POLITIK: Das Interview
Interview mit Dr. med. Wolfgang Panter, Präsident des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte „Wir sind nah an den Menschen“
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Die moderne Arbeitsmedizin beschränkt sich nicht auf die Themen Berufskrankheiten und Arbeitsschutz. Betriebsärzte können mit Präventionsangeboten Patienten erreichen, die sonst selten zum Arzt gehen.
Nachwuchsmangel und Überalterung wurden in der Vergangenheit als drängendste Probleme der Betriebs- und Werksärzte genannt. Hat die vom Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte, VDBW, gestartete Imagekampagne da schon eine Änderung bewirkt?
Panter: Eine Imagekampagne ist langfristig angelegt. Es gibt innerhalb von ein bis zwei Jahren keine gravierenden Effekte. Es ging vor allem darum, die Wahrnehmung des Berufsbilds bei den jüngeren Ärzten, aber auch in der Gesamtärzteschaft zu schärfen und von einem doch etwas verstaubten Image wegzukommen. Die Aktion docs@ work ist bei jungen Kollegen bereits sehr gut angekommen.
Die Nachwuchsprobleme bestehen nach wie vor?
Panter: Wie in allen anderen Bereichen in der Medizin stehen auch wir vor diesem Problem. Das Werben um junge Ärzte nimmt in allen Fachgebieten deutlich zu.
Beklagt wurde zudem oft die schlechte Honorierung der Betriebs- und Werksärzte.
Panter: Da ist eine positive Entwicklung zu verzeichnen. So sind etwa die Einstiegsgehälter von jungen Arbeitsmedizinern gestiegen. Aber der Abstand zu anderen Arztgruppen ist noch nicht aufgeholt.
Sind die Gehälter frei verhandelbar?
Panter: In der Industrie sind sie frei verhandelbar. Es gibt einzelne Unternehmen mit Tarifverträgen für Ärzte. Teilweise ist die Bezahlung auch an die Gehälter im öffentlichen Dienst angelehnt, etwa bei
den Berufsgenossenschaften mit arbeitsmedizinischen Diensten. Im werksärztlichen Bereich gibt es Entgeltfindungssysteme, bei denen Qualifikation, Erfahrung und Verantwortung berücksichtigt werden.
Gibt es Bemühungen – wie in der Allgemeinmedizin –, die Weiterbildung besser zu koordinieren?
Panter: Das Bestreben der Ärztekammern, die Qualität der Weiterbildung voranzutreiben, ist zunächst einmal sehr positiv zu bewerten. Das hilft uns ungemein, das Ganze stärker zu strukturieren und auch dem Weiterbilder deutlich zu machen, welche Verantwortung er hat. Schwierig ist es sicherlich in der Fläche, die arbeitsmedizinische Weiterbildung strukturiert anzubieten. In der Regel ist das in einem Betriebsarztzentrum kein Problem.
Gibt es da Kooperationsmöglichkeiten mit den Krankenhäusern?
Panter: Das ist für unser Fach besonders schwierig. Wir brauchen eine klinische Phase – in der Regel wird ein Kollege drei Jahre Innere Medizin oder verwandte Bereiche gemacht haben, und Kooperationen mit Kliniken sind schwierig, weil in der jetzigen Arbeitsmarktsituation die Klinik die Ärzte selbst halten will. Immer häufiger sehen wir, dass ein Kollege bereits einen Facharzt hat und die zusätzliche Qualifikation „Arbeitsmedizin“ als zweiten Facharzttitel erwirbt. Wir bieten diesen Kollegen dann positive Arbeitsbedingungen und viel Gestaltungsspielraum, der sicherlich größer ist als in vielen klinischen Einrichtungen.
Wie sieht es mit den Bemühungen aus, die Arbeitsmedizin bereits im Studium als attraktives Fach darzustellen?
Panter: Völlig richtig ist, dass bereits im Studium die Attraktivität
eines Fachs herausgestellt werden muss. Wir stehen dazu in engem Kontakt mit der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin zu diesem Thema. Aber noch größere Sorge bereitet uns, dass die Zahl der arbeitsmedizinischen Lehrstühle weiter zurückgeht. Das ist ein ganz gravierender Mangel und keine gute Voraussetzung, um für unser Fachgebiet zu werben, aber auch die Fachkenntnisse im Studium angemessen zu vermitteln. Derzeit stehen einige Emeritierungen an, und es ist zu befürchten, dass es an der einen oder anderen Stelle keinen Nachfolger geben wird.
In den letzten Jahren wurden sieben Institute an den Universitäten geschlossen, so dass nur noch an 19 Universitäten arbeitsmedizinische Institute bestehen. An neun Universitäten gab es bisher überhaupt noch keinen Lehrstuhl für Arbeitsmediziner.
Was macht denn die moderne Arbeitsmedizin aus?
