Hintergrund: Krebserkrankungen sind heute die häufigste Todesursache bei HIV-infizierten Menschen. Ziel dieser Studie war es, aktuelle Daten zur Epidemiologie der Aids-definierenden (AD) und nicht-Aids-definierenden (NAD) Malignome bei HIV-positiven Patienten in Deutschland zu sammeln.
Methode: In den Jahren 2000 bis 2007 wurden alle auf die Behandlung von HIV-Patienten spezialisierten Arztpraxen (n = 189) und Klinikambulanzen (n = 35) in Deutschland angeschrieben. Sie wurden in mehreren Beobachtungsperioden mittels eines strukturierten Fragebogens zur Inzidenz von Malignomen bei HIV-Patienten befragt.
Ergebnisse: 552 Datensätze zu inzidenten Malignomen wurden gemeldet. 253 (45,8 %) der Malignome waren AD. Unter den 299 Fällen (54,2 %) von NAD-Malignomen waren 214 solide Tumoren einschließlich 71 Analkarzinome (entsprechend 23,7 % aller NAD-Malignome) und 85 Hämoblastosen einschließlich 29 Hodgkin-Lymphomen (9,7 % aller NAD-Malignome). Der hohe Anteil der NAD-Malignome war konstant über alle Beobachtungsperioden. Nach 2001 wurde nur noch ein Fall eines primär zerebralen Lymphoms registriert. Die Anzahl der Patienten mit Hodgkin-Lymphom stieg von 2000 bis 2007 konstant an.
Schlussfolgerung: Das Spektrum der HIV-assoziierten Malignome hat sich gegenüber der Frühzeit der HIV-Epidemie gewandelt. In Deutschland haben die NAD-Malignome die Häufigkeit der AD-Malignome überstiegen. Insbesondere Analkarzinome und Hodgkin-Lymphome treten bei HIV-Infizierten deutlich häufiger auf als in der Normalbevölkerung. Für HIV-Infizierte ist eine intensivere Krebsvorsorge als bei nichtinfizierten Menschen erforderlich.


Seit den frühen Achtzigerjahren ist der Zusammenhang von HIV beziehungsweise der Immunschwächekrankheit Aids und Krebs bekannt (e1). Insbesondere das Kaposi-Sarkom, das invasive Zervixkarzinom und Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) traten in großer Häufigkeit unter HIV-infizierten und immungeschwächten Menschen auf. Seit der Einführung der kombinierten antiretroviralen Therapie (cART) im Jahre 1996 hat sich nicht nur die Morbidität und Mortalität der HIV-Infektion dramatisch geändert, sondern insbesondere auch das Spektrum der bei HIV-infizierten Patienten beobachteten Malignome. Seither ist die Inzidenz der Aids-definierenden (AD) Malignome kontinuierlich zurückgegangen, wohingegen die Inzidenz anderer Malignome, wie zum Beispiel Hodgkin-Lymphom, invasives Analkarzinom, Lungenkrebs, Hautkrebs und hepatozelluläres Karzinom zu einer neuen Herausforderung für die HIV-Behandler wurden (1). Heute sind Krebserkrankungen die häufigste Todesursache bei HIV-infizierten Menschen (2), außerdem sind sie eine der häufigsten Ursachen für eine Hospitalisierung (3). Das verlängerte Überleben HIV-infizierter Patienten durch cART erklärt nur zum Teil die ansteigende Inzidenz der NAD-Malignome. Die Genese dieser Tumore ist sehr variabel. Einige sind assoziiert mit onkogenen Viren (unter anderem Hodgkin-Lymphom, Analkarzinom), andere werden beeinflusst von Umweltfaktoren wie Rauchen und Sonneneinstrahlung (zum Beispiel Lungenkrebs, Hautkrebs). Die Häufigkeit der NAD-Malignome wurde in den letzten Jahren immer besser beschrieben, die genauen Zusammenhänge sind jedoch weiter unklar (3–8). In Deutschland wurden in den letzten Jahren richtungsweisende Untersuchungen zur Behandlung HIV-assoziierter Lymphome durchgeführt (9–12), jedoch existieren kaum Daten zur Epidemiologie HIV-assoziierter Krebserkrankungen in Deutschland (13–15). Ziel der Untersuchung war es, frühere von der Arbeitsgruppe in den Jahren von 2000 bis 2003 erhobene Daten zur Epidemiologie der Aids-definierenden (AD) und nicht-Aids-definierenden (NAD) Malignome bei HIV-positiven Personen in Deutschland zu aktualisieren und auf eine breitere Grundlage zu stellen, sowie deren Entwicklung im Laufe des letzten Jahrzehnts zu beschreiben. Die Ergebnisse der Autoren sind die Grundlage für eine dringend erforderliche, aktuelle Empfehlung zum Tumor-Screening bei HIV-positiven Personen.
