

Will man heutzutage etwas in Erfahrung bringen, so schlägt man kein profanes Lexikon mehr auf, sondern bedient sich des Internets, in dem das Wissen dieser Welt aufgelistet ist, die globale Gedankenkraft des Menschen überall und jederzeit zur Verfügung stellt. Würde man den Intelligenzquotienten des Internets messen, so käme sicher etwas Siebenstelliges heraus, daher ist es kein Wunder, dass einfach gestrickte Menschen wie ich gerne durch das Netz in der Hoffnung surfen, dass ein paar IQ bei einem hängen bleiben.
Heute will ich etwas über Ärzte in Erfahrung bringen, genauer: über Ärzteportale. Dort können Patienten ihre Ärzte empfehlen oder auch nicht, und zur feinsinnigen Differenzierung werden Schulnoten vergeben. Viele dieser Portale gibt es mittlerweile, daher ist es notwendig, sie von schräg unten zu durchleuchten. Ich klicke durch die gängigsten Seiten, und nach kurzer Zeit kommt vehemente Kritik in mir auf. Ein einziger Eintrag reicht aus, um einen verdienstvoll rackernden Kollegen, zerrieben zwischen Regelleistungsvolumen und Regress, vor einem Milliardenpublikum mit „mangelhaft“ zu brandmarken! Weil das Wartezimmer dem Patientenandrang nicht standhält und Wartezeiten von mehreren Wochen erduldet werden müssen! Das geht so nicht, im Zeitalter der RCTs sind singuläre Expertenmeinungen evidenzblasiert, es muss ein gerechter Ausgleich her. Ich kenne den Kollegen zwar nicht, aber aus Gründen der Kollegialität tippe ich eine neue Bewertung in das Portal, und schon heißt die Gesamtnote „ausreichend“. Das stachelt mich an. Listig wie ich bin, trenne ich die Verbindung zum Internet und wähle mich erneut bei meinem Provider ein, um so eine neue IP-Adresse zu erhalten. Des Weiteren wechsle ich den Browser und deaktiviere meine Cookies, um auch diese Möglichkeit der Nutzeridentifikation durch den Anbieter zu unterlaufen, so dass ich dem gescholtenen Kollegen zu einem „Gut“ verhelfen kann. Zufrieden und stolz blicke ich auf mein Werk.
Aber dann kommen Zweifel in mir hoch wie regurgitierte Magensäure. Ist der Kollege wirklich glücklich damit? Wird jetzt seine Praxis von Patienten gestürmt, die erfüllt sind von internetgeschürten Erwartungen? Befreiung wünschen von Rabattverträgen, Wartelisten, Minutenmedizin? Wird der Kollege gar verärgert darüber sein, dass jemand ihn in die missliche Lage gebracht hat, die Sprechstunde vom Minuten- auf einen Sekundentakt herunterzubrechen oder Hunderte von Kilometern zwecks Hausbesuchen fahren zu müssen? Um mitten im Quartal in die Fallzahlabstaffelung zu rauschen? Tiefe Reue über mein schändliches Tun breitet sich in mir aus wie ein Influenzavirus. Verzweifelt versuche ich, meine Bewertungen rückgängig zu machen. Es klappt nicht, es steht jetzt global und für immer im Netz. Was habe ich nur angerichtet!
Meine Frau hört mein Jammern und schaut mir über die Schulter. „Ach, du treibst dich in diesen Bewertungsportalen herum? Nimm das nicht so ernst, jeder mit gesundem Menschenverstand weiß doch, dass man nicht alles glauben darf, was dort steht.“ Wirklich?! „Und ob. Du kannst nie sicher sein, dass die Einträge nicht gefälscht sind.“ Was? Fälschungen? Das ist ja eine ungeheuerliche Schweinerei!
Dr. med. Thomas Böhmeke
ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.