ArchivMedizin studieren1/2007Kassenärzte: Muschelwährung und Honorarfrust

Politik

Kassenärzte: Muschelwährung und Honorarfrust

Maus, Josef

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Abrechnungsschock: Viele Kassenärzte erhalten deutlich weniger Honorar, als ihnen zustände. Foto: PeterWirtz
Abrechnungsschock: Viele Kassenärzte erhalten deutlich weniger Honorar, als ihnen zustände. Foto: PeterWirtz
Warum die niedergelassenen Ärzte nicht das bekommen, was sie verdienen – und wie es in Zukunft mit den Honoraren der Vertragsärzte weitergehen soll.

Wenn es um das Einkommen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte geht, halten sich mindestens drei weitverbreitete Irrtümer hartnäckig. Erstens: Das Honorar kommt direkt von den Krankenkassen. Zweitens: Die Ärzte bekommen alles bezahlt, was sie leisten. Drittens: Wenn die Ärzte mehr arbeiten, gibt es auch mehr Geld. Alles falsch. Die Wahrheit ist: Die Vertragsärzte haben zum Zeitpunkt der Leistungserbringung keine Ahnung, wie die einzelne Leistung bezahlt wird. Am Ende stellen sie oft genug fest, dass es für einen Teil ihrer Arbeit gar nichts gibt. Kein anderer freier Beruf unterliegt im Hinblick auf die Honorarsicherheit auch nur annähernd derartigen Unwägbarkeiten. Die Folge: zunehmende Frustration und wachsende Proteste gegen eine Honorarmisere, die eine Vielzahl von niedergelassenen Ärzten um die wirtschaftliche Existenz fürchten lässt.

Gesamtvergütung – und die Kasse ist fein raus
Was auf den ersten Blick wie reine Willkür erscheinen mag, hat seine Ursachen in der historischen Entwicklung der Vertragsbeziehungen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Mit der Gründung der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden die Einzeldienstverträge zwischen den Krankenkassen und den niedergelassenen Ärzten abgeschafft. An ihre Stelle trat der sogenannte Kollektivvertrag. Das heißt: Die Krankenkassen vereinbarten seit diesem Zeitpunkt mit den KVen auf einer gesetzlichen Grundlage Art und Umfang der kassenärztlichen Versorgung sowie eine Gesamtvergütung. Direkte Beziehungen zwischen Krankenkassen und Ärzten bestehen seither nicht mehr. Während sich die Kassen bis dahin die Ärzte aussuchen konnten, mit denen sie Verträge schließen wollten, durften fortan alle Ärzte, die Mitglieder einer KV und zugelassen waren, Kassenpatienten behandeln. Die „Einkaufsmacht“ der Krankenkassen war gebrochen, die KVen sicherten den Ärzten kollektiv „Lohn und Brot“.

Die neuen Vertragsbeziehungen hatten bei allen Vorteilen für die Ärzte aber auch einen latenten Nachteil, der erst in den letzten 20 Jahren offen zutage trat: die Gesamtvergütung, mit der die Ärzte bei der Behandlung ihrer Patienten auskommen müssen. Gesamtvergütung heißt: Die Krankenkassen zahlen einen vorher vereinbarten Betrag an die Kassenärztliche Vereinigung, mit dem im Wesentlichen alle Ausgaben für die vertragsärztlichen Leistungen in einem Quartal abgegolten sind. Wie viele Ärzte neu hinzukommen, wie viele Leistungen abgerechnet werden, muss die Kassen nicht mehr interessieren. Sie haben die Gesamtvergütung gezahlt und sind damit aus der Verpflichtung.