Patienten und Methoden
Im Jahr 2000 hat die Kerngruppe „HIV und Onkologie“ der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der HIV-Versorgung (dagnae e.V.) in Kooperation mit dem Berufsverband der niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland (BNHO) ein Projekt zur Schaffung einer Datenbank HIV-assoziierter Malignome initiiert. Als Instrument wurde ein einfach strukturierter Arztfragebogen entwickelt und an alle dagnae-Mitglieder sowie alle HIV-Ambulanzen in Deutschland (n = 35) zu folgenden Zeitpunkten verschickt: einmal im Jahr 2002 für den Inzidenzzeitraum 2000 bis 2001, einmal 2003 für den Zeitraum 2002, einmal im Jahr 2006 für den Zeitraum 2005 und einmal im Jahr 2008 für den Zeitraum 2007. Zusätzlich war der Fragebogen für die HIV-Ärzte und Mitglieder der dagnae über die dagnae-Website und die quartalsmäßigen Rundbriefe in diesen Jahren abrufbar. In Deutschland sind anhand des Mitgliederverzeichnisses der dagnae 189 Praxen mit insgesamt 235 ordentlichen Mitgliedern zur Behandlung von HIV-positiven Patienten registriert.
Der Fragebogen wurde einfach gestaltet, um eine möglichst hohe Rücklaufquote zu erhalten (Tabelle 1 gif ppt). Gefragt wurde nach allen inzidenten Aids- sowie nicht-Aids-definierenden hämatologischen Neoplasien und soliden Tumoren bei HIV-Patienten. Erfasst wurden der Diagnosezeitpunkt der Tumorerkrankung, das Tumorstadium, die Tumortherapie und das Therapieansprechen. Weitere Parameter waren das CDC-Stadium (Centers of Diesease Control) der HIV-Erkrankung und ab dem Jahr 2002 auch das Geschlecht.
Alle statistischen Analysen wurden mittels der SPSS-Software durchgeführt (Release 16.0; SPSS Inc., Chicago, Illinois). Es wurden überwiegend deskriptive statistische Methoden gewählt (Mittelwert, Median, Spannweite, Standardabweichung). Zusammenhänge zwischen einzelnen Variablen wurden mittels Chi-Quadrat-Test evaluiert. Die Ergebnisse der statistischen Tests wurden als statistisch signifikant gewertet bei einem zweiseitigen p-Wert nicht über 5 Prozent.
Ergebnisse
Die Fragebögen wurden von 111 Zentren zurückgesandt (27,3 Prozent Klinikambulanzen; 72,7 Prozent Praxen). Dies entspricht einer Rücklaufquote von 49,6 Prozent aller Zentren. Im Beobachtungszeitraum wurden Daten zu 542 Patienten mit 552 evaluierbaren Datensätzen gemeldet. Zu zehn Patienten wurden je zwei Datensätze wegen zwei verschiedenen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgetretenen Malignomen ausgewertet. Von 367 Patienten lagen Daten zum Geschlecht vor. 89 Prozent der Personen waren männlich. Die Mehrzahl der Patienten hatte eine fortgeschrittene HIV-Erkrankung (CDC-Stadium C3) und somit bereits das Vollbild Aids erreicht. Der Anteil der Patienten mit Stadium C3 sank jedoch im Beobachtungszeitraum von 58 Prozent im Jahr 2000 auf 36,8 Prozent im Jahr 2007.
253 (45,8 Prozent) der gemeldeten Malignome waren Aids-definierend: 132 Kaposi-Sarkome, 109 aggressive B-Zell-Lymphome, 12 invasive Zervixkarzinome. Unter den aggressiven B-Zell-Lymphomen waren 28 Burkitt-Lymphome, 30 diffus großzellige B-Zell-Lymphome, neun Castleman-Erkrankungen und acht primär zerebrale Lymphome (Grafik 1 gif ppt).
