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Organspende: Äußerungspflicht vorgeschlagen


Sollte der Staat verlangen, dass sich jeder Bürger zur Frage der Organspende erklärt? Um die Zahl der Organspenden zu erhöhen, hat der Deutsche Ethikrat Anfang November beschlossen, Empfehlungen zu einer möglichen Äußerungspflicht zu erarbeiten.
Ob sich eine Gesetzesänderung realisieren lässt, ist fraglich – trotz des für eine Diskussion gut gewählten Zeitpunkts: Im Mai hatte der Deutsche Ärztetag für eine Widerspruchslösung plädiert. Danach könnten Organe explantiert werden, wenn zu Lebzeiten nicht widersprochen wurde. Nach der geltenden erweiterten Zustimmungslösung muss der Verstorbene zu Lebzeiten oder Angehörige des Toten das Einverständnis erklärt haben. Die Nierenspende vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank W. Steinmeier im Sommer hat viel öffentliche Aufmerksamkeit auf das Problem Organmangel gelenkt, der Politiker stützt die Initiative des Ethikrats.
Dessen Vorstoß basiert auf dem Vorschlag des Vorgängergremiums von 2007. Es wollte die Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts bei einer reinen Widerspruchslösung durch ein Erklärungsmodell abschwächen: Die Bürger sollen in einem geregelten Verfahren zu einer persönlichen Erklärung aufgefordert werden und wissen, dass die Organentnahme dann erlaubt ist, wenn keine Erklärung vorliegt und Angehörige nicht widersprechen.
Der Vorschlag war damals sehr umstritten und hat nicht einmal zu einer Initiative der Gesetzesänderung geführt. Zwei frühere Anläufe, die Widerspruchslösung einzuführen, sind schon gescheitert: 1978 am Bundesrat, der den Entscheidungsdruck auf den Bürger für inakzeptabel hielt. 1994 verabschiedete die rheinland-pfälzische Landesregierung ein Transplantationsgesetz mit Widerspruchslösung – kurz bevor die Gesetzgebungskompetenz von den Ländern auf den Bund überging. Ein Sturm der Entrüstung verhinderte, dass das Gesetz je in Kraft trat. Im zähen Ringen um das Transplantationsgesetz haben alle bis 1997 international diskutierten Möglichkeiten, die Organentnahme zu regeln, einem Landes- oder Bundesparlament als Antrag oder Entwurf schon vorgelegen. Nur die erweiterte Zustimmungslösung war deutlich mehrheitsfähig.
Auch heute steht das Bundesgesundheitsministerium (BMG) offenbar hinter der Meinung des Gesetzgebers von 1997, der die Rechte der potenziellen Spender auf Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit, Freiheit des Glaubens und Weltanschauung durch die erweiterte Zustimmungslösung angemessen abgewogen sah mit den Rechten der Kranken. Annette Widmann-Mauz MdB (CDU), parlamentarische Staatssekretärin am BMG, knüpfte bei einer Veranstaltung des Ethikrats in Berlin an die von Minister Philipp Rösler bekannte Kritik an der Widerspruchslösung an: „Organspende sollte auf freier Entscheidung beruhen und ist weder eine moralische noch eine rechtliche Pflicht. Deshalb hätte ich Probleme, einen gesetzlich verordneten Zwang zur Äußerung zu konstruieren.“
Auch in der Ärzteschaft sind die Meinungen geteilt. Nach dem Votum des Ärztetages aber wird die Ständige Kommission Organtransplantation bei der Bundesärztekammer dem Vorstand in Kürze Vorschläge unterbreiten müssen, wie der Beschluss in ein Konzept zur Förderung der Transplantationsmedizin zu integrieren ist. Die Ständige Kommission favorisiert offenbar eine Art „Selbstbestimmungslösung“, die eine Erklärung zur Frage der postmortalen Organentnahme fördern soll – neben Struktur- und Qualitätsverbesserungen in der Transplantationsmedizin, welche das Vertrauen stärken sollen. Nach einem Plädoyer für die Widerspruchslösung klingt das nicht.