

Zur Rolle der Allelvariante ε4 des Apolipoproteins E (APOE) kann ergänzt werden, dass Jordan et al. (1) bereits 1997 in einer Studie an Boxsportlern ein hohes Enzephalopathie-Risiko bei Trägern des APOE ε4 Merkmals demonstrierten. Später fand man auch bei Unfallopfern heraus, dass die Prognose der Hirnverletzungen verhältnismäßig ungünstig ist, wenn der APOE ε4-Genotyp vorliegt (2).
Die biologische Bedeutung von APOE schließt unter anderem den Lipidtransport in das ZNS und eine Beteiligung an der Nervenregeneration nach Verletzungen ein. Der Genotyp ε4 erwies sich als ungünstig für „Repair“-Prozesse. Bei Trägern dieses Genotyps besteht also eine mangelhafte Erholungsfähigkeit des Gehirns und damit eine besondere Disposition zur Boxer-Enzephalopathie. Allerdings wurden auch andere genetische Faktoren in diesem Zusammenhang genannt (3).
Was ergibt sich hieraus für die Praxis?
Schon heute ist ein genetisches Screening möglich, um besonders Enzephalopathie-gefährdete Personen beim Boxsport herauszufinden. Hierfür würde die Bestimmung des APOE-Genotyps ausreichen. Neuronenspezifische Enolase(NSE)- oder S100B-Verlaufskontrollen wären zudem denkbar. Ein solches Vorgehen impliziert allerdings ethische Fragen grundsätzlicher Art:
- Dürfen Sportverbände ihre Mitglieder zu genetisch/biochemischen Screenings zwingen?
- Dürfen Athleten mit auffälligem Genotyp (und/oder auffälligem Verlauf der Destruktionsmarker NSE und S100B) vom Boxsport ausgeschlossen werden?
- Gibt es speziell bezogen auf diesen Bereich ein Recht auf Nichtwissen?
- Gibt es ein „Recht auf Selbstschädigung“?
Grundsätzlich wäre es an der Zeit, im Zusammenhang mit dem Boxsport über diese Fragen einmal nachzudenken.
DOI: 10.3238/arztebl.2011.0145b
Prof. Dr. med. Hilmar Prange
Konrad-Adenauer-Straße 40, 37075 Göttingen
E-Mail: hilmarprange@gmx.de und hprange@gwdg.de
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des
International Committee of Medical Journal Editors besteht.
1. | Jordan BD, Relkin NR, Ravdin LD, et al.: Apolipoprotein E epsilon4 associated with chronic traumatic brain injury in boxing. JAMA 1997; 278: 136–40. MEDLINE |
2. | Ariza M, Pueyo R, del Matarin M, et al.: Influence of APOE polymorphism on cognitive and behavioural outcome in moderate and severe traumatic brain injury. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2006; 77: 1191–3. MEDLINE |
3. | Wilson M, Montgomery H: Impact of genetic factors on outcome from brain injury. Br J Anaesthesia 2007; 99: 43–8. MEDLINE |
4. | Förstl H, Haass C, Hemmer B, Meyer B, Halle M: Boxing: acute complications and late sequelae, from concussion to dementia. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(47): 835–9. VOLLTEXT |
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