ArchivDeutsches Ärzteblatt41/2010Intensivmedizinische Peer Reviews: Qualitätsinitiative für Ärzte und Patienten

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Intensivmedizinische Peer Reviews: Qualitätsinitiative für Ärzte und Patienten

Braun, Jan-Peter

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Foto: Caro
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Ein freiwilliges Peer-Review-Verfahren soll die Versorgung und Sicherheit der Patienten auf Intensivstationen optimieren.

Die Intensivstationen gehören neben den Operationssälen zu den Bereichen mit der größten Prozessdichte im Krankenhaus. Hier werden kritisch kranke Patienten versorgt, deren vitale Funktionen akut beeinträchtigt sind. Das Überleben dieser Patienten hängt nicht zuletzt von einer adäquaten und zeitgerechten Behandlung ab, die dem aktuellen und belegbaren Stand medizinischen Wissens (evidenzbasierte Medizin) entspricht. Die Notwendigkeit, Intensivpatienten rund um die Uhr zu versorgen, bedingt die ständige Präsenz von Ärzten unterschiedlichster Disziplinen, Pflegekräften und Therapeuten.

Um die komplexen Versorgungsprozesse durch wechselnde Teams zu gewährleisten, sind präzise Kommunikationsstrukturen vonnöten, weil mehrmals täglich eine Vielzahl von Informationen verlässlich weitergegeben werden muss. Schnelles, koordiniertes und professionelles Handeln ist ebenso gefragt wie der sensible Umgang mit den Grenzbereichen der Medizin. Patienten und Angehörige in Extremsituationen müssen behutsam begleitet werden, auch die Anforderungen des neuen Patientenverfügungsgesetzes vom 1. September 2009 stellen die Versorgenden mitunter vor besondere Herausforderungen hinsichtlich der Umsetzung im Alltag.

Abstimmung unter Zeitdruck

Die vitale Bedrohung des Patienten führt dazu, dass sich wie in kaum einem anderen Bereich des Krankenhauses viele verschiedene Fachdisziplinen unter Zeitdruck leitlinienkonform aufeinander abstimmen müssen. Schnittstellen- und Abstimmungsprobleme von Prozessabläufen müssen durch möglichst hochstandardisierte Verfahren gelöst werden. Die Sicherstellung von Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen betrifft das Personalmanagement im gesamten medizinischen Personalbereich und stellt eine interdisziplinäre Herausforderung dar.

Seit 2006 haben sich zunächst in Baden-Württemberg und in Hamburg, 2009 in Berlin/Brandenburg intensivmedizinische Netzwerke gegründet. Auch Thüringen, wo man sich bereits seit mehreren Jahren mit der Qualitätsdarstellung und -analyse in der Intensivmedizin befasst, wird sich voraussichtlich dieser Initiative anschließen. Ziel der Netzwerke ist es, durch regelmäßigen Austausch evidenzbasiertes Wissen in den klinischen Alltag zu bringen, um die medizinische Qualität der Intensivversorgung zu steigern.

Als ein Werkzeug zur kontinuierlichen Verbesserung der Patientenversorgung haben die Netzwerke ein Verfahren intensivmedizinischer Peer Reviews entwickelt: Die Prozesse und Strukturen einer Intensivstation werden zunächst von deren Mitarbeitern systematisch über einen Fragebogen erfasst und danach von externen Experten (Peers) analysiert und bewertet. Dabei steht der kollegiale Aspekt, das gemeinsame Lernen in gegenseitigem Respekt, im Zentrum. Das Verfahren ist interdisziplinär konzipiert und stärkt die professionelle Autonomie der Beteiligten. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Fachdisziplinen und Berufsgruppen sowie die Patientenorientierung sollen dadurch gezielt gefördert werden.

Schon in der gerade laufenden Pilotphase zeigt es sich, dass das Verfahren der intensivmedizinischen Peer Reviews bei den Ärztinnen und Ärzten vor Ort zunehmend akzeptiert wird und sich als effektive Methode zur kontinuierlichen Qualitätsverbesserung bewährt. Gemeinsame berufsgruppenübergreifende Verantwortung, die Bereitschaft zur Transparenz und zum Voneinanderlernen, aber auch die absolute Vertraulichkeit gegenüber Dritten sichern den Erfolg der professionellen externen Evaluation und der sich daraus ableitenden Verbesserungsmaßnahmen.

Inhaltlicher Leitfaden des intensivmedizinischen Peer Reviews ist ein standardisierter Peer-Review-Erhebungsbogen, mit dem die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität einer Intensivstation systematisch überprüft wird. Dieser Erhebungsbogen wurde gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) erarbeitet. Man orientierte sich dabei an Fragenkatalogen aus klinisch anerkannten Zertifizierungsverfahren und an den intensivmedizinischen Qualitätsindikatoren, die von der DGAI und der DIVI bereits konsentiert wurden. Neben Aspekten der medizinischen Versorgungsqualität werden hier auch Wissenskompetenzen und die Anwendung evidenzbasierten Wissens, die ökonomische Transparenz und der optimale Ressourcennutzung berücksichtigt.

Konkrete Vorgehensweise

Eine Intensivstation, die sich einem Peer Review unterziehen möchte, muss zunächst die Zustimmung der Geschäftsleitung des jeweiligen Krankenhauses einholen. Dann meldet sie sich beim zuständigen regionalen Netzwerk oder einem Koordinator für einen Peer Review an. Grundsätzlich kann jede Intensiveinheit teilnehmen.

Der Koordinator stellt aus einem Pool von Peers ein Review-Team zusammen, das aus zwei Intensivmedizinern verschiedener Kliniken und einer Fachpflegekraft besteht, die jeweils eine Vertraulichkeitserklärung unterzeichnen. Bei der Auswahl der Peers wird darauf geachtet, dass die Kliniken, in denen die Beteiligten beschäftigt sind, nicht in unmittelbarer Konkurrenz zueinander stehen.

