Karriere: Die Reportage
Unfallchirurgin Dr. med. Christine Voigt: Exotin – das war einmal


Fotos: Franz Fender
Ein Zuckerpüppchen ist Dr. med. Christine Voigt (33) bestimmt nicht. Aber breite Schultern oder muskelbepackte Oberarme sucht man bei ihr ebenfalls vergebens. „Die braucht man in unserem Fach auch nicht unbedingt“, sagt die zierliche Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie, während sie zügig in Richtung OP-Trakt läuft. „Die meisten körperlich anstrengenden Tätigkeiten im OP sind mit einer entsprechenden Technik gut zu bewältigen. Da gibt es ausreichend Tricks. Und wenn die Kraft mal wirklich nicht ausreicht, habe ich keine Scheu, einen ,starken‘ Kollegen zu bitten“, fügt sie lächelnd hinzu, bevor sie mich schnell in die OP-Schleuse zieht.
Eine Bankartfraktur steht heute auf dem OP-Programm der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Diakoniekrankenhauses Friederikenstift in Hannover. Die operiert Voigt gemeinsam mit ihrem Chef, Prof. Dr. med. Helmut Lill. Dass Voigt als Frau am OP-Tisch der Unfallchirurgie steht, ist immer noch ein bisschen ungewöhnlich. Doch auch in diesem Fachgebiet wird umgedacht. Längst ist die Unfallchirurgie keine reine Männerdomäne mehr. Das macht sich auch im Friederikenstift bemerkbar. Noch vor fünf Jahren arbeitete Voigt hier als einzige Assistenzärztin in der Unfallchirurgie, mittlerweile hat sie vier Kolleginnen. „Anfangs hatte ich schon eine gewisse Exotenrolle inne und musste mich auch erst an die langen Arbeitstage gewöhnen“, erzählt Voigt. „Aber schnell war ich mittendrin.“
„Mittendrin“ ist Voigt in der Tat. Im Oktober vergangenen Jahres absolvierte sie ihre Prüfung zur Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie. Während ihrer Weiterbildungszeit arbeitete sie zudem wissenschaftlich, publizierte in nationalen und internationalen Fachzeitschriften. Ihre Habilitationsarbeit soll im Sommer fertig sein. Als Karrierefrau sieht sich Voigt jedoch nicht: „Eine Familie zu gründen, ist mir ebenso wichtig wie der Beruf.“ Ihre Karriere habe sie nicht bewusst geplant. Sie sei in diese Schiene eher „hineingerutscht“. „Bislang investiere ich schon viel Zeit und Kraft in Klinik und Wissenschaft“, räumt die Unfallchirurgin ein. Sie ist täglich zehn bis zwölf Stunden in der Klinik. „Es macht mir Spaß, und deshalb ist die Arbeit auch keine große Belastung für mich“, sagt Voigt und steht schon komplett umgezogen vor mir, während ich mir noch schnell Haube und Mundschutz schnappe.
Handschuhwechsel: Teamwork ist gefragt – nicht nur unter Kollegen, sondern auch mit den OP-Schwestern.
„Noch immer sind 95 Prozent der Bewerber männlich“. Helmut Lill
Voigts Alltag ist von ständig neuen Herausforderungen und „Szenenwechsel“ geprägt. War sie eben noch im OP, kann man sie schon bald beim Verbandswechsel auf der Station finden oder vertieft in wissenschaftliche Debatten mit ihren Doktoranden.
In der DGU ist Voigt vielfältig engagiert. Sie ist nicht nur Schriftführerin der Arbeitsgemeinschaft Arthroskopische Chirurgie, sondern auch des Jungen Forums. „Im Sommer werden wir gemeinsam mit den incoming Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie/ Unfallchirurgie (DGOU) erstmals eine Summer-School analog der im vergangenen Jahr von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie veranstalteten „Summer- School für Chirurgie“ organisieren“, erklärt Voigt. In Freiburg sollen Studierende der klinischen Semester das neue Fach Orthopädie/ Unfallchirurgie in interaktiven Vorlesungen und Hands-on-Workshops kennenlernen.
Zum Abschied nach Tipps für Studierende gefragt, antwortet Voigt: „Wählt ein Fach, das euch interessiert und von dem ihr begeistert seid. Mit Motivation und Engagement stellt sich dann auch der Erfolg ein – ganz gleich, ob man ein Mann oder eine Frau ist.“ Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
„Würden Sie erneut Unfallchirurg werden, wenn Sie jetzt Ihr Studium beenden würden?“
„Die Frage beantworte ich mit einem uneingeschränkten ,Ja’. Das Fach Orthopädie/Unfallchirurgie bietet eine äußerst breite Palette an klinischen konservativen und operativen Tätigkeitsfeldern. Die Wiederherstellung von durch Unfall oder Krankheit zerstörten Organsystemen und Gewebe stellt große Herausforderungen an den Einzelnen sowie das Team, vor allem unter zeitlichem Druck. Es gibt wenig Routine in der Routine. Trotz der modernen Technik, vom Mikroskop bis zum computergestützten Navigieren, bleibt der Unfallverletzte oder Erkrankte im Zentrum ärztlicher Bemühungen, um nicht nur die mechanische, sondern auch die psychische Belastung in den häufig langfristigen Behandlungsplan aufzunehmen.“
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