Panter: Viele denken bei Arbeitsmedizin noch immer an die Bergarbeiterlunge. Doch heute geht es um mehr als um Gefährdungs- und Unfallvermeidung im Unternehmen. Heute sorgt sich der Betriebsarzt gleichermaßen um den Erhalt der
Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter und überlegt prospektiv, was im Sinne Gesundheit für die Beschäftigten und das Unternehmen getan werden kann. Der Betriebsarzt erreicht zudem Bevölkerungsgruppen, in denen das präventive Bewusstsein nicht besonders ausgeprägt ist. Wir sind nah an den Menschen.
Der VDBW hat gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin einen „Appell zu einer präventiv orientierten Umgestaltung unseres Gesundheitssystems“ vorgelegt. Wie stellen Sie sich das konkret in Ihrem Arbeitsumfeld vor?
Panter: Der arbeitsmedizinische Auftrag ist sehr stark darauf bezogen, alles dafür zu tun, die Gesundheit zu erhalten und zu fördern. Der Betriebsarzt kann über die Vorsorgeuntersuchungen mit den Mitarbeitern darüber ins Gespräch kommen. Dabei können die wichtigsten Risikofaktoren mit geprüft werden: Blutdruck, EKG, Laborparameter et cetera. Hier können wir frühzeitig Risiken erkennen. Diesen Risiken entgegenzuwirken, birgt eine tolle Chance für die Arbeitsmedizin. Gesetzlich ist das nicht vorgesehen, aber es gibt immer mehr Betriebe, die dazu übergehen, den Mitarbeitern dieses Angebot zu machen.
Sie können so ein Risiko, etwa Bluthochdruck oder Adipositas, feststellen. Bei der Therapie sind Sie auf den ambulanten Bereich angewiesen.
Panter: Der Betriebsarzt braucht einen guten Kontakt zu den niedergelassenen Kollegen, um mit ihnen gemeinsam zu besprechen, was in konkretem Einzelfall getan werden kann. Mittlerweile können wir auch Rehabilitationsmaßnahmen initiieren. Dies geht leider noch nicht bundesweit, aber schon in vielen Regionen stellt der Betriebsarzt bei einer Vorsorgeuntersuchung zum Beispiel fest, dass ein Rehabedarf besteht, kann dies gezielt initiieren und sich auch im Anschluss um die Nachsorge kümmern. Daneben ist es aber auch wichtig, in der Sprechstunde Mitarbeiter auf gezielte Maßnahmen – etwa zur Raucherentwöhnung oder zur Umstellung auf gesündere Ernährung – hinzuweisen und sie zu Experten weiterzuleiten.
Wenn man das konsequent durchdenkt, kommt man fast schon zu einem dritten Versorgungssektor neben Krankenhaus und Arztpraxis. Kann so etwas ohne Spannungen funktionieren?
Panter: Heute sind die Umstände ein wenig anders als vielleicht noch vor zehn Jahren. Wir motivieren Menschen zum Arztbesuch, die so etwas sonst nie machen würden. Es gibt mittlerweile viele Unternehmen, die ihren Mitarbeitern die Untersuchung auf okkultes Blut im Stuhl aktiv anbieten. Immer mehr Unternehmen wollen in die Gesundheit ihrer Mitarbeiter investieren. Das ist ein deutlich erkennbarer Trend. Sie sehen, dass sie viel mehr ältere Belegschaftsmitglieder haben, und stehen vor der Frage: Was können wir tun, um möglichst viele Mitarbeiter in der Beschäftigung zu halten?
Das ist nicht Barmherzigkeit, sondern der Demografie geschuldet?
Panter: Je besser die Mitarbeiter qualifiziert sind, desto eher wird das Unternehmen sich Gedanken über deren langfristige Gesunderhaltung machen. Mich freut es, dass es mehr Unternehmen gibt, die sich aktiv diesem Thema stellen. Ich hinterfrage nicht so sehr, was da im Einzelnen die Beweggründe sind. Jeder weiß: Der Mensch ist ein ganz
wesentlicher Erfolgsfaktor für ein
Unternehmen. Wenn Sie Managerbefragungen sehen, ist es eben nicht die Finanzstruktur, die entscheidend ist, sondern es sind die Menschen, die ein Unternehmen voranbringen.
Die Vernetzung mit dem ambulanten Bereich kann aber nicht dem Zufall überlassen bleiben.
Panter: Ein ganz praktisches Beispiel zur Veranschaulichung: Wir stellen bei einem Mitarbeiter, der hier zur Untersuchung war, fest, dass der Blutdruck und der Harnsäurewert zu hoch sind. Dann werden wir diesem Mitarbeiter einen Ausdruck mitgeben mit der Bitte, den Hausarzt aufzusuchen.
Der direkte Draht ist nicht möglich?
Panter: Letztlich entscheidet der Patient. Es liegt in seiner Eigenverantwortung. Er muss sich um seine Gesundheit kümmern. In dem Präventionsappell haben wir das als Gesundheitskompetenz bezeichnet. Wir erwarten, dass der Mitarbeiter unserer Empfehlung folgt und zu seinem Hausarzt geht. Da ist es
natürlich ganz wichtig, eine gute Kommunikation mit den niedergelassenen Kollegen zu haben. Das Ganze natürlich unter der Beachtung der Schweigepflicht. Der Patient muss den Befund selbst mitbringen und übergeben.