Zunächst bearbeitet die Intensivstation den Peer-Review-Erhebungsbogen in der Art und Weise eines internen Assessments. Anschließend unterzieht sich die Intensivstation dem externen Assessment – dem Vor-Ort-Besuch des Peer-Review-Teams, der das eigentliche Kernelement des Peer-Review-Verfahrens darstellt. Am Review nimmt seitens der besuchten Intensiveinheit das leitende ärztliche und pflegerische Personal teil. Nach einer ersten Vorstellungsrunde werden den besuchten Kollegen Fragen anhand des Erhebungsbogens zur Intensivstation gestellt.

Dabei werden von den Peers möglichst kurz und praxisnah alle Qualitätsfelder der Intensivmedizin abgefragt. In den Themenbereichen „Grundlagen/Organisation“, „Personal“ und „Patient“ werden jeweils Fragen zur Struktur- und Prozessqualität gestellt. Der Fragenbereich Ergebnisqualität ist unterteilt in Qualitätsindikatoren und Qualitätsziele. Die Peer Reviewer prüfen hierbei, inwieweit die Qualitätsindikatoren in den Strukturen und den Prozessen der Station etabliert sind. Abschließend sollen Fragen zum Controlling und zum Berichtswesen beantwortet werden. Für jede Frage werden je nach Umsetzungsgrad vom Review-Team Punkte vergeben.

Voneinander lernen

Nach Besprechung des Erhebungsbogens findet eine gemeinsame Begehung der Intensivstation statt. Die Reviewer verschaffen sich dabei einen Überblick über die Strukturen der Station und evaluieren anhand einer Prüfliste die Einhaltung intensivmedizinischer „Good Practice“. Nach der Ortsbegehung findet sich das Review-Team erneut mit dem Leitungsteam der Station zu einem Abschlussgespräch zusammen, in dem die besuchten Kollegen ein mündliches Feedback erhalten.

Im Anschluss an das Abschlussgespräch setzt sich das Peer-Review-Team zusammen, um einen konsentierten Abschlussbericht zu erstellen. Im Sinne einer strukturierten Analyse werden Stärken, Schwächen, Chancen und Gefahren (SWOT-Analyse) der intensivmedizinischen Einrichtung bewertet. Die erzielte Punktzahl nach Auswertung des Erhebungsbogens wird dem Bericht ebenfalls angefügt. Der Bericht wird dem Leitenden Arzt der Intensivstation zugestellt, der die Ergebnisse mit den Mitarbeitern besprechen sollte. Danach kann er entscheiden, ob er den Bericht der zuständigen Geschäftsleitung der Krankenhauses zukommen lässt.

Der Abschlussbericht kann der Krankenhausleitung und allen anderen Beschäftigten im Krankenhaus als Orientierungshilfe im Rahmen der kontinuierlichen Qualitätsverbesserungsprozesse dienen. Die besuchte Abteilung hat ihrerseits die Möglichkeit, mit einem Feedback-Bogen das Peer-Review-Team zu beurteilen.

Bestimmend bei diesem Vorgehen ist der kollegiale Gedanke des Voneinanderlernens und Sichweiterentwickelns. In diesem Kontext spielt es keine Rolle, dass die Peers durchaus in Krankenhäusern unterschiedlicher Versorgungsstufen beschäftigt sein können. Es geht darum, eine Intensiveinheit im Rahmen ihrer Möglichkeiten beziehungsweise ihres Versorgungsauftrags zu bewerten. Intensivstationen in Krankenhäusern der Maximalversorgung können ebenso gut oder weniger gut organisiert und strukturiert sein wie Stationen in einem Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung. Sich gegenseitig in der Beurteilung und in möglichen Lösungsansätzen zu unterstützen, ist das explizite Ziel des Peer-Review-Verfahrens.

Versorgung auf hohem Niveau

Die DGAI und der Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) unterstützen in der gegenwärtigen Pilotphase die Peer Reviews finanziell, personell und durch die Mitarbeit im wissenschaftlichen Arbeitskreis. Die Sektion Qualitätssicherung der DIVI begleitet diesen Prozess ebenfalls. Das gesamte Verfahren wird in Abstimmung mit der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) entwickelt, so dass eine interdisziplinäre Gestaltung gewährleistet ist.

Auch einige Ärztekammern unterstützen das Verfahren in der Pilotphase. So ist zum Beispiel die Projektstelle für die intensivmedizinischen Peer Reviews in Hamburg und Baden-Württemberg bei der jeweiligen Landesärztekammer angesiedelt. In Pilotlehrgängen wurden und werden dort in diesem Jahr künftige Peers nach dem bei der Bundesärztekammer in Entwicklung befindlichen „Curriculum Ärztliches Peer Review“ geschult.

Die Einführung eines Peer-Review-Verfahrens in der Intensivmedizin auf der Grundlage eines standardisierten, durch DGAI, BDA und DIVI verabschiedeten Erhebungsbogens ermöglicht es, evidenzbasiertes Wissen lokal anzuwenden und damit die Patientenversorgung auf hohem Niveau zu halten oder zu verbessern. Erstmalig werden auf diese Weise deutschlandweit regionale Kommunikationsplattformen für die Intensivmedizin geschaffen, in denen alle beteiligten Fach- und Berufsgruppen im Sinne einer verbesserten Patientenversorgung kooperieren.

Priv.-Doz. Dr. med. Jan-Peter Braun

Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt

operative Intensivmedizin

Charité – Universitätsmedizin Berlin für das Netzwerk Qualität in der Intensivmedizin – NeQui (www.nequi.de)

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