SUPPLEMENT: PRAXiS
Arztgespräch: Der mündige Patient als Herausforderung


Der Trend zu mehr Patientenkompetenz beeinflusst die Kommunikation zwischen Arzt und Patient auf vielfältige Weise. Lernbedarf besteht noch auf beiden Seiten.
Auf den Röntgenbildern sind sie genau zu erkennen: drei tote Zähne, ein Zahn hat Eitersäcke. Die Zahnärztin zeigt auf dunkle Flecken. „Ja, das könnte schon etwas mit Ihren Herzproblemen zu tun haben“, sagt sie zu ihrer Patientin Ortrud Watz. „Gut, dass Ihr Kardiologe Sie zu mir geschickt hat.“ „Der Kardiologe bin ich“, antwortet die Patientin.
Ortrud Watz ist ein Paradebeispiel für einen mündigen Patienten. Nach ihrer Herzoperation hat sie selbst nach Ursachen geforscht, im Internet gelesen und aus ihrem Erfahrungsschatz als Krankenschwester und Arzttochter geschöpft. „Meine Zahnärztin war zwar erstaunt, aber nicht in ihrer Ehre beleidigt. Sie fand es toll, dass ich ihr auf die Sprünge geholfen habe“, erzählt die Rentnerin. Doch nicht alle Ärzte reagieren begeistert auf diese Mündigkeit.
Denn in eine Praxis oder Klinik kommen immer mehr Patienten mit einem Stapel Papier unter dem Arm. Der „Zettelpatient“ wie er im Krankenkassen-Jargon heißt, bringt Internetausdrucke, Zeitungskopien und Broschüren mit. Er konsultiert Dr. Google im Netz und lässt sich durch Sendungen wie „Gesundheitsmagazin Praxis“ und die „Radio-visite“ aufklären. An der Patientenuniversität hört er sich Veranstaltungsreihen zu „Gesundheit für jedermann“ an, in der die Verdauung eines Menschen ebenso zur Sprache kommt wie die Funktionsweise eines Bypasses. Auch der Austausch zwischen den Patienten ist durch zahlreiche Foren deutlich intensiver geworden.
Patient denkt mit
Die Reaktionen der Ärzteschaft dar-auf sind gemischt. Viel hänge davon ab, wie der informierte Patient seinem Arzt gegenübertrete, meint Thomas Nebling, Leiter der Kursreihe „Kompetent als Patient“, die die Techniker-Krankenkasse (TK) seit Herbst 2009 für jedermann anbietet (www.tk-online.de/tk/hamburg/aktionen-in-der-hamburg/tk-kursreihe-kompetent-als-patient/190976). „Wir wollen erreichen, dass die Patienten selbst mitdenken und die Behandlung begleiten. Das heißt nicht, nach dem Motto aufzutreten: ‚Ich habe sowieso schon alles gelesen, dass ich das Medikament brauche, weiß ich schon. Ich brauche jetzt nur noch das Rezept dazu‘“, sagt Nebling.
Der respektvolle Umgang miteinander ist ein wichtiges Element der Arzt-Patient-Kommunikation. Patien-tenberaterin Fenja Buskühl bringt ratsuchenden Patienten bei, wie sie im Gespräch positive Formulierungen wählen können, die mögliche Konflikte mit einem Arzt vermeiden: „Nicht sagen: Ich möchte Ihr Medikament nicht, sondern ein anderes. Das kann ich als Nichtmediziner ja gar nicht entscheiden. Aber ich kann zum Arzt sagen: Ich habe davon gelesen, was halten Sie davon? Wäre das eine Alternative für mich?“
Falsch verstandene Patientenkompetenz – der Patient sagt dem Arzt, was er tun soll – wird von Ärzten teilweise als schwierig empfunden.
In einer Leitlinie für hausärztliche Gesprächsführung unterscheidet die TK vier Typen von schwierigen Patienten: Neben Zettelpatienten sind das die „Koryphäenkiller“, „diejenigen, die zu höchstangesehenen Ärzten gehen und sagen: Ich war schon überall, und nur Sie können mir noch helfen. Sie überfrachten damit den Arzt mit überzogenen Erwartungen“, erklärt Nebling. Außerdem hat die TK die Ängstlichen und die Vielredner ausgemacht. Sie alle sollen in den Kursen lernen, wie man Arztgespräche richtig führt.
Denn alles Wissen nützt nichts, wenn die Kommunikation zwischen Arzt und Patient hakt. Die Allgemeinärztin Dr. med. Friederike Reimann erlebt das in ihrer Praxis in der Klein-stadt Bardowick. Manche Patienten brauchten viel Zeit, um ihr Anliegen zu schildern: „Sie erzählen mir lang und breit, dass sie ein Blutdruckmittel nehmen und Herzprobleme haben, und nach langem Exkurs kommen sie dahin, dass sie wegen eines Hautausschlags kommen.“ Sie macht außerdem auf einen Aspekt aufmerksam, der in der Diskussion um Patienten-Arzt-Kommunikation mehr berücksichtigt werden müsse: „Es heißt immer: Die Ärzte hören nicht zu. Aber man würde sich auch manchmal wünschen, dass Patienten in der Lage sind, drei Sätze am Stück zuzuhören, und nicht auch als Arzt unterbrochen zu werden.“
Kommunikation
Dabei wäre es so wichtig, dass Arzt und Patient richtig miteinander sprechen können. Manch ein Mediziner hält das sogar für eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Behandlungserfolg. Prof. Dr. med. Dr. phil. Martin Härter zum Beispiel, Direktor des Instituts und der Poliklinik für medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Eppendorf, meint, Patienten wollten als Partner behandelt und in die Entscheidungsfindung zu Therapien einbezogen werden. Ein besser informierter Patient, der die Entscheidung über seine Behandlung mitgetroffen habe, halte sich eher an die vereinbarte Therapie.
