Karriere: Die Reportage
Kind und Karriere: „Ein Glücksgefühl“


Fotos: Georg J. Lopata
Normalerweise übernimmt diese Aufgabe ihr Ehemann, der sich seine Zeit aufgrund seines Berufs und der selbstständigen Tätigkeit relativ frei einteilen kann. So kann Cornelius weiterhin ausschlafen, obwohl seine Mama seit fünf Monaten wieder arbeitet. Nach einer Babypause von gut eineinhalb Jahren hat die junge Gynäkologin im Oktober 2006 eine Teilzeitstelle am nahe gelegenen Krankenhaus „St. Gertrauden“ in Berlin-Wilmersdorf angenommen. „Es ist ein Glücksgefühl, beides zu vereinen: das Muttersein und das Ärztinsein – auch wenn es manchmal sehr anstrengend ist“, sagt sie.
30 Stunden pro Woche ist Gaertner als Stationsärztin in der Gynäkologie des St.-Gertrauden-Krankenhauses tätig. An vier Tagen in der Woche beginnt für sie der Dienst um 7.30 Uhr und endet um 16 Uhr. Montags hat sie frei. Mit diesem Teilzeitmodell hat sich Esther Gaertner für eine der zahlreichen Dienstformen entschieden, die am St.-Gertrauden- Krankenhaus üblich sind. „Die Elternzeit und der Wiedereinstieg in den Beruf nach der Elternzeit werden von der Leitung sehr unterstützt”, erklärt sie. Fast alle Kolleginnen und Kollegen haben Kinder, und auch der geburtshilfliche Oberarzt wird demnächst ein Jahr Elternzeit nehmen. Für seine Vertretung steht Esther Gaertner derzeit trotz ihrer Teilzeitstelle in der Diskussion. Angeboten werden von der Klinikleitung Teilzeitmodelle mit 50, 66 oder 75 Prozent der sonst üblichen Arbeitszeit, wahlweise eine tägliche Arbeitszeit bis zum Mittag, ein freier Tag pro Woche bei sonst voller Arbeitszeit oder eine komplett freie Woche nach drei Wochen Arbeit.
„Ich genieße es, wieder eine Beziehung zu Patientinnen zu haben”, erzählt Gaertner, während sie Cornelius die Schuhe zubindet. Dann streicht sie ihm zärtlich durchs Haar. An die Zeit zu Hause mit dem Kleinen denke sie jedoch auch gern zurück. „Obwohl es zunächst eine komplette Umstellung war”, fügt sie hinzu. „Die eigenen Bedürfnisse standen plötzlich hintenan.“ Stress und auch Streit mit dem Ehemann seien nicht ausgeblieben. „Aber das ist wohl völlig normal, und langweilig war es mir in dieser Zeit nie“, lächelt sie. Für Abwechslung vom Babyalltag sorgte Gaertners berufliches Engagement während der Elternzeit: Die junge Gynäkologin absolvierte den Aufbaukurs Psychoonkologie und besuchte Kurse, um später die Zusatzbezeichnung „Palliativmedizin” zu erlangen. Zudem nahm Gaertner, die seit Jahren im Deutschen Ärztinnenbund (DÄB) aktiv ist, auch während ihrer Babypause an berufspolitischen Seminaren und Sitzungen des DÄB teil.
Nun bekommt Cornelius noch seine Mütze auf, aus dem Hausflur wird das rote Dreirad geholt – und los geht’s. Nach fünf Minuten Fußweg ist die Tagespflegestelle erreicht. Cornelius lässt sich in morgendlicher Routine die Stufen zur Wohnungstür hochtragen und Jacke und Schuhe ausziehen. Ein Küsschen noch für die Mama – dann ist er zwischen den anderen Kindern und den Spielsachen verschwunden. „Am Anfang war das nicht so”, erklärt Esther Gaertner, „da hatte er schon seine Eingewöhnungsprobleme. Aber jetzt ist er gern hier, und ich habe ein wirklich gutes Gefühl. Wenn ich in der Klinik bin, sind meine Gedanken nur selten bei Cornelius, weil ich weiß, dass er gut betreut wird.” Ein schlechtes Gewissen ihrem Kind gegenüber hat die junge Ärztin eigentlich nicht. „Höchstens manchmal, wenn es abends spät wird, oder wenn ich sehr müde bin und mir die Geduld fehlt“, räumt sie ein.