Unter den 299 Fällen (54,2 Prozent) von nicht Aids-definierenden Malignomen fanden sich 214 solide Tumoren (Grafik 2 gif ppt) einschließlich 71 Analkarzinome (entsprechend 23,7 Prozent aller NAD-Malignome) und 85 Hämoblastosen einschließlich 29 Hodgkin-Lymphome (entsprechend 9,7 Prozent aller NAD-Malignome). Der hohe Anteil der NAD-Malignome war konstant über alle Beobachtungsperioden (Tabelle 2 gif ppt).
Bei Betrachtung sowohl der AD als auch der NAD-Malignome im Verlauf der Beobachtungsjahre von 2000 bis 2007 zeigte sich bei den meisten Subtypen keine Veränderung der relativen Häufigkeit. Anders bei den primär zerebralen Lymphomen und dem Hodgkin-Lymphom: nach 2001 wurde nur noch ein Fall (von insgesamt acht Fällen) eines primär zerebralen Lymphoms registriert. Die Anzahl der Patienten mit Hodgkin-Lymphom stieg kontinuierlich von drei Fällen im Jahr 2000 bis auf acht Fälle in 2007.
Diskussion
Zu Beginn der Aids-Pandemie in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde bei den betroffenen Patienten eine hohe Inzidenz von Kaposi-Sarkomen, invasiven Zervixkarzinomen und Non-Hodgkin-Lymphomen beobachtet. Andere Malignome waren vor 1995 mit weniger als einem Drittel aller Krebsfälle bei HIV-Patienten eher selten (16). Diese Beobachtung berücksichtigte man bei der Definition der Aids-Stadien. Das Vorliegen einer dieser Krebsdiagnosen wird als „Aids-definierend“ bezeichnet und führt zur Einordnung in die höchste klinische Kategorie C in der CDC-Stadieneinteilung der HIV-Infektion.
Das wichtigste Ergebnis der vorliegenden Evaluation ist die Beobachtung, dass nicht Aids-definierende Malignome in Deutschland häufiger auftreten als die klassischen Aids-definierenden Malignome. Die Häufigkeit HIV-assoziierter Malignome ist stabil im Zeitraum der Jahre von 2000 bis 2007 in der untersuchten Patientenkohorte. Zwar stellt das Kaposi-Sarkom mit 132 Fällen immer noch die größte Entität innerhalb aller Krebserkrankungen bei HIV-Infizierten dar, noch vor den aggressiven Lymphomen mit 109 Fällen. Auffällig ist jedoch mittlerweile die große Anzahl von Analkarzinomen, Hauttumoren, Bronchialkarzinomen und Hodgkin-Lymphomen. Auch andere, klassische Krebserkrankungen von nicht immunsupprimierten Menschen, wie zum Beispiel gastroösophageale Karzinome (acht Patienten), Brustkrebs (sieben Patientinnen) oder Urothelkarzinome (sechs Patienten) wurden beobachtet.
Zusammengefasst sind die NAD-Malignome bei HIV-Infizierten zwei- bis dreimal häufiger als in der Allgemeinbevölkerung, wobei es eine große Variationsbreite je nach Tumorart und Geschlecht gibt (8). Die Gründe hierfür sind vielgestaltig. Zum einen spielt das durch die erfolgreiche cART verlängerte Überleben der HIV-Infizierten eine entscheidende Rolle. Erst seit Einführung der cART wird die Masse der HIV-Patienten so alt, dass sie NAD-Malignome überhaupt erleben können. Eine weitere mögliche Ursache für das dauerhaft erhöhte Risiko für bestimmte Krebsarten unter den HIV-infizierten Personen ist die höhere Prävalenz traditioneller Risikofaktoren für Krebs, wie zum Beispiel das Rauchen (45 bis 50 Prozent), hoher Alkoholkonsum (10 bis 15 Prozent) und Koinfektionen mit onkogenen Viren einschließlich humanem Papillomavirus (HPV) (e2) oder Hepatitis B und C (2, 8). Zusätzlich könnte die mit der HIV-Infektion assoziierte Abwehrschwäche zu dem erhöhten Krebsrisiko beitragen. Es wäre denkbar, dass das geschwächte Immunsystem zu einer generell reduzierten Immunüberwachung hinsichtlich maligner Zellen führen könnte. Ebenso wäre möglich, dass das Immunsystem eine geringere Fähigkeit zur Suppression onkogener Viren hat und dies zu einem erhöhten Risiko für Krebserkrankungen führt (17, e2). Dies scheint insbesondere bei der Pathogenese der HIV-assoziierten Lymphome eine wichtige Rolle zu spielen, da hier neben einer durch die Infektion von T-Lymphozyten mit HIV hervorgerufenen polyklonalen B-Zell-Stimulation und -proliferation eine chronische Antigenstimulation und eine Zytokindysregulation beteiligt sind (e3). Zudem spielen Gamma-Herpesviren als virale Kofaktoren eine wichtige Rolle: Das Epstein-Barr-Virus-Genom findet sich in circa 50 Prozent aller HIV-assoziierten Lymphome (e4–e6).
