POLITIK
Eckpunkte zur Gesundheitsreform: Hausärzte laufen Sturm
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Eine Plakataktion soll die Patienten gegen Röslers Pläne mobilisieren. Darüber hinaus könnte es auch zu Praxisschließungen kommen, kündigte Ulrich Weigeldt an.
Achtung, Mogelpackung! Das (fiktive) Präparat „Röslerol“ verspricht den Patienten bittere Pillen: höhere Beiträge, weniger Hausärzte und schlechtere medizinische Versorgung. Auch der Warnhinweis fehlt nicht: „Der Bundesgesundheitsminister gefährdet Ihre Gesundheit.“ Mit diesem Plakatmotiv will der Deutsche Hausärzteverband gegen die Pläne von Philipp Rösler mobilmachen. Der Bundesgesundheitsminister hatte in seinen Eckpunkten für die Gesundheitsreform Anfang Juli unter anderem angekündigt, das Vergütungsniveau in der hausarztzentrierten Versorgung zu begrenzen. Verträge, die bis zum Kabinettsbeschluss rechtsgültig seien, sollen davon nicht betroffen sein, alle anderen dürften künftig finanziell nicht besser ausgestattet sein als die hausärztliche Regelversorgung im Kollektivvertrag. Rund 500 Millionen Euro will die Regierung damit einsparen.
Bereits die erste Reaktion des Deutschen Hausärzteverbandes fiel heftig aus. „Dieser Minister ist unfähig, die drängendsten Probleme des deutschen Gesundheitssystems zu lösen“, polterte Verbandschef Ulrich Weigeldt unmittelbar nach der Präsentation der Eckpunkte. Röslers Pläne seien ein Frontalangriff auf die hausärztliche Versorgung, ein Anschlag auf die Existenz der Hausarztpraxen. Den „Wortbruch“ des Ministers werde man nicht kampflos hinnehmen. Eine Woche später, am 14. Juli, beschlossen die Landesverbände des Deutschen Hausärzteverbandes in Köln „ein eskalierendes Programm von Maßnahmen, mit dem der akuten Bedrohung der hausärztlichen Versorgung durch die Regierungskoalition entgegengetreten“ werden soll. Die bundesweite Plakataktion mit „Röslerol“ ist ein Teil des Programms. „Als weiteren Schritt“, kündigte Ulrich Weigeldt in Berlin an, „kann es auch zu Praxisschließungen kommen, falls die Politik daran festhält, erfolgreiche Versorgungsmodelle und den Vertragswettbewerb in Deutschland zu beenden.“
Auch andere ärztliche Zusammenschlüsse, die Selektivverträge außerhalb des KV-Systems abgeschlossen haben und weitere gerade verhandeln, protestieren vehement gegen die Pläne der Koalition. Dr. med. Werner Baumgärtner, Vorstandsvorsitzender des Medi-Verbundes Baden-Württemberg, sagte dem Hausärzteverband wiederholt öffentlich Unterstützung zu. Nach Baumgärtners Überzeugung bedeutet die vorgesehene Angleichung der Honorierung nämlich nichts anderes als „das Aus von Hausarzt- und Facharztverträgen“. So sieht das auch der Deutsche Hausärzteverband. Mit dem Zurückstutzen der Hausarztverträge auf das Niveau der KV-Honorierung versuche der Bundesgesundheitsminister, die Verträge nach §73 b SGB V ökonomisch auszuhöhlen. Mit schlimmen Folgen, wie Eberhard Mehl, Hauptgeschäftsführer des Hausärzteverbandes, meint: Würde die Vergütung der Hausarztverträge tatsächlich eingeschränkt, sei es noch schwerer, junge Ärzte aufs Land und in die Praxis zu kriegen. Immer mehr Planungsbereiche könnten nicht mehr mit genügend Hausärzten besetzt werden. „Diese Entscheidung wird Menschenleben kosten“, folgt für Mehl daraus.
Dieses verbandspolitische Getöse ging dann aber selbst dem traditionell kämpferischen Hartmannbund zu weit. „Bei allem Verständnis für den Streit in der Sache“, rügte Prof. Dr. med. Kuno Winn, Vorsitzender des Hartmannbundes, „mache ich mir doch erhebliche Sorgen, dass diese Debatte aus den Fugen gerät.“ Auch innerärztlich führten Tonfall und Stil der Auseinandersetzung zu einer zunehmenden Spaltung. Diese Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen, denn die wütenden Reaktionen des Hausärzteverbandes legen den Schluss nahe, dass es beim Sturmlauf gegen die Vergütungseinschränkung um mehr geht als einen bloßen Beißreflex.
Selbst wenn die Hausarztverträge aus Sicht des Verbandes eine Reihe von strukturellen Vorteilen gegenüber dem Kollektivvertrag der Kassenärztlichen Vereinigungen haben, so ist die spürbar höhere Vergütung wohl doch der entscheidende Faktor. Wäre die Honorierung gleich, würden die Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung deutlich an Attraktivität verlieren. Ulrich Weigeldt muss in der Tat befürchten, dass die bisher so erfolgreiche Vertragspolitik des Hausärzteverbandes durch Röslers Vorhaben einen empfindlichen Dämpfer erfährt.
