SUPPLEMENT: Reisemagazin
St. Tropez: Formel 1 auf dem Achterdeck


Eine Hafenstadt mit drei Gesichtern: sehen, gesehen und übersehen werden – ein Ortstermin am Jachthafen mit den begehrtesten Liegeplätzen des Mittelmeers.
Der Schönste ist er wirklich nicht. Aber es scheint ihn nicht zu scheren. Hauptsache, er wird gesehen, fotografiert, bewundert, wenn seine gut 40 Meter lange Jacht im alten Hafen von St. Tropez direkt vor den Restaurants festmacht: mit nacktem Oberkörper, kurzer Schlabberhose und ein paar Kilo zu viel auf den Hüften lehnt Formel-1-Magnat Flavio Briatore am Nachmittag auf dem Achterdeck über der Reling und sieht seinen Matrosinnen beim Festmachen zu. Das hat gute Gründe: Sie sind außerordentlich schön. Von den Schaulustigen am Kai aber wird nur er fotografiert: Ihn haben sie erkannt, über ihn tuscheln sie, auf ihn zeigen sie.
Wer nach St. Tropez kommt, will sehen – oder gesehen werden. Sonst wäre er nicht hier. Sie kommen, weil St. Tropez diesen ganz besonderen Klang hat: nach Sonne und Meer, nach leben und leben lassen, nach gewissem Stil und völliger Ermangelung dessen. Sie kommen, weil es in der nur 5 200 Einwohner zählenden Stadt alles gibt – vom Edel-Juwelier bis zum Fischverkäufer, vom Fachgeschäft für handgemachte Ledersandalen bis zu den Pracht-Boutiquen internationaler Nobelmarken in der Rue Sibili. Und vor allem, weil St. Tropez wirklich schön ist, frei von den anderswo an der Côte d’Azur so weit verbreiteten Hochhaus-Bausünden. Weil die Altstadt mit ihren engen Gassen erhalten ist – und weil es hervorragende Restaurants gibt.
Wer es sich leisten kann, kommt mit dem Schiff – wie Flavio Briatore. Wer schnell seekrank wird oder gerade keine Zehn-Millionen-Euro-Jacht zur Hand hat, nimmt das Auto und geht Schiffebegucken – und wundert sich schnell, wie diskret dann doch mancher Bootsbesitzer lebt. Nicht jeder trägt seine Haut zur Schau, im Gegenteil: Den Distinguierteren kommt es gelegen, wenn das Schiff lang und hoch genug ist, dass sie nicht gezwungen sind, auf Augenhöhe der Passanten an Deck auf ihren Sofas mit Allwetter-Kunstlederbezug zu lümmeln. Sie wechseln auf das Vorschiff oder auf das von Land aus kaum einsehbare Freideck zwei Etagen höher und haben dort ihre Millionärsruhe selbst im größten Kai-Trubel. Oder sie bitten Hervé le Fauconnier im Voraus, ihnen einen Liegeplatz etwas abseits vom ganz großen Rummel zuzuweisen. Er schaut dann, was er tun kann – und meistens findet er einen Weg. „Manchmal“, sagt der Adlige aus der Normandie, „ist der Mann, der den gefärbten Pudel ausführt, der Eigner. Aber manchmal ist es auch der, der den Müllsack an Land bringt. Die Bandbreite ist es, die unseren Hafen ausmacht: Fischer neben Superreich neben Supernormal. Sie mögen das. Und die Flaneure an Land lieben es.“
Le Fauconnier ist Hafenkapitän von St. Tropez, absoluter Herrscher über Poller, Stege und Kaimauern – über Liegeplätze, die mit Geld kaum zu bezahlen sind und von denen es mindestens zwischen Mai und Oktober immer zu wenige gibt. Meistens sind seine knapp 800 Plätze Monate im Voraus vergeben. „Bei 30-Meter-Schiffen können wir manchmal was machen, wenn die Warteliste nicht zu lang ist. Bei 75 Metern ist das schwieriger. Für solche Schiffe haben wir nur zwei Plätze.“ Er hangelt nach seinem Handy, das in der Brusttasche steckt, murmelt nicht sonderlich interessiert: „Ah, Flavio, buon giorno. Bene, bene.“ Und kurz darauf auf Französisch ungefähr so etwas wie: „Tut mir leid, nein, nur diese Nacht. Morgen sind wir schon voll.“
„Eine Reservierung“, betont er später, „ist ein Vertrag. Ich kann niemandem absagen, weil ein anderer kommen will.“ Und sei der noch so berühmt. Ziel ist es, den Hafen ständig in Bewegung zu halten: „Er ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor für die Gemeinde. Er spielt viel Umsatz ein – und mehr noch lockt er die Schaulustigen an, die ihr Geld im Ort ausgeben. Die aber kommen nur, wenn Betrieb ist, wenn den ganzen Tag über Boote an- und ablegen, große und kleine. Und wenn es ordentlich was zu Gucken gibt.“ Wie aufs Stichwort wendet ein neuer Riese im engen Becken, macht zwischen einer eleganten Riva-Jacht mit Heimathafen Georgetown auf Grand Cayman und einer Aicon aus London fest – und hat selber ausgerechnet Luxemburg als Heimathafen am Heck vermerkt. Von irgendwoher trötet das satte Horn eines anderen Schiffes, und außerhalb der Hafeneinfahrt röhren die Motoren von zwei Power-Booten.
