WISSENSCHAFT
Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie bei affektiven Störungen: Ein vielversprechendes Verfahren
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Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie ist ein neuartiges psychotherapeutisches Verfahren, das als Gruppentraining über acht Wochen angewendet wird. Die Effektivität wurde inzwischen in einer Reihe von klinischen Studien überprüft.
Depressionen schränken nicht nur die individuelle Funktionsfähigkeit ein. Die Erkrankung verursacht auch eine Vielzahl gesellschaftlicher und ökonomischer Probleme (1). Einer der Gründe hierfür ist ein häufiger rezidivierender oder chronischer Verlauf. Epidemiologische Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit von Rückfällen mit der Anzahl bisheriger Episoden rapide ansteigt, und Schätzungen gehen dahin, dass Patienten schon nach drei Episoden in der Vorgeschichte ein Risiko von annähernd 90 Prozent für das Auftreten einer weiteren Episode besitzen (2). Angesichts dieser Verläufe beschäftigt sich die Therapieentwicklung neben der Verbesserung von Maßnahmen zur Behandlung der akuten Depression zunehmend mit der Prävention weiterer Episoden.
Für die Prävention von Rückfällen konzipiert
Die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (Mindfulness-Based Cog- nitive Therapy, MBCT) (3) ist ein neuartiges psychotherapeutisches Verfahren, das vor einigen Jahren speziell für die Prävention von Rückfällen entwickelt wurde. Das achtwöchige, in Gruppen durchgeführte Programm kombiniert intensives Training von Achtsamkeitsmeditation nach dem Vorgehen des von Kabat-Zinn eingeführten und mittlerweile weit verbreiteten achtsamkeitsbasierten Stress-Reduktionsprogramms (Mindfulness-Based Stress Reduction, MBSR) (4) mit Elementen aus der kognitiven Therapie für Depression. Der von Teasdale, Segal und Williams entwickelte Ansatz leitet sich dabei direkt aus psychologischen Forschungsergebnissen zum Rückfallgeschehen ab.
Die Auslösung von Episoden scheint sich mit wiederholten Rezidiven zu verändern: Während erste Episoden häufig mit stressreichen Lebensereignissen in Zusammenhang gebracht werden können, werden für spätere Episoden meist keine derartigen Auslöser identifiziert. Psychologische Untersuchungen haben deutlich gemacht, dass eine Bahnung und Verfestigung depressiver Denkmuster in depressiven Episoden deren Verfügbarkeit und Reaktivierbarkeit auch in den Remissionsphasen erhöhen. Typische Muster depressiven Denkens treten dann zwar in den Hintergrund und sind nicht direkt beobachtbar. Mit zunehmender Anzahl vorheriger Episoden scheinen solche Muster jedoch immer leichter reaktivierbar zu werden. Bei Personen mit mehreren Episoden in der Vorgeschichte können die unterschiedlichen Aspekte negativen depressionstypischen Denkens schon infolge von beispielsweise leichten Stimmungsveränderungen und weitgehend automatisch, das heißt von Patienten häufig unbemerkt, wieder auftreten und virulent werden (5).
Ob negative Gedanken zu langfristigeren Veränderungen der Stimmung führen, hängt insbesondere davon ab, wie Patienten mit diesen inneren Prozessen umgehen. Ehemals depressive Patienten neigen dazu, auf negative Gefühlszustände mit zirkulärem Denken über deren Ursachen und Gründe zu reagieren. Diese grübelnde Beschäftigung führt zu Abwärtsspiralen von negativer Stimmung und hält so nicht nur den negativen Zustand aufrecht, sondern führt zu weiteren emotionalen Belastungen. Diesem zunehmenden emotionalen Stress begegnen Patienten dann häufig mit Vermeidung (Wegdrängen, zwanghaftes Sichablenken), eine Strategie, die langfristig ebenfalls zur Verschlechterung sowohl der inneren als auch möglicherweise der äußeren Situation beiträgt (6).
Training in Achtsamkeitsmeditation
Die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie ist speziell darauf ausgelegt, diese Prozesse zu beeinflussen. Teilnehmer sollen durch das Training in die Lage versetzt werden, in Zeiten mit Rückfallgefahr innere Zustände, die durch selbst-perpetuierende Muster grübelnden, negativen Denkens gekennzeichnet sind, besser und früher zu erkennen und sich von diesen zu lösen. Als wesentliches Instrument hierzu dient die Kultivierung von Achtsamkeit. Diese wird verstanden als eine Haltung, in der die Aufmerksamkeit auf die gegenwärtige Erfahrung ausgerichtet ist: von Moment zu Moment in einer offenen und nicht-bewertenden Weise.