Sie fordern eine stärkere Beteiligung der Krankenkassen an der betriebsärztlichen Versorgung. Wie sollte die aussehen?
Panter: Für den Test auf okkultes Blut könnten beispielsweise die Krankenkassen die Materialien zur Verfügung stellen, so dass der Betriebsarzt eine solche Vorsorgekampagne umsetzen kann. Das wäre eine ganz konkrete Maßnahme, an der sich die Krankenkassen beteiligen könnten. Das Gleiche gilt für die Mitwirkung des Betriebsarztes bei der Verbesserung der Durchimpfungsrate. Dieser führt den Vorsorgecheck durch, die Krankenkassen stellen den Impfstoff. Es geht um ganz gezielte, konkrete Maßnahmen. Das funktioniert bisher nur in den Unternehmen, die selbst bereit sind, die Kosten dafür zu übernehmen. Denkbar wäre auch eine individuelle Rückenschule vor Ort, wo man den Mitarbeitern das richtige Heben und Tragen beibringt.
Gerade beim letzten Beispiel stellt sich die Frage, warum das nicht der Arbeitgeber, der doch großes Interesse am Erhalt der Arbeitskraft hat, bezahlen soll.
Panter: Wir dürfen die Betriebsärzte nicht mit der Diskussion darüber belasten, wer in jedem Einzelfall der richtige Kostenträger ist. Die Fragestellung sollte sein: Es gibt diese Notwendigkeit, es gibt diesen Bedarf – wie kann ich diesen Bedarf abdecken? Oft scheitern gute Ideen auch an der Krankenkassenvielfalt in den Betrieben. Häufig gibt es da einen Flickenteppich. Wie soll die jeweilige Kostenübernahme organisiert werden? Auch wenn viele Mitarbeiter in einer Betriebskrankenkasse versichert sind, besteht wenig Bereitschaft, Maßnahmen zu finanzieren, die auch für Mitarbeiter durchgeführt werden, die bei anderen Krankenkassen versichert sind. Das sind entscheidende Hürden, an denen eine Umsetzung vor Ort oft scheitert.
Könnte dies in einem Präventionsgesetz geregelt werden?
Panter: Ja – ganz wichtig wäre, dass wir so ganz gezielt auf bestimmten individuellen Bedarf reagieren könnten. Ich sehe da weniger einen gemeinsamen Geldtopf als einen Thementopf. So haben wir das auch im Gesundheitsministerium kommuniziert. Es geht nicht nicht um einen bestimmten Eurobetrag je Versicherten, sondern es gibt bestimmte Themen, die wichtig sind und angegangen werden müssen. Beispielsweise sehe ich es als sehr wichtig an, das Thema Ernährung bei den Auszubildenden anzusprechen. Und das ist nicht allein Sache des Unternehmens, sondern es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, das Thema anzugehen. Wir haben dem Ministerium vorgeschlagen, in einem Pilotprojekt die wesentlichen Themen im Sinne aktiver Gesundheitsförderung zu definieren. Die Krankenkassen würden festgelegte Gesundheitsfördermaßnahmen in Modulen zur Verfügung stellen, auf die Betriebsärzte zugreifen können. Es ist aus unserer Sicht ganz wichtig, Regeln für eine solche Verbundlösung bei der betrieblichen Gesundheitsförderung gemeinsam mit den Krankenkassen zu schaffen.
Was wären die wichtigsten Themen?
Panter: Das sind sicherlich Ernährung und Muskel-Skelett-Erkrankungen. Das sind die beiden großen Blöcke, die man als Erstes angehen sollte. Hier müssten niedrigschwellige Anreize geschaffen werden, damit jeder Einzelne in die Lage versetzt wird, eigenverantwortlich damit umzugehen. Wichtig ist natürlich auch, dass die Führungskräfte in den Unternehmen das Thema Gesundheit ein Stück vorleben. Indem diese sich selbst aktiv um ihre Gesundheit sorgen, geben sie auch ein Signal an ihre Belegschaft. Wir schulen zum Beispiel im Moment alle unsere Führungskräfte zum Thema seelische Gesundheit. Die Probleme in diesem Bereich nehmen zu, und deshalb ist es wichtig, dass die Führungskräfte dafür mehr sensibilisiert sind.
Das Gespräch führten
Dr. med. Birgit Hibbeler und Thomas Gerst.
@Der Appell im Internet:
www.aerzteblatt.de/101844
Zur Person
Seit 1999 leitet Dr. med. Wolfgang Panter (60) den „Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte e.V.“.
Geboren in Saarbrücken, studierte Panter Medizin in Homburg, Würzburg und Heidelberg. Nach dem Staatsexamen 1974 in Heidelberg folgten berufliche Stationen als Assistenzarzt in der Chirurgie, Inneren Medizin, Lungenheilkunde und Dermatologie.1978 begann Panter seine betriebsärztliche Laufbahn im Mannesmann-Konzern; seit 1984 ist er Leitender Betriebsarzt der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann GmbH.