Die vorliegende Studie ist die größte, bisher in Deutschland erhobene Datensammlung bezüglich der Inzidenz von Krebserkrankungen bei HIV-positiven Personen. Die Ergebnisse zur relativen Inzidenz von NAD- und AD-Malignomen bestätigen die aus anderen Ländern bereits vorliegenden Daten der letzten Jahre (16, 18, 19). Eine der weltweit größten Datenbanken HIV-infizierter Personen stammt aus Kalifornien. Silberberg et al. konnten zeigen, dass auch dort die NAD-Malignome häufiger auftreten als der AD-Typ (19). In einer aktuellen retrospektiven Kohortenstudie dieser Arbeitsgruppe wurde die Krebsrate von 20 277 HIV-infizierten Personen mit der von 202 313 „gematchten“ nicht HIV-infizierten Personen der gleichen Region in Kalifornien verglichen. In der Kohorte der HIV-infizierten Personen wurden 609 NAD- und 502 AD-Malignome beobachtet (20). Daraus ergab sich eine Ratio NAD- zu AD-Malignomen von 1,21, vergleichbar mit der in der vorliegenden Studie gefundenen Ratio (NAD zu AD 1,18). In der kalifornischen Studie waren die AD-Malignome 34,7-mal häufiger bei HIV-infizierten Personen im Vergleich zu nicht infizierten Personen. Unter den NAD-Malignomen waren die potenziell infektionsassoziierten Malignome (Karzinome von Vagina, Vulva, Penis, Anus; Plattenepithelkarzinom der Mundhöhle und des Pharynx, Hepatitis-B- und -C-assoziierter Leberkrebs, Magenkrebs und Hodgkin-Lymphom) 9,2-mal häufiger als bei den nicht HIV-infizierten Personen, wohingegen die nicht infektionsassoziierten Malignome nur 1,3-mal häufiger waren.
Daten von Krebs- und HIV-Registern aus Colorado, Florida und New Jersey belegen, dass in der Zeit der Jahre von 1991 bis 1995 NAD-Malignome nur 31,4 Prozent aller Krebsfälle bei HIV-Patienten ausmachten, von 1996 bis 2002 jedoch schon 58 Prozent (16). Die Inzidenz von Kaposi-Sarkomen und NHL sank im Laufe der Zeit, blieb jedoch auch 1996 bis 2002 erhöht. Im Vergleich zum Zeitraum 1991 bis 1995 stieg die Inzidenz des Hodgkin-Lymphoms und des hepatozellulären Karzinoms in den Jahren 1996 bis 2002 (16). Dies deckt sich mit der Beobachtung der Autoren, dass die Inzidenz des Hodgkin-Lymphoms im Beobachtungszeitraum kontinuierlich zugenommen hat. Die Untersuchung einer großen französischen Kohorte mit knapp 80 000 HIV-Infizierten ergab bei Männern eine 32-fach, bei Frauen eine 14-fach erhöhte Inzidenz des Morbus Hodgkin (1). Interessanterweise ergab eine aktuelle Untersuchung der Schweizer HIV-Kohortenstudie, bei der 14 606 HIV-Infizierte über 20 Jahre verfolgt werden, dass das Risiko, an einem Hodgkin-Lymphom zu erkranken, in den letzten Jahren in der Schweiz nicht angestiegen ist. Außerdem fand man keinen Hinweis dafür, dass bei verbesserter Immunitätslage das Hodgkin-Lymphom-Risiko ansteigt (21).
