ArchivDeutsches Ärzteblatt PP12/2010Therapieresistenz: Ursachenabklärung mit viel Zeit und Geduld

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Therapieresistenz: Ursachenabklärung mit viel Zeit und Geduld

Sonnenmoser, Marion

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Psychotherapie wirkt nicht immer. Dafür kann es viele Ursachen geben. Diese zu ermitteln, ist meist schwierig. Das Phänomen bedarf einer intensiveren Erforschung.

Psychotherapie, allein oder kombiniert mit Pharmakotherapie, ist ein anerkannt wirksames Heilverfahren bei psychisch-psychiatrischen Erkrankungen. Allerdings wirkt sie nicht immer. Bis zu einem Drittel der Patienten spricht auf Psychotherapie nicht an, selbst wenn anerkannte Therapieverfahren angewandt werden. Dies hat nicht nur Leid und Hoffnungslosigkeit seitens der Patienten, sondern auch Versagensgefühle und Frustration seitens der Behandler sowie hohe Belastungen des Gesundheitssystems zur Folge. Es liegt daher im Interesse aller, die Ursachen für „Therapieresistenz“ zu ermitteln und adäquate Strategien zu ihrer Reduzierung einzusetzen. Zur Ursachenermittlung bedarf es eines relativ aufwendigen Vorgehens, das hier am Beispiel der Erkrankung „Depression“ vorgestellt wird.

Zunächst gilt es, die Therapieresistenz festzustellen. Hierzu liegen unterschiedliche und uneinheitliche Auffassungen und Definitionen vor. Im Fall der Depression, die in der Regel mit Psychotherapie und Pharmakotherapie behandelt wird, gibt es (mindestens) zwei Definitionen. Die erste bezieht sich auf den Erfolg der Pharmakotherapie. „Nach der gebräuchlichsten Definition spricht man dann von Therapieresistenz, wenn depressive Syndrome bei Behandlung mit mindestens zwei Antidepressiva mit unterschiedlichem Wirkschwerpunkt in adäquater Dosierung über eine Dauer von jeweils mindestens vier Wochen unbeeinflusst bleiben“, sagen die Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. med. Max Schmauß und Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Messer vom Bezirkskrankenhaus Augsburg. Die zweite bezieht sich auf den Erfolg der Psychotherapie. Er wird mit Hilfe entsprechender Instrumente und Skalen ermittelt, die Auskunft über Veränderungen der Symptombelastung im Verlauf einer Therapie geben. Bei der Depression und anderen psychischen Erkrankungen wird pauschal von Therapieresistenz gesprochen, wenn die Symptombelastung innerhalb eines angemessenen Zeitraums (mindestens acht bis zwölf Wochen) nicht um 50 bis 70 Prozent zurückgegangen ist. Die Definition kann jedoch auch abgestuft erfolgen: Als Therapieresistenz (Nonresponse) wird üblicherweise eine 25-prozentige Besserung oder weniger, als partielle Therapieresistenz (Response) eine zwischen 26 und 49 Prozent liegende Besserung und als Ansprechen auf die Behandlung (Response) eine mindestens 50-prozentige Besserung oder mehr festgelegt.

Verschiedene Ursachen abklären

Die Ursachen für eine Therapieresistenz können in verschiedenen Bereichen liegen, die möglicherweise miteinander interagieren; zudem ist davon auszugehen, dass für eine Therapieresistenz in der Regel mehrere Ursachen zugleich verantwortlich sind. Zu den Ursachen, die abgeklärt werden müssen, zählen unter anderem:

