ArchivDeutsches Ärzteblatt51-52/2010Von schräg unten: Ängste

SCHLUSSPUNKT

Von schräg unten: Ängste

Böhmeke, Thomas

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Die Neuverschuldung des kommenden Bundeshaushalts beträgt 57,5 Milliarden Euro und ist trotzdem nicht genug, um die Krankenkassen vor dem Siechtum zu retten. Wen wundert’s, dass unseren gesetzlich Versicherten eine lebensrettende Sofortabgabe droht. Das beunruhigt die Menschen, sie fürchten, von den Mangelerscheinungen des Gesundheitswesens dahingerafft zu werden. Und suchen Rat bei denen, die Kraft ihrer Ausbildung für Krankheit und Heilung zuständig sind. Zu mir kommt ein Patient, dessen tiefe Ängste über die aktuellen Entwicklungen unseres kränkelnden Gesundheitssystems sich in bedenklicher Weise auf seine Wortwahl abgefärbt haben: „Herr Doktor, das Geld wird immer knapper, die Beiträge zur Krankenversicherung steigen, muss man sich vor diesem Kapitaltunnelsyndrom fürchten?“ Nein, so versuche ich ihn zu beruhigen, ich gehe davon aus, dass die geplanten Remoneymationsmaßnahmen kurzfristig und erfolgreich sein werden. „Das glaube ich nicht. Wir Patienten sind doch dem ambulanten Infarkt und der Spitalkanalstenose hilflos ausgeliefert!“ Diese Krankheitsbilder will ich nicht leugnen, sind doch aufwendige Untersuchungen in spezialisierten Fachabteilungen auf Monate hin ausgebucht, besonders, wenn das DRG-System die Kosten nicht abbildet. Und Termine beim Facharzt dilatieren sich schon über Monate hinweg.

„Herr Doktor, ich habe trotzdem das Gefühl, es geht alles den Bach runter und die Politiker können es nicht richten. Der Chaosterinspiegel in Berlin sprengt doch alle Grenzen!“ Immer mit der Ruhe. Gesundheitspolitik ist ein sehr schwieriges Terrain, auf dem die Pharmafirmen infiltrieren, die Krankenkassen bulimieren, die Patientenverbände monieren und die Ärzte deprimieren. Aber ich bin voller Überzeugung, dass unser junger Gesundheitsminister alles zu einem gerechten Ausgleich . . . „Sind Sie wirklich sicher, dass unser Gesundheitssystem keine Kostenfraktur erleidet?“ Ja. „Dass unsere Politiker die gesetzliche Krankenverunsicherung nicht weitertreiben?“ Ja. „Sie sind aber optimistisch! Sie haben ja noch volles Vertrauen in unsere Politiker! Mal ehrlich, fürchten Sie keinen angelaphylaktischen Schock?“

Ich bin am Ende, zücke den Rezeptblock und verschreibe ein Antidepressivum. Für ihn und für mich.

Dr. med. Thomas Böhmeke
ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.

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