Heute wird die Ärztin aufgrund des Nachtdienstes ihren Sohn allerdings nicht mehr sehen. Abgeholt wird Cornelius gegen 16 Uhr von seinem Papa – wie an den meisten „normalen“ Tagen auch. So bleibt der Kindergartentag überschaubar. „Zwar endet meine Dienstzeit offiziell um 16 Uhr, zu Hause bin ich jedoch meist erst gegen 17.30 Uhr”, berichtet Gaertner. Das ist gerade noch rechtzeitig genug, um mit ihrem Sohn vor dem Schlafengehen noch Bücher anzuschauen, Türme zu bauen oder einfach rumzutoben. Schwierig wird es jedoch, wenn ihr Mann dienstlich unterwegs oder Cornelius krank ist. „Dann sind Kreativität und Organisation angesagt”, erklärt Gaertner lächelnd. „Man lernt dabei, um Hilfe zu bitten.” Verschiedene Betreuungsvarianten, von dem Abholen durch die Nachbarin hin zur Anreise der 600 und 800 Kilometer entfernt wohnenden Omas aus Mainz und dem Allgäu, kamen in den vergangenen Monaten bereits zum Einsatz. „Ausgefallen bin ich bisher noch nie“, sagt sie ein wenig stolz.
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Gefragt sei in dieser Hinsicht auch das Engagement der Krankenhausträger, da es gerade für ärztlich tätige Eltern oftmals sehr schwierig sei, während sämtlicher Dienstzeiten ihr Kind betreuen zu lassen. „Bei der Klinikwahl durch junge Ärzte und Ärztinnen wird die Familienfreundlichkeit eines Hauses in Zeiten des Ärztemangels zunehmend eine Rolle spielen”, ist Gaertner überzeugt. In diese Richtung weisen auch die Ergebnisse einer Online- Umfrage der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (BVMD) aus dem Jahr 2005. Danach wünscht sich der Großteil der Studierenden Kinder sowie familienfreundlichere Rahmenbedingungen durch geregelte Arbeitszeiten (Teilzeit) und Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Viele gaben an, sich ihren späteren Arbeitsplatz danach aussuchen zu wollen. (Kurz- und Langfassung der Umfrage unter: www.aerzteblatt-studieren.de Webcode: 07001).
Dann schaut Esther Gaertner auf die Uhr. Inzwischen ist es Mittag geworden und damit Zeit, sich auf den Weg in die Klinik zu machen. Um 14 Uhr beginnt ihr Dienst. Dort angekommen, wirft sie sich schnell den Kittel über. „Die Abende und Nächte auf einer gynäkologischen Station sind zum Teil sehr anstrengend, je nachdem, wie viel im Kreißsaal los ist”, sagt sie auf dem Weg dorthin. Eine Schwangere mit hellblauem Mutterpass in der Hand wartet bereits. Gaertner lässt sie herein, bittet noch um etwas Geduld und informiert die Hebammen. „Durch meine eigene Schwangerschaft habe ich ein tieferes Verständnis für die Befindlichkeiten von Schwangeren erhalten”, erklärt sie. „Und durch die Entbindung meines Sohnes ist mein Vertrauen in meine Fähigkeiten als Geburtshelferin gestiegen.”
Auch in diesem Dienst scheint wieder eine Entbindung anzustehen. Bis zum nächsten Morgen gegen acht Uhr wird Gaertner im Einsatz sein. „Dann bin ich meist ziemlich kaputt. Wenn ich dann zu Hause bin, schlafe ich gern erst einmal”, berichtet sie, „und der Rest des Tages gehört Cornelius.” Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Eine aktuelle Liste der Krankenhäuser mit Kinderbetreuungsangeboten im Internet: www.aerztinnenbund.de, Rubrik Kinderbetreuung
Infos und Adressen
* Kinderbetreuung: Auf der Website des DÄB e.V. kann man sich über Angebote zur Kinderbetreuung informieren. Die Liste, in der mehr als 100 Häuser zu finden sind, entstand durch eine Umfrage des DÄB: www.aerztinnenbund.de.
* Mentorinnennetzwerk: Unter dem Motto „Frauen fördern Frauen” begleiten und unterstützen erfahrene Ärztinnen Medizinstudentinnen und Berufsanfängerinnen, die ebenfalls Mitglied im DÄB sind, beim Studium, klinischer Tätigkeit und wissenschaftlicher Arbeit. Bewerbungen als Mentee an Prof. Dr. med. M. Schrader: gsdaeb@aerztinnenbund.de
* „Stiftung Dr. Edith Grünheit“: Seit 2005/06 fördert die Stiftung mit einem Volumen von jährlich 28 000 Euro Projekte und Aktionen des DÄB. Unterstützt werden sollen künftig besonders auch Ärztinnen mit Kind. Anträge an den DÄB (Dr. med. G. Benz)
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