ArchivDeutsches Ärzteblatt45/2010Marburger Bund: Voller Einsatz für das Streikrecht

POLITIK

Marburger Bund: Voller Einsatz für das Streikrecht

Flintrop, Jens

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Der Marburger Bund will bis hin zur Klage beim Bundesverfassungsgericht alles daransetzen, die 2006 erkämpften gewerkschaftlichen Rechte zu verteidigen.

Der Grund, warum der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) in seltener Einigkeit ein Gesetz zur Tarifeinheit fordern, ist für Prof. Dr. jur. Wolfgang Däubler eindeutig: „Die Initiative läuft darauf hinaus, die Berufsgewerkschaften mundtot zu machen und ihnen jede Aktivität über das Schreiben von Bittbriefen hinaus zu untersagen“, erklärte der Arbeitsrechtler der Universität Bremen zum Auftakt der 118. MB-Hauptversammlung in Berlin. Hintergrund: Der Marburger Bund (MB) dürfte seine Mitglieder nicht mehr eigenständig zu Streiks aufrufen, wenn der DGB/BDA-Vorstoß von der Politik umgesetzt wird. Dieses Recht soll dann in jedem Betrieb nur noch derjenigen Gewerkschaft zustehen, die die meisten Gewerkschaftsmitglieder vertritt – im Krankenhaus also so gut wie immer Verdi.

Für weitere drei Jahre an der Spitze: Ohne die Ärztetarife des Marburger Bundes gäbe es noch mehr unbesetzte Stellen in den Kliniken, betonte Rudolf Henke, Vorsitzender der Ärztegewerkschaft. Foto: Gustav Butenhoff
Für weitere drei Jahre an der Spitze: Ohne die Ärztetarife des Marburger Bundes gäbe es noch mehr unbesetzte Stellen in den Kliniken, betonte Rudolf Henke, Vorsitzender der Ärztegewerkschaft. Foto: Gustav Butenhoff

Das Recht, eine Gewerkschaft zu bilden und als solche zu agieren, sei hierzulande aber ein Grundrecht, das nicht eingeschränkt werden dürfe, betonte Däubler. Geradezu „grotesk“ sei das Argument der Initiatoren, wonach in Deutschland permanente Arbeitskämpfe konkurrierender Gewerkschaften drohten wie im England der 70er Jahre: „Deutschland ist eines der streikärmsten Länder der Erde“, berichtete der Arbeitsrechtler und verwies auf eine neuere Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Danach sind in Deutschland zwischen 2004 und 2007 jährlich gerade einmal sechs Arbeitstage je 1 000 Arbeitnehmer streikbedingt ausgefallen. Zum Vergleich: In Großbritannien waren es 27 Tage, in Frankreich 93, in Spanien 101 und in Kanada sogar 182.

Gefährdung des sozialen Friedens in Deutschland

„Es hat den Arbeitgebern doch gar nicht geschadet, dass der Marburger Bund im September 2005 die Tarifgemeinschaft mit Verdi aufgekündigt hat“, stellte Rudolf Henke heraus. Ganz im Gegenteil: „Ohne unser Engagement, ohne unsere Ärztetarife hätten wir heute 15 000 statt 5 500 unbesetzte Arztstellen in den Kliniken“, rief der MB-Vorsitzende den 200 Delegierten im Berliner Estrel-Hotel zu. „Damit haben wir einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit geleistet.“

Werde die DGB/BDA-Initiative Gesetz, könne Verdi künftig dem MB das eigene Handeln diktieren, warnte Henke: „Dies wäre weit schlimmer als die Situation vor 2005. Denn damals haben wir selbstständig entschieden, dass Verdi für uns handelt. Jetzt würden wir per Gesetz unter die Knute von Verdi gestellt.“ Dr. med. Frank Ulrich Montgomery (Hamburg), unter dessen Führung der MB damals den Schritt in die gewerkschaftliche Selbstständigkeit gewagt hatte, ergänzte: „Alles, was wir 2005 und 2006 erkämpft haben, soll nun wieder rückgängig gemacht werden.“

In einem einstimmig gefassten Beschluss forderte die Ärztegewerkschaft den Gesetzgeber und die Bundesregierung auf, dem Gewerkschaftsbund und den Arbeitgeberverbänden nicht nachzugeben und kein Gesetz zur Tarifeinheit auf den Weg zu bringen. „Wir werden bis hin zum Bundesverfassungsgericht alles daransetzen, dass ein solches Gesetz weder Wirkung noch Bestand hat“, heißt es darin. Man werde alle juristischen und übrigen Möglichkeiten als Gewerkschaft und als Berufsverband ausschöpfen, um diesen Anschlag auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit (Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz) zu vereiteln. „Die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland sind mündig, selbst zu entscheiden, welcher Gewerkschaft sie beitreten wollen und wem sie zutrauen, unter Beachtung der Verantwortung für die Gesellschaft und ihrer besonderen Verantwortung gegenüber dem Patienten ihre Interessen wahrzunehmen. Darauf haben sie einen verfassungsrechtlichen Anspruch, der auch durch den Gesetzgeber nicht eingeschränkt werden darf“, betonten die Delegierten. Keine andere Gewerkschaft sei dazu legitimiert, Tarifverhandlungen für die Ärztinnen und Ärzte an den Krankenhäusern zu führen. Eine Umsetzung des BDA/DGB-Vorschlags hätte eine massive Verschärfung innerbetrieblicher Konflikte und Streitigkeiten zur Folge, prognostizierten die Delegierten: „Der Marburger Bund lehnt eine solche Gefährdung des sozialen Friedens in Deutschland ab.