  • Fehldiagnose: Möglicherweise handelt es sich nicht um eine Depression, sondern um Symptome schizoaffektiver oder schizophrener Erkrankungen. Es ist auch möglich, dass die Diagnose nicht ausreichend differenziert oder nicht in ihrer Interaktion mit anderen Faktoren gesehen wurde. So können Depressionen verschiedene Unterformen aufweisen und infolge anderer psychischer und körperlicher Erkrankungen, Stoffwechselvarianten oder als Wechsel- oder Nebenwirkung von pharmakologischen Behandlungen auftreten.
  • Komorbidität: Eine Depression kann mit psychischen und körperlichen Erkrankungen einhergehen, die den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen. Häufige komorbide psychische Störungen sind zum Beispiel Alkohol-/Substanzmissbrauch, Persönlichkeits- und Panikstörungen, häufige komorbide körperliche Erkrankungen sind beispielsweise Diabetes mellitus, koronare Herzkrankheiten, maligne Erkrankungen und chronische Schmerzen.
  • inadäquate Behandlung: Eine antidepressive Therapie kann sich unter anderem aufgrund einer zu kurzen Behandlungsdauer, einer zu niedrigen Medikamentendosierung, einer Abweichung von den Behandlungsleitlinien, eines evidenzbasierten Verfahrens, das nur unvollständig oder zu wenig intensiv verwendet wurde oder aufgrund des Verzichts auf ein evidenzbasiertes Verfahren als wirkungslos erweisen.
  • Patientenverhalten und therapeutische Beziehung: Als ungünstig für den Therapieerfolg sind mangelnde Compliance des Patienten und ein angespanntes, problematisches Arbeitsbündnis zu werten. Auch Patientenmerkmale wie Persönlichkeitsstörungen und bestimmte Charaktereigenschaften (zum Beispiel Neurotizismus), dysfunktionale Beziehungs- und Kommunikationsmuster, mangelnde soziale Unterstützung, schlechte psychosoziale Einbindung, negative Lebensereignisse, mangelnde Veränderungsmotivation, Reaktanz, sekundärer Krankheitsgewinn, Vorurteile gegenüber Psychotherapie, enttäuschte Erwartungen, Frustration und ein krankheitsförderliches Umfeld mindern die Heilungschancen.
  • Krankheitscharakteristika: Chronifizierung, schwere Ausprägung, früher Krankheitsbeginn, weitere Betroffene in der Familie, hohe Funktionalität der Symptome und mangelnde Verhaltensalternativen tragen zur Therapieresistenz bei.

Wirksame Behandlungsstrategien

Zur Abklärung und Beseitigung der möglichen Ursachen sollte immer mehrgleisig vorgegangen werden. Als pharmakologische Behandlungsstrategien bei einer Depression eignen sich beispielsweise die Hochdosierung von Antidepressiva, der Wechsel zu einem neuen Antidepressivum der gleichen oder einer anderen Klasse sowie Kombinations- und Augmentationstherapien (Antidepressiva in Kombination mit einem zweiten Antidepressivum beziehungsweise mit einem anderen Medikament, zum Beispiel Schilddrüsenhormone, Lithium, Antipsychotika, Stimulanzien, Östrogene, Benzodiazepine). Letztere dienen dazu, den Effekt eines Antidepressivums durch Kombination mit einem zweiten Medikament zu steigern. Gute Erfolge konnten außerdem mit nichtpharmakologischen Verfahren erzielt werden, bei denen beispielsweise bestimmte Nerven und Gehirnbereiche elektrisch stimuliert werden. Zu ihnen zählen unter anderem Elektrokrampftherapie, transkranielle Magnetstimulation, Vagusnervstimulation und tiefe Hirnstimulation. Darüber hinaus wirken Schlafentzugsbehandlung und Lichttherapie depressivitätsreduzierend. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass sämtliche Maßnahmen und Strategien ebenfalls Wechsel- und Nebenwirkungen haben und daher eigenständig zur Therapieresistenz beitragen können.

Die psychotherapeutische Behandlungsstrategie sieht den Einsatz nachgewiesen wirksamer und teilweise speziell für chronische Depressionen entwickelter Verfahren vor. Hierzu zählen beispielsweise die kognitive Verhaltenstherapie, die Interpersonelle Psychotherapie und das Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (Kasten). Bei ausgeprägter Therapieresistenz ist eine intensive stationäre Psychotherapie mit ergänzender störungsorientierter Behandlung komorbider Störungen sinnvoll und teilstationären oder ambulanten Therapieangeboten vorzuziehen. Neben spezifischen Therapieverfahren sollten zugleich unspezifische Verfahren eingesetzt werden, zum Beispiel motivierende Gesprächsführung. Mit ihrer Hilfe wird versucht, dem Patienten Widersprüche zwischen seinem momentanen, schädigenden Verhalten und seinen Zielen aufzuzeigen und ihn auf diese Weise zu einer konstruktiven Verhaltensänderung zu bewegen.