Röslers Vorgängerin Ulla Schmidt (SPD) hatte die Weichen für eine Vertragspolitik außerhalb des KV-Systems und ausdrücklich ohne Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigungen gestellt. Schmidt wollte das Monopol der KVen auf die Sicherstellung der ambulanten Versorgung brechen – mit Hilfe des § 73 b SGB V. Damit haben nämlich seit Anfang 2009 die Hausarztverbände quasi das Monopol auf die Vertragsschlüsse mit den Krankenkassen, die zudem per Gesetz verpflichtet worden sind, bis Ende Juni 2009 derartige Verträge mit dem Hausärzteverband zu schließen. Tun sie das nicht, legen die Schiedsämter die Vertragsinhalte fest. Fristgerecht zustande gekommen sind nur wenige Verträge, mehr als 1 000 warten noch auf Schiedssprüche.
Kommt die gesetzliche Begrenzung der Vergütung nach der parlamentarischen Sommerpause zustande, dürfte dem Großteil dieser noch zu schließenden Verträge ein deutlich geringerer finanzieller Rahmen durch die Schiedsämter gesetzt werden. Zugleich wäre damit ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für die Vertragspolitik der Verbände gegenüber der Regelversorgung beseitigt.
Bayerischer Widerstand auf Abruf
Wohl auch vor diesem Hintergrund hatte der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbands, Dr. med. Wolfgang Hoppenthaller, eine große Protestversammlung mit mehr als 7 000 Ärzten in der Nürnberger Arena angekündigt. Diese findet vorerst jedoch nicht statt. Grund: Ein Anruf von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, der Hoppenthaller Bestandsschutz für die Verträge zugesichert hat. Sie sollten auch nach Ablauf der Vertragsdauer fortgelten und in derselben Honorarhöhe weiterlaufen können. Der Bestandsschutz steht im Eckpunktepapier, die Fortgeltung der Verträge aber nicht.
Beim 18. Bayerischen Hausärztetag am 17. Juli in Bad Gögging wiederholte der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder vor rund 1 000 Hausärzten noch einmal die Zusage. Wie die CSU das durchsetzen will, blieb offen. Auch Söder ist sich bewusst, dass es bis zum Kabinettsbeschluss im September noch unliebsame Änderungen geben kann.
Probleme sieht Hoppenthaller in dem von der Koalition zugesagten Vertrauensschutz für Verträge, die bis zum Kabinettsbeschluss rechtsgültig sind. Daraus würde sich seiner Ansicht nach eine enorme Wettbewerbsverzerrung zwischen den Kassen ergeben. Kassen, die dem Gesetz gemäß Verträge abgeschlossen haben, hätten eine höhere Belastung als solche, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts geltende Gesetze einfach negiert hätten. Er könne sich vorstellen, dass die AOK Bayern dann diesen Vertrag sabotieren würde, um im Konkurrenzkampf zu überleben, Stichwort: Patienten-Ausschreibung. Tatsächlich will die AOK Versicherte, die zehn Euro Schulden bei ihr haben, aus dem Vertrag ausschreiben. Das ist schon möglich, wenn einmal die Praxisgebühr nicht bezahlt wird. Es gehe nicht an, sagte AOK-Vertreter Peter Krase beim Hausärztetag, dass eine Kasse wie die AOK Bayern die Zeche zahlen müsse und an Belastungsgrenzen gerate, und die anderen Kassen blieben auf den Zuschauerrängen sitzen.
Es dürfe auch nicht sein, so Krase weiter, dass ein Marktführer wie die AOK Verträge abschließe, aber keine Rabatte erhalte, sondern sogar mehr bezahle als andere. Er spielte auf die Meistbegünstigungsklausel im Vertrag an, wonach der Fallwert angepasst werden kann, wenn der Hausärzteverband mit anderen Kassen niedrigere Fallwerte vereinbart. Hoppenthaller merkte dazu nur knapp an, dass seiner Ansicht
nach die Meistbegünstigungsklausel nicht anzuwenden sei, doch das werde man außergerichtlich klären.
In Bad Gögging zeigten sich die Hausärzte jedenfalls mit dem Bekenntnis von Minister Söder zu den Hausarztverträgen zufrieden. Eberhard Mehl, als Vertreter des Deutschen Hausärzteverbandes zu Gast bei der bayerischen Versammlung, lobte die bayerische Staatsregierung für ihre Haltung zum § 73 b. Davon würde die ganze Bundesrepublik profitieren. Dennoch glaubt Mehl an einen „heißen Herbst“. Hoppenthaller hat vorsorglich schon einmal für einen Termin im September die Nürnberger Arena reserviert, um dort den Ausstieg der Hausärzte aus dem KV-System zu vollziehen. Die Kollegen bekämen das Austrittsformular im Voraus zugesandt und sollten es ausgefüllt mitbringen. Nachdem der Systemausstieg vor zwei Jahren mangels ausreichender Zahl von Austrittswilligen gescheitert war, will der Verband nun die Zählweise ändern. Von den 7 500 Hausärzten im Freistaat werden die 1 500 abgezogen, die in den Ballungszentren München und Nürnberg tätig sind und sich einen Ausstieg nicht leisten können. Wenn dann von den übrigen 6 000 Hausärzten 70 Prozent für den Ausstieg votieren, „sind wir aus dem System raus“, betonte Hoppenthaller.
Josef Maus, Klaus Schmidt
Jantsch, Stefan