BRIEFE
Robert Schumann: Falsche Diagnose


Die von Uwe Henrik Peters reaktivierte Verschwörungshypothese bezüglich der Unterbringung Robert Schumanns in der Endenicher Anstalt nährt zwar die Legende vom „Albtraumpaar“ der Romantik, erklärt jedoch nicht dessen fast zweieinhalbjähriges, schweres Siechtum. Ihr zufolge wurde er Opfer eines Komplotts zwischen seiner Frau Clara, deren Liebhaber Brahms und den Ärzten Dr. Hasenclever und Dr. Richarz. Als Auslöser benennt Peters zudem in seinen Schriften ein nicht erkanntes alkoholisches Delir. Symptomatik, Krankheitsverlauf und Obduktionsbefund sprechen jedoch eine andere Sprache: Kontinuierlich zunehmende Verwirrtheit, Erregungszustände, Wahnvorstellungen, halluzinatorische Erlebnisse, Sprechstörungen und andere neurologische Ausfälle lassen sich schwerlich mit Schumanns zweifellos empfindsam-kreative Persönlichkeit samt Neigung zu depressiven Verstimmungen und Alkoholkonsum in Verbindung bringen, noch weniger mit dessen vermeintlichen Gekränktheit, Frustration, Verbitterung und Isolierung in der Anstalt. Sämtliche Auffälligkeiten im Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Erleben und Verhalten des erst 45-jährigen Mannes lassen sich plausibel nur der Diagnose einer Neurolues infolge einer syphilitischen Infektion (wahrscheinlich während der Leipziger Studienzeit) zuordnen, die schließlich nach typischer Latenz etwa 1852 das Spätstadium einer progressiven Paralyse erreichte. Die jahrelang vorlaufenden Beschwerden, wie rasche Erschöpftheit, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Stimmungsschwankungen, Schwindel, Kopfschmerz und andere Beeinträchtigungen, entsprechen dem neurasthenischem Vorstadium einer Neurosyphilis, die im Übrigen jenseits des Primäraffekts nicht mehr ansteckend ist. Schumann selbst ahnte wohl, sich 1831 infiziert zu haben; Dr. Richarz – ein erfahrener Psychiater – war offensichtlich von dieser Diagnose überzeugt.
Literatur beim Verfasser
Prof. Dr. Dr. Theo R. Payk, 53177 Bonn