Zur Patientenorientierung forscht der Diplom-Psychologe derzeit mit zwei vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Studien: Eine Untersuchung widmet sich einer „webbasierten interaktiven, auf Nutzer individuell zugeschnittenen medizinischen Entscheidungshilfe“, an der ab Ende 2010 mehrere Hundert Patienten beteiligt werden sollen (www.forschung-patientenorientierung.de/index.php/projekte/modul-eins/turhaerter.html). Eine andere Studie soll die Frage beantworten, welchen Nutzen Trainings für Onkologen zur partizipativen Entscheidungsfindung haben (http://pefmed.dbkr.de).
Wichtig: Beteiligung
Härters Einschätzung, Patienten wollten beteiligt werden, decken sich jetzt schon mit einer repräsentativen Forsa-Umfrage unter 2 000 Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung im Alter von 18 bis 70 Jahren. Die Umfrage, die die TK Ende 2006 durchführen ließ, ergab, dass zwei Drittel aller Patienten (66 Prozent) Entscheidungen gemeinsam mit ihrem Arzt fällen wollen. Sie stimmten der Aussage zu: „Mein (Haus-)Arzt sollte die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten mit mir diskutieren, und wir würden dann zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen.“ Nur acht Prozent waren der Ansicht: „Mein (Haus-)Arzt sollte mich auf dem Laufenden halten, aber im Allgemeinen sollte er entscheiden, wie er mich am besten behandelt.“
Offensichtlich wünschen sich Patienten mehr Mündigkeit. Der Onkologe Prof. Dr. med. Gerd Nagel erkennt einen „zunehmenden gesellschaftlichen Trend zu mehr Patientenkompetenz“. Die individuellen Fähigkeiten von Patienten, die eine Heilung unterstützen können, sollten gezielt gefördert werden – dafür setzt sich Nagel mit seiner gemeinnützi-gen Stiftung Patientenkompetenz ein (www.patientenkompetenz.ch). Die Stiftung wurde vor fünf Jahren in der Schweiz gegründet. Derzeit plant sie laut Nagel eine große prospektive Studie zu der Frage, ob Patientenkompetenz prognostische Bedeutung bei Frauen mit Brustkrebs hat. Das Leitbild der Stiftung ist die Lehre von Paracelsus, der schon im 16. Jahrhundert erkannte: „Die Kraft des Arztes liegt im Patienten.“ Dennoch sind die Reaktionen auf das „Selfempowerment“ von Patienten auch heute noch sehr gemischt. „Viele Ärzte verstehen einfach nach wie vor nicht, dass sich kompetente Patienten gar nicht in die Angelegenheit der Ärzte, sondern in die eigenen Belange einmischen wollen“, erklärt der ehemalige Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft.
Doch wenn ein Patient seine individuellen Heilkräfte mobilisieren soll, setzt das auch ein Gefühl für den eigenen Körper voraus. Zuweilen aber können Patienten offenbar die einfachsten Symptome einer Krankheit nicht mehr selbst einordnen, diese Erfahrung macht zum Beispiel Dr. med. Marc Ziegler, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin. Es sei schwierig, eine Diagnose zu stellen, wenn Patienten zwar mit einer Menge theoretischem Wissen im Gepäck kämen, aber nicht mehr wüssten, wie sich ein Muskelkater anfühle, sagt Ziegler. Viele seien verunsichert durch eine Flut von Informationen, die aus allen möglichen Quellen kommen, oft ungeprüft. „Ich muss dann als Arzt oft erst einmal relativieren.“ Zum Beispiel, dass ein Bandscheibenvorfall für Menschen jenseits der 40 keine Seltenheit sei. Und auch nicht das Ende eines aktiven Lebens. Der Facharzt wünscht sich „mehr Eigenempfinden bei Patienten, sie haben sich zum Teil sehr von einem natürlichen Leben entfernt“.
Die Rentnerin Ortrud Watz rechnet sich ein solches Eigenempfinden zu. Und sie hat sich in die eigenen Belange eingemischt. Die Kompetenz ihrer behandelnden Ärzte schätzt sie trotzdem hoch ein. „Denn wenn es kein Vertrauen gäbe, könnte ich nicht gesund werden“, betont die Rentnerin. „Aber Ärzte“, fügt sie nachdenklich hinzu, „sollten auch lernen, ihren Patienten zu vertrauen.“ Sylvia Buckl
E-Mail: s.buckl@be-online.de