ArchivDeutsches Ärzteblatt46/2010Sturzneigung älterer Menschen: Die Angst vor Stürzen erhöht das Risiko zu fallen

MEDIZINREPORT: Studien im Fokus

Sturzneigung älterer Menschen: Die Angst vor Stürzen erhöht das Risiko zu fallen

Vetter, Christine

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Viele ältere Menschen haben Angst zu stürzen, obwohl sie aus physiologischer Sicht kein erhöhtes Risiko dafür haben. Eine überschätzte Sturzneigung und die damit verbundenen Persönlichkeitsmerkmale sind ein Prädiktor für eine erhöhte Fallneigung, belegt eine prospektive Kohortenstudie. Wissenschaftler um Kim Delbaere (Sydney) untersuchten die Sturzneigung von 500 Männern und Frauen im Alter zwischen 70 und 90 Jahren (mittleres Alter 77,9 Jahre) mit Hilfe eines medizinischen, psychologischen und neuropsychologischen Assessments. Außerdem wurde das von den Studienteilnehmern erwartete Risiko mit der tatsächlichen Sturzneigung verglichen.

30 % der Teilnehmer waren im Jahr vor der Erhebung mindestens einmal hingefallen, 43 Prozent stürzten während des aktuellen Follow-ups. Die multivariate, logistische Regressionsanalyse ergab, dass sowohl das erwartete als auch das physiologische Sturzrisiko unabhängige Prädiktoren für tatsächliche Stürze sind.

Die Kohorte wurde entsprechend der Wahrnehmung ihres Sturzrisikos in vier Gruppen eingeteilt: die Energischen (n = 144), die Achtsamen (n = 202), die Ängstlichen (n = 54) und die Stoischen (n = 100). Fast keine Diskrepanz zwischen vermutetem und physiologischem Sturzrisiko gab es bei den energischen und den achtsamen Probanden. Die Ängstlichen dagegen hatten ein geringes physiologisches, aber ein hohes vermutetes Sturzrisiko, das in Relation zu depressiven Symptomen (p = 0,0029), neurotischen Wesenszügen (p = 0,026) und wenig ausgeprägter Führungspersönlichkeit (p = 0,010) stand. Bei den stoischen Teilnehmern dagegen lag die Zahl der Stürze unterhalb des errechneten physiologischen Risikos. Stoische Persönlichkeitsmerkmale wirken offenbar protektiv und sind mit einer optimistischen Lebenseinstellung (p = 0,001) und einem aktiven Lebensstil (p = 0,048) assoziiert.

Fazit: „Diese Studie zeigt, dass es bei der ärztlichen Betreuung von alten Menschen sinnvoll und notwendig ist, außer objektiven Risiken das subjektive Gefährdungsgefühl – hier die Sturzangst – bei der Betreuung mit zu beachten“, kommentiert Prof. Dr. med. Markus Gulich (Ulm). „Denn bei fast einem Drittel der Studienteilnehmer waren das objektive Risiko und die subjektive Sturzangst nicht konkordant. Diese Erkenntnis hat für die Beratung von Patienten und ihren Angehörigen große Bedeutung.“ Christine Vetter

Delbaere K et al.: Determinant of disparities between perceived and physiological risk of falling among elderly people: cohort study; BMJ 2010; 341:c4165, doi:10.1136/bmj.

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