Diffus-großzellige Non-Hodgkin-Lymphome, die den AD-Malignomen zugerechnet werden, treten präferenziell bei Patienten mit stark erniedrigter CD4-Zellzahl auf. Im Gegensatz dazu werden Burkitt- und Hodgkin-Lymphome typischerweise bei Patienten mit mittelhoher CD4-Zellzahl beobachtet. Dies lässt vermuten, dass hier unterschiedliche ätiologische Mechanismen zur Lymphomentstehung führen. Es wird diskutiert, dass gerade Burkitt- oder Hodgkin-Lymphome durch chronische Antigenstimulation, Zytokin-Dysregulation und die Assoziation mit onkogenen Viren wie EBV oder HHV-8 entstehen könnten (22).
Die Autoren konnten nach 2001 nur noch einen Fall eines primär zerebralen Lymphoms beobachten. Primär zerebrale Lymphome wurden früher typischerweise bei stark immunsupprimierten HIV-Patienten diagnostiziert. Seit der Einführung der cART ist jedoch der Anteil gerade dieser seltenen Subgruppe stark zurückgegangen (23).
In einer aktuellen Fallkontroll-Studie aus Italien wurden Erscheinungsbild und Outcome bei HIV-positiven und HIV-negativen Patienten mit kolorektalem Karzinom (CRC) verglichen. Verglichen mit den HIV-negativen, war bei den HIV-positiven Patienten ein niedrigerer Performance-Status, ein ungünstigeres Dukes-Stadium, ein schlechteres Grading und eine kürzere Überlebenszeit festgestellt worden (24). Von besonderer Bedeutung war, dass die HIV-positiven Patienten bei Diagnose des CRC ein medianes Alter von 48 Jahren hatten im Vergleich zur HIV-negativen Population, bei der das mittlere Alter bei Diagnose des CRC bei drei Vierteln der Fälle über 65 Jahre liegt. Die Mehrzahl der HIV-positiven Patienten entwickelte das CRC sehr früh im Verlauf der HIV-Erkrankung, nur bei wenigen Patienten (5/27) wurde zuvor schon eine andere Aids-definierende Erkrankungen festgestellt. Wegen dieses Altersunterschiedes empfehlen die Autoren, den Beginn der Vorsorge-Koloskopie bei HIV-positiven Patienten schon im Alter von 45 Jahren zu beginnen.
Mit 71 Fällen beziehungsweise einem Anteil von 24 Prozent war das Analkarzinom die häufigste Krebserkrankung unter den NAD-Malignomen in der vorliegenden Untersuchung. Es wird geschätzt, dass das relative Risiko für Analkarzinome bei HIV-positiven Patienten 30- bis 60-fach gegenüber der Normalbevölkerung erhöht ist (13). Dies liegt möglicherweise an dem mehrfach erhöhten Risiko für anale HPV-Infektionen bei HIV-positiven Patienten. Durch die persistierende HPV-Infektion entsteht eine anale intraepitheliale Neoplasie, in deren Folge sich das Analkarzinom entwickeln kann. In Übereinstimmung mit anderen Arbeitsgruppen empfehlen die Autoren seit Längerem, bei HIV-Patienten mindestens jährliche gezielte Krebsvorsorgeuntersuchungen in Hinblick auf das Analkarzinom durchzuführen (25).
Die Beobachtung der Autoren unterliegt einigen Limitationen, wie zum Beispiel der retrospektiven Beobachtungsform. Mit Sicherheit wurden nicht alle aufgetretenen Malignome in den Inzidenzzeiträumen dokumentiert, was zu einer Unterschätzung der Fallzahl geführt haben dürfte. Dies lässt den Rückschluss zu, dass die absolute Krebsinzidenz in dieser Arbeit unterschätzt wurde. Wahrscheinlich hat dies keinen Einfluss auf die Berechnung der relativen Häufigkeiten, auf deren Beschreibung es den Autoren im Wesentlichen ankam, und wahrscheinlich auch nicht auf die Entwicklung der Krebshäufigkeit zu den jeweiligen Beobachtungszeitpunkten. Darüber hinaus unterschied sich die Zusammensetzung der Zentren, die Patienten gemeldet hatten, geringfügig von der der angeschriebenen Zentren (15,6 Prozent der angeschriebenen Zentren waren Klinikambulanzen, im Vergleich zu 27,3 Prozent der meldenden Zentren). Auch dies dürfte nach Einschätzung der Autoren keinen wesentlichen Einfluss auf die oben genannten Zielparameter der Studie gehabt haben.
