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Gesundheitsreport: Risse in der Fassade


Die große Mehrheit der Bevölkerung bezeichnet die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens nach wie vor als gut und sehr gut. 70 Prozent sehen das so. Noch besser urteilen die Ärztinnen und Ärzte: 88 Prozent sind der Meinung, dass die Gesundheitsversorgung in Deutschland gut bis sehr gut sei. Das sind Zahlen aus dem fünften Gesundheitsreport, den der Finanzdienstleister MLP gemeinsam mit dem Meinungsforschungsinstitut Allensbach und der Bundesärztekammer dieser Tage in Berlin vorgelegt hat. Der Report soll einen Überblick darüber geben, wie zufrieden die Menschen in Deutschland mit der Gesundheitspolitik sind und wie sie die künftige Entwicklung der gesundheitlichen Versorgung einschätzen.
Beste Noten, demnach alles in Ordnung, könnte man meinen. Aber das ist noch nicht einmal die halbe Wahrheit. So gut die Leistungsfähigkeit des Gesundheitsystems immer noch eingeschätzt wird, so wenig Zutrauen haben die Menschen in die Fähigkeit der Politik, diesen Versorgungsstand auch zu sichern. 81 Prozent glauben nicht daran – bei der ersten Befragung dieser Art im Jahr 2005 waren es nur 65 Prozent. Dass die aktuelle Gesundheitsreform die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung langfristig auf solide Fundamente stellen kann, halten 75 Prozent der Bürger für eher unwahrscheinlich. Noch skeptischer sind die Ärzte: 93 Prozent haben Zweifel.
Wirklich überraschen können diese Ergebnisse nicht. Sie bestätigen allenfalls den langjährigen Trend, der lautet: Gute Versorgung durch die Ärzte, wenig überzeugende Leistungen der Politik. Letzteres spiegelt sich auch in der Befürchtung von immerhin zwei Dritteln der Ärzte wider, dass neben den therapeutischen Gesichtspunkten immer stärker wirtschaftliche Aspekte bei der Gesundheitsversorgung eine Rolle spielen könnten. 72 Prozent der Ärzte sehen bereits heute aufgrund des Kostendrucks ihre Therapiefreiheit bedroht.
Dazu passt die Sorge von 42 Prozent der befragten Bürger, dass ihnen medizinisch notwendige Leistungen vorenthalten werden könnten. 35 Prozent haben sogar den Eindruck, dass dies in Bezug auf die Behandlung oder Verordnung von Medikamenten bereits der Fall ist. Noch schwerer wiegen hier aber die Angaben der Ärzte: 62 Prozent der Niedergelassenen und 49 Prozent der Krankenhausärzte bejahten, dass es schon vorgekommen sei, dass sie bei Patienten aus Kostengründen auf Behandlungen verzichten mussten.
Diese Ergebnisse der Umfrage sind alarmierend – für die Ärzte und die Politik gleichermaßen. Denn wenn sich ein solcher Eindruck verfestigt, leidet das Vertrauen in die gute ärztliche Versorgung nachhaltig. Dies kann so niemand wollen, und deshalb sollte man hier gründlich nacharbeiten: Was meinen die Bürger genau? Welche Art von Behandlung und welche Verordnungen haben Ärzte vorenthalten? Und warum? Darüber gibt der Gesundheitsreport im Detail leider keine Auskunft. Leistungen unter Kostendruck nicht zu erbringen, die eigentlich notwendig wären, kann mehr oder weniger schwer wiegen. Für das Gesundheitswesen einer führenden Industrienation wäre es auf jeden Fall ein Armutszeugnis. Die Schweden, Niederländer und Schweizer haben da deutlich weniger Sorgen als ihre deutschen Nachbarn. Bis zu 80 Prozent vertrauen dort darauf, im Krankheitsfalle mit allem Notwendigen versorgt zu werden.
Josef Maus
Stv. Chefredakteur
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