SCHLUSSPUNKT
Körperbilder: Martin Kippenberger (1953–1997) – Der Bad Boy der Kunstszene


Auf einen bösen Zeitungsartikel 1989 im Zeitgeistmagazin „Wiener“, der ihn als Sexisten und Rassisten denunzierte, reagierte Martin Kippenberger auf eine für ihn typische Weise: Er entwarf die Skulpturenserie „Martin, ab in die Ecke und schäm dich“. Die wurde so erfolgreich, dass er von seinem Objekt- und Multiplebauer Uli Strothjohann sechs statt der anfangs geplanten drei Figuren fertigen ließ – jeweils in gleicher Körperhaltung, den Anzug individuell, den Kopf in Holz, Bronze oder wie hier in Kunstharz mit Zigaretten gefüllt. Die Skulptur ist eines der zentralen Exponate einer Ausstellung über das künstlerische Selbstporträt, die jetzt in Baden-Baden beginnt.
Kippenberger offenbarte damit, wofür er, das Enfant terrible der Kunstszene, stand: „Ihr haltet mich für einen Bad Boy. Dann zeige ich euch mal, was richtig böse ist.“ Politisch korrekt war er nicht, dafür ein Meister der exzentrischen Selbstinszenierung, der Attacken spielerisch-ironisch parierte. Dass er den Zeigefinger nicht auf seinen Angreifer richtete, sondern auf sich selbst, entsprach seiner künstlerischen Herangehensweise: immer wieder auch mit der eigenen Person für Provokationen und Übertreibungen zu posieren. Dabei ging es ihm weniger um das Persönliche als darum, exemplarisch auf absurde Zustände und doppelte Moral hinzuweisen. Wie vor ihm schon Beuys und Warhol wollte Kippenberger die Grenzen der Kunst erweitern und bediente sich dazu jedes denkbaren Stilmittels und Tabubruchs. Seine ans Kreuz genagelten Frösche polarisierten ebenso wie sein saloppes Bild von 1984 „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“.
So eckte er an und wurde in die Ecke gestellt. Weltruhm und Millionenpreise erlangte er erst nach seinem frühen Tod an Leberkrebs mit 44 Jahren: Posthum widmeten ihm Museen wie die Londoner Tate Modern und das New Yorker Museum of Modern Art große Retrospektiven. Erst da wurde einer breiteren Öffentlichkeit bewusst, dass außer Konzept- und Objektkunst, Büchern und Katalogen auch Gemälde und Zeichnungen zu Kippenbergers umfangreichem und vielseitigem Œuvre gehören. „Jeder Künstler ist ein Mensch“, formulierte er in Umkehr des berühmten Beuys-Satzes – die Baden-Badener Ausstellungsmacher wählten das Motto als Titel ihrer Schau. Sabine Schuchart
Ausstellung
„Jeder Künstler ist ein Mensch! Positionen des Selbstportraits“, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, Di.–So. 11–18 Uhr, 11. 9. bis 21. 11., www.kunsthalle-baden-baden.de
Susanne Kippenberger: „Kippenberger. Der Künstler und seine Familien“, Taschenbuch, Berlin Verlag 2010, 576 S., 11,95 Euro.
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