ArchivDeutsches Ärzteblatt PP11/2010Interdisziplinäre Behandlungskonzepte bei ADHS: G-BA bringt neuen Auftrieb

EDITORIAL

Interdisziplinäre Behandlungskonzepte bei ADHS: G-BA bringt neuen Auftrieb

Bühring, Petra

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Die Hoffnung von Dr. med. Carl-Heinz Müller, Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), hat sich nicht erfüllt. Bei der Vorstellung des qualitätsgesicherten Versorgungskonzepts von Kindern mit dem Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) aus der KBV-Vertragswerkstatt im Mai 2008 äußerte er die Erwartung, das Konzept, bei dem regionale interdisziplinäre ADHS-Teams die Behandlung koordiniert und leitliniengerecht durchführen sollen, bald „bundesweit flächendeckend“ einführen zu können. Auch die Krankenkassenvertreter signalisierten damals großes Interesse. Zweieinhalb Jahre später ist man von diesem Anspruch weit entfernt, wobei hinzugefügt werden muss, dass die Kassen generell sehr zurückhaltend beim Abschluss neuer Versorgungsverträge sind, weil sie mehr denn je aufs Geld achten müssen. Doch scheint nun eine aktuelle Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Versorgungsverträgen, die eine strukturierte interdisziplinäre Versorgung bei ADHS ermöglichen, neuen Auftrieb zu geben.

Der G-BA hat mit der Änderung einer Arzneimittelrichtlinie vom 16. September beschlossen, dass der Wirkstoff Methylphenidat (Ritalin) bei der Behandlung von Kindern mit ADHS erst eingesetzt werden darf, wenn eine psychosoziale oder psychotherapeutische Behandlung nicht erfolgreich war. Hintergrund ist der unverhältnismäßige Anstieg an Verordnungen und die nicht absehbaren Nebenwirkungen des Medikaments. Methylphenidat darf auch dann nur im Rahmen einer therapeutischen multimodalen Gesamtstrategie eingesetzt werden, die auch psychologische, pädagogische und soziale Therapiekonzepte nutzt. Verordnet werden dürfen die Medikamente nur noch von Kinderärzten und Kinderpsychiatern. Der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Peter Lehndorfer von der Bundespsychotherapeutenkammer empfiehlt, die Kooperation zwischen diesen Ärzten und den Psychotherapeuten „deutlich zu intensivieren, damit die Schwere der Symptomatik von unruhigen Kindern richtig eingeschätzt wird“.

Eine therapeutische multimodale Gesamtstrategie scheitert in der Praxis oft eben an genau dieser Kooperation und auch am mangelnden Austausch mit Eltern, Lehrern oder Erziehern. Es sei denn, man arbeitet in einem interdisziplinären ADHS-Team, bespricht sich dort, bietet Elterntrainings an, bindet Lehrer und Erzieher mit ein und kooperiert mit Ergotherapeuten und Logopäden. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Baden-Württemberg hat im April 2009 einen solchen Versorgungsvertrag nach § 73 c SGB V mit der KBV und den Betriebskrankenkassen (BKK) Baden-Württemberg abgeschlossen – einer von bundesweit neuerdings zwei Verträgen. Der Vertrag wird im Ländle angenommen. Die Patientenzahlen steigen von Quartal zu Quartal: Eingeschrieben sind 1 248 Patienten, die im Team versorgt werden von 119 Kinderärzten, 28 Kinderpsychiatern, und 40 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und Psychologischen Psychotherapeuten. KV und BKKen verhandeln zurzeit darüber, ob der Vertrag weitergeführt wird. Der zweite interdisziplinäre ADHS-Versorgungsvertrag ist gerade in Nordrhein gestartet (siehe Artikel auf Seite 490). Ein Tropfen auf den heißen Stein und doch vielleicht ein Anfang. Denn eine qualitätsgesicherte Behandlung von Kindern mit ADHS kann nur so funktionieren.

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