Cathy Bruno muss sich um die Liegeplätze keine Sorge machen, und Jachten-Gucken interessiert sie längst nicht mehr. Sie macht sich jeden Morgen auf den Weg zum selben Boot am selben Steg ganz außen nahe der Befestigungsmauer des Vieux Port. Und anschließend schiebt sie ihre Sackkarre 200 Meter weit bis zu ihrem Verkaufsstand auf dem Markt von St. Tropez: Fangfrische St. Pierres und Doraden hat sie diesmal direkt beim Fischer erstanden, um sie einen halben Tag lang auf Eis gebettet an ihrem Stand anzubieten. „Wäre nicht schlecht, wenn heute zwei Doraden übrig blieben“, wünscht sie sich – damit sie sie zu Hause mit Tomaten und Zwiebeln im Backofen zubereiten kann. Das ist das Schöne an St. Tropez: Mag der Espresso in den Hafenblick-Cafés ein Vermögen kosten – keine 100 Meter weiter beginnt der ganz normale südfranzösische Alltag. Einheimische kaufen bei Cathy genauso wie Ferienhausmieter, Köche ebenso wie Jachtbesitzer. Neulich erst war einer da, so ein schlaksiger jungenhafter Typ, der aussah wie Bill Gates. Und kurz darauf wollte U2-Sänger Bono zwei Hummer haben: „Fast hätte ich ihn nicht erkannt!“ Und wenn nicht? Sie zögert keine Sekunde und lacht: „Dann wäre das auch egal gewesen!“
Henri Sié unterdessen ist ein besonders diskreter Mann. Seine Gemälde hängen an Bord vieler Jachten und in vielen Villen an Land. Zwischen 8 000 und 15 000 Euro nimmt er für jedes seiner expressiven Werke. Immer ist St. Tropez zu erkennen – mal der Strand von Pampelonne, mal die Silhouette der Altstadt, mal der Hafen. Sié pflegt einen ähnlichen Stil wie Ernst-Ludwig Kirchner, ihm gehört die älteste Galerie von St. Tropez. Aber Namen kommen ihm nicht über die Lippen. Wer Kunst von ihm besitzt? Auf welcher Jacht seine Landschaftsgemälde hängen? Er lächelt. „Habe ich mir nicht gemerkt“, sagt er und weiß es doch ganz genau. Das ist die andere Seite von St. Tropez, die von Format. Es ist der Spannungsbogen, der diesen Ort so interessant macht – die Briatores und die Siés, die einfachen Fischer und der kühle Fauconnier, die Schrillen und die Stillen.
Alain Rondini zählt zu den Stillen. Sein Großvater hat die „Sandales Tropéziennes“ erfunden, die Ledersandalen aus den vielen dünnen Riemchen, die Brigitte Bardot berühmt gemacht hat. Heute betreibt er die Schuhmacherei im Stadtzentrum. „Wissen Sie“, sagt er, „wahrscheinlich stimmt die Geschichte gar nicht. Wenn sie in St. Tropez war, lief Brigitte Bardot immer barfuß.“ Er lächelt. Seinem Geschäft tut die Ehrlichkeit keinen Abbruch. Der Laden in der Rue Georges Clémenceau floriert, und noch immer wird jeder einzelne Schuh von Hand gefertigt. Neulich erst war Penélope Cruz da. Den ersten Tag kam sie mit dem Auto, kaufte Sandalen, spazierte zu Fuß durch die Gassen, wurde bald erkannt, musste fortan auf Schritt und Tritt Autogramme geben. „Den nächsten Tag“, erzählt Hervé le Fauconnier, „kam sie mit der Jacht. Keine ganz riesige, aber eine schöne. Sie war an Deck, trug Sonnenbrille, genoss das Leben – und wurde nicht erkannt, obwohl alle Augen auf die Jachten gerichtet sind.“ War- um? Weil sie die Mülltüte an Land brachte. „Ein Hafen kann sehr diskret sein, ganz ohne dass man sich verstecken muss.“ Sogar dieser. Und vielleicht sogar gerade dieser. Helge Sobik
Informationen unter www.port-de-saint-tropez.com und www.ot-saint-tropez.com. Übernachtung im 4-Sterne-Hotel „La Ponche“, wenige Schritte vom Vieux Port ab 170 Euro, www.laponche.com.
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