Der Aufbau dieser Haltung erfolgt über ein intensives Training in Achtsamkeitsmeditation: Teilnehmer praktizieren über den Verlauf des achtwöchigen Programms verschiedene formelle und informelle Meditationsübungen für etwa eine Stunde pro Tag. Übungen in den frühen Phasen des Programms zielen darauf ab, Aufmerksamkeit und Konzentration zu verbessern und ein intensiveres Bewusstsein für Körperempfindungen, Emotionen und gedankliche Prozesse zu schaffen. Die nicht bewertende Beobachtung dieser Prozesse erlaubt Patienten, zunehmende Einsicht in das Zusammenspiel dieser Aspekte und ihre Rolle bei Stress und negativer Stimmung zu finden. Auf der Basis einer verbesserten Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit wird dann im weiteren Verlauf des Programms ein veränderter Umgang mit negativen Emotionen und Gedanken geübt.
Wesentliches Ziel ist hier die Kultivierung einer sogenannten dezentrierten Haltung, die Teilnehmern erlaubt, negative Gedanken als mentale Ereignisse zu sehen und damit den vermeidenden und nachgrübelnden Tendenzen entgegenwirkt. Akzeptanz und Offenheit gerade gegenüber aversiven Gefühlszuständen und Gedanken sind wesentliche Wirkprinzipien des Vorgehens. Patienten lernen zudem, eine achtsame Haltung als ersten Schritt stärker handlungsorientierter Bewältigungsformen (Durchführung angenehmer oder bewältigungsbezogener Aktivitäten) einzusetzen. Über die Verbesserung des Umgangs mit negativen Gedanken und Emotionen hinaus zielt das Training auf eine generelle Verbesserung der Selbstfürsorge und des Kontakts mit dem eigenen Erleben ab.
Erste Studien zur Wirksamkeit des Verfahrens
Erste Untersuchungen, die sich auf empirischer Ebene eingehender mit den Wirkungsmechanismen des Verfahrens beschäftigen, unterstützen die dem Training zugrunde liegenden Annahmen. Vermeidende Tendenzen nehmen ab, und es gibt Hinweise darauf, dass solche positiven Effekte durch Erhöhung der Achtsamkeit und des Selbstmitgefühls vermittelt werden (7). Die Effektivität des Verfahrens wurde mittlerweile in einigen klinischen Studien überprüft. Zwei von den Autoren des Verfahrens durchgeführte klinische Studien, in denen das Training mit üblichen Versorgungsmaßnahmen verglichen wurde, zeigten, dass es die Rückfallrate bei Patienten mit drei oder mehr Episoden in der Vorgeschichte etwa halbieren kann. Beide Studien untersuchten Patienten über einen Beobachtungszeitraum von einem Jahr nach der Behandlung und zeigten Reduktionen der Rückfallraten von etwa 70 Prozent bei Patienten, die lediglich die übliche Versorgung erhielten, gegenüber Rückfallraten von etwa 35 Prozent bei Patienten, die zusätzlich MBCT erhielten (8, 9).
Entsprechend der theoretischen Annahmen zur Entwicklung des Rückfallgeschehens gab es jedoch keine bedeutsamen Effekte bei Patienten mit nur einer oder zwei Episoden in der Vorgeschichte. Nachfolgende Untersuchungen haben diese Ergebnisse weitgehend bestätigt. Eine konzeptuelle Replikation der ursprünglichen Studien in Belgien erbrachte nahezu identische Ergebnisse (10). Eine Schweizer Replikation zeigte, dass MBCT im Vergleich zu gewöhnlichen Behandlungen die Zeit bis zum ersten Rückfall signifikant verlängert (11). In den Richtlinien des britischen National Institute for Health and Clinical Excellence wird MBCT aufgrund dieser Befunde als Verfahren der Wahl für die Rückfallprävention bei Patienten mit drei oder mehr vorhergehenden Episoden empfohlen.
Weitergehende klinische Studien haben jetzt damit begonnen, den Effekt des Verfahrens mit dem von Erhaltungstherapie mit Antidepressiva zu vergleichen. In einem in Großbritannien durchgeführten sogenannten Äquivalenztrial (12) ließen die Forscher depressive Patienten, die nach Behandlung mit Antidepressiva in Remission waren, entweder die medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva weiterführen oder baten diese, die Antidepressiva abzusetzen und an einem achtwöchigen MBCT-Programm teilzunehmen. Die Studie, in der die Teilnehmer über ein Jahr nach der Behandlungsphase beobachtet wurden, zeigte weitgehend identische Rückfallraten bei beiden Behandlungsverfahren mit leichten, aber nichtsignifikanten Vorteilen für die Behandlung mit MBCT, die sich gleichzeitig auch als kosteneffektiver als die medikamentöse Behandlung erwies. Ein derzeit laufender multizentrischer Trial derselben Gruppe mit höheren Teilnehmerzahlen und einer anschließenden Beobachtungsphase von zwei Jahren soll nun klären, ob die gefundenen Trends zugunsten von MBCT tatsächlich bedeutsam sind. Eine weitere Untersuchung mit vergleichbarem Design von der kanadischen Gruppe um Zindel und Segal steht kurz vor der Publikation.