Darüber hinaus kann es sich lohnen, dem Widerstand, der Persönlichkeitsstruktur und den Motiven eines Patienten auf den Grund zu gehen, seine Motivation und Compliance durch Information und Aufklärung zu erhöhen, die therapeutische Beziehung und die psychosoziale Einbindung des Patienten zu verbessern, seine Selbstheilungskräfte und Ressourcen zu fördern sowie Angehörige und Bezugspersonen in die Behandlung miteinzubeziehen.

Mit der Krankheit leben lernen

Trotz aller Bemühungen ist bei vielen psychischen Erkrankungen eher selten mit einer vollständigen und anhaltenden Heilung zu rechnen. Vor allem bei stark beeinträchtigten Patienten kommt es höchstens zu einer partiellen Besserung, so dass sie ihr Leben lang mal mehr, mal weniger unter ihren Symptomen zu leiden haben. Es sollte daher ein Behandlungsziel sein, Patienten dabei zu helfen, sich darauf einzustellen, mit der Krankheit leben zu lernen und trotz allem eine befriedigende Lebensqualität zu erreichen. Zu berücksichtigen ist zudem, dass es sehr viele Ursachen für Therapieresistenz geben kann, die wiederum bei jedem Patienten individuell gelagert sein können. Die Ursachenabklärung kann daher einer Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen gleichen und sehr viel Zeitaufwand und Geduld erforderlich machen. Darüber hinaus bedarf es einer weiteren und intensiveren Erforschung des Phänomens, denn bisher existieren nur wenige Erkenntnisse zur Therapieresistenz bei verschiedenen psychisch-psychiatrischen Erkrankungen und demzufolge auch keine evaluierten, spezifischen Therapiemanuale.

Dr. phil. Marion Sonnenmoser

Kontakt: Prof. Dr. med. Max Schmauß und PD Dr. med. Thomas Messer, Bezirkskliniken Schwaben, Bezirkskrankenhaus Augsburg, Dr.-Mack-Straße 1, 86156 Augsburg, E-Mail: m.schmauss@bkh-augsburg.de, thomas.messer@bkh-augsburg.de

Depressionsbehandlung

Wirksame und spezielle Psychotherapieverfahren zur Behandlung der Depression:

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): Ein Ziel besteht in der Erkennung und Beeinflussung dysfunktionaler Kognitionen und Einstellungen, die Depressionen mitbedingen. Die Therapie beinhaltet unter anderem Psychoedukation, Selbstbeobachtung, Problemanalyse, kognitive Techniken, Aktivierung und Rückfallprophylaxe.

Interpersonelle Psychotherapie (IPT): Sie basiert auf verschiedenen psychotherapeutischen Ansätzen und geht davon aus, dass sich eine Depression in einem interpersonellen und psychosozialen Kontext entwickelt. Dementsprechend wird in der Therapie vorrangig an ungünstigen Kommunikations- und Beziehungsmustern gearbeitet.

Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP): Mit dieser Kurzzeittherapie werden Patienten in die Lage versetzt, die Konsequenzen ihres Verhaltens zu erkennen und Problemlösungsstrategien zu erlernen. Dabei helfen unter anderem Techniken wie Situationsanalyse, Verhaltenstraining und interpersonelle Strategien.

1.
Bauer M, Berghöfer A, Adli M: Akute und therapieresistente Depressionen. Heidelberg: Springer 2005.
2.
Schmauß M, Messer T: Therapieresistenz bei psychischen Erkrankungen. München: Elsevier 2009.
1.Bauer M, Berghöfer A, Adli M: Akute und therapieresistente Depressionen. Heidelberg: Springer 2005.
2.Schmauß M, Messer T: Therapieresistenz bei psychischen Erkrankungen. München: Elsevier 2009.

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