

Dass auch bei der Verabreichung von pharmakologisch wirksamen Medikamenten die Mechanismen, die einer Placebogabe zugrunde liegen, bewusst eingesetzt werden sollten, dem ist zuzustimmen. Dass diese Mechanismen mit wenig Aufwand erzielt werden können, dem ist zu widersprechen. Denn bedingte Reflexe und die Erwartungshaltung des Patienten positiv zu konditionieren, ist ebenso wie eine geeignete persönliche Ausstrahlung des Arztes und die Atmosphäre, in der die Behandlung stattfindet, nicht ohne größeren Aufwand zu erreichen. Ärzte sind hierfür nicht ausgebildet. Es wird ihnen im beruflichen Alltag von Seiten des Medizinsystems auch kaum abgefordert.
Die Placebowirkung wird noch immer viel zu sehr nur dem Phänomen der Verordnung eines „Scheinmedikaments“ zugeordnet. Placebowirkungen im hier angesprochenen Sinn umfassen aber viel mehr. Keine Operation, keine Bestrahlung, keine Medikamentenverordnung, kein Arzt-Patienten-Kontakt, keine Erwartungshaltung von Arzt oder Patient ist frei von Placebo- oder Noceboeffekten, auch wenn dies nicht im Einzelnen statistisch belegt ist, wahrscheinlich auch nicht belegbar sein wird. Denn die Phänomene berühren soziologische, philosophische und sogar spirituelle Fragen, die bekanntermaßen mit statistischen Methoden nur unzulänglich erfassbar sind. Von Medizinern wird das Phänomen der Placebowirkung eher unterschätzt und bis auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung in Medikamentenprüfungen nicht selten sogar ignoriert. Die zunehmend auf statistische Wirksamkeitsnachweise orientierte Leitlinienmedizin verbaut eher den Zugang und die Einbeziehung von Placeboeffekten in der täglichen medizinischen Praxis.
DOI: 10.3238/arztebl.2010.0570b
Dr. med. Thomas Vetter
Sächsisches Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Altscherbitz
Leipziger Straße 59
04435 Schkeuditz
E-Mail: thomas.vetter@skhal.sms.sachsen.de
1. | Breidert M, Hofbauer K: Placebo: Missunderstandings and prejudices [Placebo: Missverständnisse und Vorurteile]. Dtsch Arztebl Int 2009; 106(46): 751–5. VOLLTEXT |
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