Studien zur Wirksamkeit bei akuten Symptomen
Obwohl das Verfahren speziell für die Prävention von Rückfällen bei in vollständiger Remission befindlichen Patienten entwickelt wurde, haben einige kleinere Studien auch die Wirksamkeit bei Patienten mit persistierenden akuten Symptomen untersucht. Viele der Patienten mit stark rezidivierenden Verläufen leiden nach Abklingen voller Episoden unter residualen Symptomen oder erreichen nur kurzfristig Symptomfreiheit. Untersuchungen bei diesen Patienten geben wichtige Hinweise darauf, inwieweit die Anwendung generalisiert werden kann. Vorläufige Studien legen nahe, dass das Verfahren sowohl bei Patienten mit residualer Symptomatik als auch bei Patienten mit zuvor behandlungsresistenter Symptomatik und ausgeprägt chronischen Verläufen vielversprechende Effekte erzielen kann und damit für ein breiteres Spektrum persistierender Verläufe hilfreich sein könnte (13–16). Die Befundlage in diesem Bereich muss allerdings noch als vorläufig angesehen werden.
Ausgehend von den positiven Ergebnissen im Bereich der Depression und basierend auf der Annahme, dass die durch achtsamkeitsbasierte Therapien beeinflussten Prozesse auch bei anderen emotionalen Störungen von zentraler Bedeutung sind, werden achtsamkeitsbasierte kognitive Therapien zunehmend auch in ihrer Wirksamkeit zur Behandlung von anderen, oftmals mit Depressionen zusammen auftretenden emotionalen Störungen untersucht. So liegen etwa eine Anzahl von Untersuchungen vor, die positive Effekte achtsamkeitsbasierter kognitiver Therapien bei Angststörungen demonstrieren.
Nach einer aktuellen Metaanalyse (17) zeigen achtsamkeitsbasierte Verfahren äquivalente Effekte auf Angstsymptome und Depressionen, die in ihrer Ausprägung denen von bereits etablierten Verfahren weitgehend vergleichbar sind. Diese Befunde legen nahe, dass die durch Achtsamkeitsmeditation trainierten Aspekte der Aufmerksamkeit und Emotionsregulation globalen Vulnerabilitäten entgegenwirken, die in einem großen Spektrum von emotionalen Störungen relevant zu sein scheinen. Aktuelle Vorschläge zur Veränderung der Klassifikation von emotionalen Störungen berücksichtigen solche störungsübergreifenden Aspekte – erhöhte emotionale und kognitive Reaktivität und Neigungen zu grübelndem repetitivem Denken als Ausdruck einer erhöhten negativen Affektivität – in zunehmenden Maße. Sie lassen die Erforschung einer breiteren Anwendung von achtsamkeitsbasierten Verfahren als vielversprechend erscheinen.
Anschrift für die Verfasser
Dipl.-Psych. Heike Born, Bleichstraße 43,
65183 Wiesbaden
University of Oxford, Department of Psychiatry:
Dr. Thorsten Barnhofer
Dipl.-Psych. Heike Born, Wiesbaden
MEDLINE
1. | Mathers CD, Loncar D: Projections of global mortality and burden of disease from 2002 to 2030. PLoS Medicine 2006; 3: 2011–30. MEDLINE |
2. | Solomon DA, Keller MB, Leon AC, Mueller, TI, Lavori PW, Shea MT et al.: Multiple Recurrences of Major Depressive Disorder. American Journal of Psychiatry 2000; 157: 229–33. MEDLINE |
3. | Segal ZV, Williams JMG, Teasdale JD: Mindfulness-based cognitive therapy for depression: a new approach to preventing relapse. New York: Guilford 2002. |
4. | Kabat-Zinn J: Full catastrophe living. New York: Dell Publishing 1990. |
5. | Scher CD, Ingram RE, Sega, ZV: Cognitive reactivity and vulnerability: Empirical evaluation of construct activation and cognitive diatheses in unipolar depression. Clinical Psychology Review 2005; 25: 487–510. MEDLINE |
6. | Nolen-Hoeksema S, Wisco BE, Lyubomirsky S: Rethinking Rumination. Perspectives on Psychological Science 2008; 3: 400–24. |
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