ArchivDeutsches Ärzteblatt51-52/2010Bundeskinderschutzgesetz: Nicht ganz ausgereift

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Bundeskinderschutzgesetz: Nicht ganz ausgereift

Bühring, Petra

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Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) hat gerade die Eckpunkte für ein Bundeskinderschutzgesetz vorgestellt. Für die junge Ministerin ist der Schutz der Kinder vor Vernachlässigung und Missbrauch „das wichtigste Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode“. Keine Frage: Allein 2009 wurden knapp 4 000 Fälle von Kindesmisshandlung der Polizei bekannt, die Dunkelziffer dürfte ungleich höher sein. Von den medienträchtigen Todesfällen ganz zu schweigen. Es ist der zweite Versuch, ein – dringend notwendiges – Bundeskinderschutzgesetz zu schaffen. Bereits 2008 hatte die Große Koalition einen Entwurf vorgestellt, der zunächst bei Experten auf massive Kritik gestoßen war und dann im Bundestagswahlkampf
2009 untergegangen ist. Ganz ausgereift scheint die Vorlage für das neue Gesetz noch nicht – viele Punkte sind unklar, andere nicht wirklich neu.

Zentraler Baustein in Schröders Entwurf ist der Einsatz von Familienhebammen. Sie sollen in bestimmten Fällen junge Familien nach der Geburt eines Kindes medizinisch und sozial betreuen, mit bis zu 15 Stunden gezielter Hilfe im Jahr. 30 Millionen Euro jährlich, über vier Jahre, stellt die Regierung dafür zur Verfügung. Verschiedene Modellprojekte haben die vorbeugende Wirkung von Familienhebammen in belasteten Familien gezeigt – insofern ist dieser „Baustein“ zu begrüßen. Auch die finanzielle Ausstattung ist neu und gut. Unklar ist indes, wie und mit welchem Geld Hebammen für die neuen Aufgaben fortgebildet werden sollen – eine Hebamme ist schließlich keine Sozialarbeiterin. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) kritisiert zudem, dass der Einsatz von Familienhebammen nicht im Rahmen des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) vorgesehen ist – mehr noch, der ÖGD werde in der Gesetzesvorlage nicht einmal erwähnt. Familienhebammen sollten beim ÖGD angestellt sein und nicht ohne Kontrolle arbeiten dürfen, meint Dr. med. Wolfram Hartmann, Präsident des BVKJ.

Ein weiterer wichtiger Punkt der Gesetzesvorlage ist die beschränkte Aufhebung der Schweigepflicht für Ärzte und Psychologen. Mit einer sogenannten Befugnisnorm für Berufsgeheimnisträger will die Familienministerin Klarheit bei der Weitergabe von Informationen an das Jugendamt schaffen, wenn ein begründeter Verdacht auf Kindeswohlgefährdung vorliegt. Ärzte brauchen hier dringend Rechtssicherheit, insofern ist eine bundeseinheitliche Lösung zu begrüßen. Grundsätzlich stellt § 203 Strafgesetzbuch (StGB) die unbefugte Informationsweitergabe an Dritte unter Strafe, weshalb in vielen Bundesländern eine spezielle Befugnis zur Weitergabe konstruiert wird, in anderen wieder nicht. Eine Durchbrechung der Schweigepflicht ist allerdings auch heute schon in Fällen eines rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) möglich.

Petra Bühring, Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik in Berlin
Petra Bühring, Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik in Berlin

Doch diese bisherigen strafrechtlichen Ausnahmekonstrukte sind nicht praxistauglich. Der Kinderarzt muss auch schon bei Verdacht auf Kindesmissbrauch straffrei handeln können und bei Kollegen oder auch bei Erziehern und Hebammen Informationen einholen können, die dazu geeignet sind, einen Verdacht zu erhärten oder auch zu zerstreuen. Dieser Austausch – ohne Einwilligung der betroffenen Eltern – ist zwar sinnvoll, heute aber genauso wenig erlaubt. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, Rechtssicherheit zu schaffen. In der Kinder- und Jugendhilfe geht Elternrecht häufig vor Kindeswohl – der Arzt sollte sich straffrei zum Anwalt der Kinder machen dürfen.

Petra Bühring
Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik in Berlin

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