Fazit und Empfehlung zur Krebsvorsorge bei HIV-positiven Patienten
Neben der Weiterentwicklung der antiretroviralen Therapie und der Entwicklung von kurativen Therapiestrategien spielt wegen der weiter zunehmenden Lebenserwartung der HIV-Infizierten in Zukunft die Vermeidung und Behandlung von HIV-assoziierten Begleiterkrankungen, insbesondere Krebs, eine immer größere Rolle. Das Tumor-Screening sowie die Krebsprävention sollte intensiviert und gewissenhaft durchgeführt werden (Tabelle 3 gif ppt). Besonderes Augenmerk sollte man hierbei auf das Analkarzinom legen.
Danksagung
Die Autoren danken allen teilnehmenden Klinikambulanzen und Praxen für die Dokumentation der Daten, außerdem Frau Lara Hensel für die exzellente Assistenz bei der Erstellung und Auswertung der Datenbank.
Interessenkonflikt
Dr. Lutz gibt Berater- (Advisory board) und Vortragstätigkeiten für Roche Pharma AG, MSD, Abbott, Gilead Sciences und Boehringer Ingelheim an.
Prof. Rockstroh gibt Berater- (Advisory board) und Vortragstätigkeiten für Abbott, BMS, Boehringer Ingelheim, Gilead, GSK, MSD, Novartis, Pfizer, Roche, Schering-Plough, Tibotec und Vertex an.
Dr. Mosthaf gibt Berater- und Vortragstätigkeiten für Abott, BMS, Boehringer-Ingelheim, Gilead, Roche und ViiV an.
Die anderen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 23. 12. 2009, revidierte Fassung angenommen: 22. 3. 2010
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Manfred Hensel
Mannheimer Onkologie Praxis
Q 5, 14–22, 68161 Mannheim
E-Mail: hensel@mannheimer-onkologie-praxis.de
Summary
HIV and Cancer in Germany
Background: Cancer is now the leading cause of death in persons with HIV. In this study, we gathered current epidemiological data on Aids-defining (AD) and non-Aids-defining (NAD) malignancies among HIV-positive patients in Germany.
Methods: From 2000 to 2007, all 35 specialized HIV outpatient clinics and 189 HIV ambulatory care centers in Germany were contacted and asked to fill out a structured questionnaire on the incidence of malignancies in HIV-positive patients during multiple periods of observation.
Results: 552 evaluable data sets were reported. 253 (45.8%) of the reported malignancies were AD. Among the 299 cases (54.2%) of NAD malignancies, there were 214 solid tumors, including 71 anal carcinomas (23.7% of all NAD malignancies), and 85 hematopoietic malignancies, including 29 cases of Hodgkin`s lymphoma (9.7% of all NAD malignancies). The high percentage of NAD malignancy remained constant throughout the entire period of the study. Only a single case of primary cerebral lymphoma was reported after 2001. The number of patients with Hodgkin`s lymphoma rose steadily from 2000 to 2007.
Conclusion: The spectrum of HIV-associated malignancies has changed since the early days of the HIV epidemic. In Germany, NAD malignancies have become more common than AD malignancies. In particular, anal carcinoma and Hodgkin’s lymphoma are much more common among persons with HIV than in the general population. Persons with HIV need more intensive preventive care for cancer than non-infected persons do.
Zitierweise
Hensel M, Goetzenich A, Lutz T, et al.: HIV and cancer in germany.
Dtsch Arztebl Int 2010; 107(8): 117–22. DOI: 10.3238/arztebl.2010.0117
@Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit0811
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
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Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e.V. (dagnae) Berlin: Goetzenich, Hanhoff, Dr. med. Jäger
Infektiologikum Frankfurt/Main: Dr. med. Lutz
ifi-Medizin GmbH, Asklepios Klinik St. Georg, Hamburg: Dr. med. Stoehr
Praxiszentrum Kaiserdamm, Berlin: Dr. med. Moll
Med. Universitätsklinik I, Bonn: Prof. Dr. med. Rockstroh
Gemeinschaftspraxis für Hämatologie, Onkologie und Infektiologie Karlsruhe:
Dr. med. Mosthaf
Kerngruppe HIV und Onkologie der dagnae: Prof. Dr. med. Hensel, Dr. med. Mosthaf
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Book, 202010.1007/978-3-662-46764-0_308-1
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