Ein „Riesenerfolg“ bei der Caritas

Auf sehr positive Resonanz unter den Delegierten stieß die Meldung, wonach die arbeitsrechtliche Kommission des Deutschen Caritasverbandes (Bundeskommission) am 21. Oktober die Übernahme des Tarifrechts des Marburger Bundes beschlossen hat. Damit werde die über vier Jahre währende wirtschaftliche Schlechterstellung von Ärztinnen und Ärzten an katholischen Krankenhäusern endlich beseitigt, heißt es im betreffenden Beschluss der Hauptversammlung. „Dies ist ein Riesenerfolg, auf den wir stolz sein können“, betonte Dr. med. Claus C. Nommensen (Niedersachsen), der die Anwendung der MB-Tarife als Vertreter der Mitarbeiterseite in der arbeitsrechtlichen Kommission mitverhandelt hatte. Dies sah Henke zwar grundsätzlich ähnlich, er äußerte sich aber auch sehr enttäuscht darüber, dass es zuvor „kein einziges Gespräch“ der Caritas-Dienstgeberseite mit der Ärztegewerkschaft in dieser Angelegenheit gegeben habe. „Die treiben den dritten Weg schon sehr, sehr weit“, kommentierte der MB-Vorsitzende und Mitglied des Bundestages.

Die Beschlüsse der arbeitsrechtlichen Kommission werden regional jedoch erst wirksam, wenn die sechs Regionalkommissionen sie übernehmen. Sowohl bei der Vergü

Klares Signal nach draußen: Einstimmig votieren die Delegierten gegen jede Einschränkung des Streikrechts. Der Marburger Bund will unabhängig bleiben. Fotos: Katja-Julia Fischer
Klares Signal nach draußen: Einstimmig votieren die Delegierten gegen jede Einschränkung des Streikrechts. Der Marburger Bund will unabhängig bleiben. Fotos: Katja-Julia Fischer
tung als auch bei den Arbeitszeiten sind regionale Abweichungen von bis zu 20 Prozent nach oben und unten möglich. Vor diesem Hintergrund appellierte die Hauptversammlung an die Regionalkommissionen, dem Beispiel der Regionalkommission Bayern zu folgen und den Beschluss der Bundeskommission schnellstmöglich umzusetzen, „damit endlich eine marktgerechte Vergütung der Ärztinnen und Ärzte in den katholischen Krankenhäusern in Kraft gesetzt wird“. Bundes- und Regionalkommission des Deutschen Caritasverbandes blieben weiterhin aufgefordert, auch alle übrigen Arbeitsbedingungen der Ärztinnen und Ärzte an den Marktstandard „TV-Ärzte“ anzupassen.

Kein Verständnis haben die Delegierten für die im GKV-Finanzierungsgesetz angekündigte Deckelung der Preise für Krankenhausleistungen. Angesichts der tatsächlichen Kostenentwicklung erhöhe sich dadurch der im Klinikalltag spürbare Rationalisierungsdruck weiter: „Statt einer erneuten Orientierung der Krankenhausvergütungen an der Entwicklung der Grundlohnsumme fordert der Marburger Bund die vollständige Berücksichtigung der vom Statistischen Bundesamt ermittelten Kostenentwicklung“, postulierten die Anwesenden. Die wachsenden Anforderungen an Klinikärzte und Pflegekräfte seien mit der Beschränkung der Zuwachsrate nicht in Einklang zu bringen. Die unvermeidliche Folge wäre ein erneuter Personalabbau in den Häusern: „Der Marburger Bund fordert die hundertprozentige Finanzierung der Personalkosten in den Krankenhäusern.“ Ebenso klar lehnten die Delegierten den vorgesehenen dauerhaften Vergütungsabschlag für gegenüber dem Vorjahr zusätzlich erbrachte Krankenhausleistungen ab.

Breite Rückendeckung für das Führungsduo

Als „ehrlichen Vertrauensbeweis“ wertete Rudolf Henke seine Wiederwahl zum Ersten Vorsitzenden mit 153 von 182 Stimmen. Der 56-jährige Internist aus Aachen hatte keinen Gegenkandidaten. Dr. med. Andreas Botzlar (42), Chirurg in München, wurde mit 173 von 189 Stimmen als Zweiter Vorsitzender bestätigt. Den neuen Bundesvorstand komplettieren Dr. med. Christoph Emminger (Bayern), Dr. med. Hans-Albert Gehle (Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz), Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Scholz (Hessen), Dr. med. Frank J. Reuther (Baden-Württemberg) und Dr. med. Sabine Ermer (Sachsen).

Jens Flintrop

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