Wie wird aber nun das Geld an die Vertragsärzte verteilt? Als Grundlage für die Honorierung dient der sogenannte Einheitliche Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM). Diese Gebührenordnung wird in einem gemeinsamen Bewertungsausschuss von den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) erarbeitet. Der EBM bestimmt den Inhalt der abrechnungsfähigen Leistungen und ihr wertmäßiges in Punkten ausgedrücktes Verhältnis zueinander. Das heißt: Die kassenärztliche Gebührenordnung weist keine Geldbeträge für bestimmte Leistungen aus, sondern lediglich Punkte. Je höher die Punktzahl für eine Leistung ist, desto höher ist sie bewertet. Dabei wird angenommen, dass ein Punkt (in der aktuellen Kalkulation) 5,11 Cent wert sein soll. Das ist die Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Vereinfacht ausgedrückt ermittelt die Kassenärztliche Vereinigung den Wert eines Punkts, indem sie die Gesamtvergütung der Krankenkassen durch die Gesamtzahl der von den Vertragsärzten abgerechneten Punkten dividiert. Weil die Gesamtvergütung ein fest vereinbarter Betrag ist, sinkt der Punktwert immer dann, wenn viele Leistungen abgerechnet worden sind. So kommt es, dass – je nach Punktzahlvolumen – der an die Ärzte schließlich ausgezahlte Punktwert nicht 5,11 Cent beträgt, sondern häufig bis zu 30 Prozent niedriger liegt. Bevor die Ärzte aber wissen, wie hoch ihr Honorar tatsächlich ist, vergehen nicht selten sechs Monate. So lange dauert es, bis die Abrechnungen geprüft, gegebenenfalls korrigiert und mit Auszahlungspunktwerten versehen sind.

Am Ende reibt sich dann mancher Niedergelassene verwundert die Augen, wenn er seinen Honorarbescheid in den Händen hält. Er hat 50 bis 60 Stunden in der Woche gearbeitet, zahlreiche Patienten behandelt – und unterm Strich bleibt häufig viel weniger übrig, als er nach dem EBM eigentlich erwarten durfte. Ein Reaktionsmuster darauf ist in der „Branche“ als „Hamsterrad“ bekannt: Der Arzt bekommt weniger als erwartet, er rechnet im folgenden Quartal noch mehr Leistungen ab, um die Ausfälle zu kompensieren, und erhält die Quittung in Form von weiter fallenden Punktwerten. Die dramatischen Folgen dieser Vergütungssystematik hat letztlich der Gesetzgeber zu verantworten. Er hat im Zuge seiner vielen Gesundheitsreformen festgeschrieben, dass die Gesamtvergütung der Kassenärzte nicht stärker steigen darf als die Einnahmen der Krankenkassen aufgrund der allgemeinen Entwicklung der Löhne und Gehälter. In den letzten Jahren gab es deshalb keine oder nur miminale Steigerungen der Gesamtvergütungen. Demgegenüber stehen allerdings eine deutlich gestiegene Arztzahl, die (teuren) Fortschritte in der Medizin, eine längere Lebenserwartung der Patienten, eine Zunahme der multimorbiden chronisch Kranken und eine massive Verlagerung von stationären Leistungen in die ambulante Versorgung.

Dass die strikte Budgetierung der Honorarausgaben und der daraus folgende Punktwertverfall nicht länger zumutbar sind, hat die Politik inzwischen eingestanden. Ab dem Jahr 2009 soll es eine neue Gebührenordnung für Kassenärzte geben, die in Cent und Euro ausgewiesen ist. Ab diesem Zeitpunkt soll auch die Krankheitshäufigkeit berücksichtigt werden. Das heißt: Können die KVen nachweisen, dass höhere Honorarforderungen durch mehr Morbidität begründet sind, müssen die Krankenkassen das auch bezahlen. Dennoch wird der Gesetzgeber die ärztliche Leistungsmenge begrenzen. Es wird sogenannte Regelleistungsvolumen geben, die den Leistungsumfang der Praxen definieren. Innerhalb dieser Grenzen werden die Leistungen nach festen Eurobeträgen vergütet. Übersteigt die Abrechnung das Regelleistungsvolumen, werden die überschüssigen Leistungen nicht einfach gestrichen, sondern abgestaffelt honoriert. Immerhin: Nach Jahren der radikalen Deckelung ist eine etwas leistungsgerechtere Honorierung in Sicht. Josef Maus

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