mit dieser Veränderung. Wenngleich diese Graphic Novel also relativ wenig über die Tätigkeit eines Arztes in Kriegsgebieten aussagt, liegt ihr Wert zweifellos darin, auf einen auch heute noch schwelenden Konflikt aufmerksam zu machen.

Hiroshi Takano nähert sich in dem von 2004 bis 2005 erschienenen Manga „Ikoma – Doctors Across the Border“ dem Thema auf andere Weise. Seine Hauptfigur Yûsaku Ikoma ist ein typischer Vertreter des Genre Medizinmanga (DÄ, Heft 15/2009): ein manchmal fast übermenschlich geschickter und doch nicht fehlerfreier Arzt, der mit dem japanischen Medizinestablishment nicht zurechtkam und für die fiktionale, aber deutlich an „Ärzte ohne Grenzen“ orientierten Hilfsorganisation „Doctors Across the Border“ arbeitet. Gleich im ersten Kapitel wird Ikoma bei der Ankunft auf dem Flughafen der Republik Arahari von einem Anschlag überrascht. Er versucht, einem der Verletzten zu helfen und gerät damit in die Hand eines Terroristen, der diesen Kameraden retten will. Unter notdürftigen Verhältnissen spendet Ikoma sein eigenes Blut und benutzt eine Autobatterie zur Wiederbelebung, nur damit die zu seiner Rettung herangeeilten Regierungssoldaten die beiden Terroristen vor seinen Augen exekutieren. Ungeachtet dieser genretypischen Actionlastigkeit bemüht sich Takano auch, die Frage nach dem Sinn ärztlicher Tätigkeit unter solchen Umständen zu erörtern. Seine fiktionalen Schauplätze haben zwar reale Hintergründe, die in der Buchausgabe in Anhängen behandelt werden. Im Zentrum stehen bei Takano jedoch die Fragen, warum sich Menschen immer noch umbringen und ob „das Skalpell mächtiger ist als das Schwert“.

Einen wiederum anders gearteten Zugang benutzen Didier Lefèvre und Emmanuel Guibert in „Der Fotograf“, auf Französisch von 2003 bis 2006 erschienen, auf Deutsch zwischen 2008 und 2009. Lefèvre hatte 1986 als Fotograf eine Mission von „Ärzte ohne Grenzen“ von Pakistan nach Afghanistan begleitet, danach von den circa 4 000 dort aufgenommenen Fotos jedoch nur sechs veröffentlichen können. In einer Mischung aus Fotoreportage, Autobiografie und Graphic Novel entwickelt sich aus zahlreichen dieser Fotos und den Zeichnungen Guiberts ein Porträt nicht nur Lefèvres, sondern eben auch dieser medizinischen Mission und des Alltags im östlichen Afghanistan zu Zeiten der sowjetischen Besetzung.

Dr. Freddy Litten

1.
Dysart J, Ponticelli A, Masioni P: Unknown Soldier. Bisher 2 Bände. DC Comics (New York), 2009–2010.
2.
Takano H: Kokkyô wo kakeru ishi IKOMA.
6 Bände. Shueisha (Tokyo), 2004–2005.
3.
Guibert E, Lefèvre D: Der Fotograf.
3 Bände. Edition Moderne (Zürich), 2008–2009.
1.Dysart J, Ponticelli A, Masioni P: Unknown Soldier. Bisher 2 Bände. DC Comics (New York), 2009–2010.
2.Takano H: Kokkyô wo kakeru ishi IKOMA.
6 Bände. Shueisha (Tokyo), 2004–2005.
3.Guibert E, Lefèvre D: Der Fotograf.
3 Bände. Edition Moderne (Zürich), 2008–2009.

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote