ArchivDeutsches Ärzteblatt9/2011Vitamin D: Wenig harte Fakten zur Prävention chronischer Krankheiten

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Vitamin D: Wenig harte Fakten zur Prävention chronischer Krankheiten

Hahne, Dorothee

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Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamin D erzielen in Deutschland mittlerweile einen Umsatz von 1,3 Milliarden Euro jährlich. Foto: dpa
Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamin D erzielen in Deutschland mittlerweile einen Umsatz von 1,3 Milliarden Euro jährlich. Foto: dpa

Ob ein Mangel an Vitamin D die Entstehung von Diabetes, Krebs, kardiovaskulären und Immunerkrankungen begünstigt, ist bislang nicht erwiesen. Derzeit gibt es nur Hinweise aus tierexperimentellen, epidemiologischen und Observationsstudien.

Vitamin D entsteht in der Haut unter Mitwirkung von ultraviolettem Licht, deshalb sinkt der Blutspiegel bei vielen Menschen im Winter. „Ausgeprägte Mangelzustände, die bei Werten unter 10 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) auftreten können, sind aber sehr selten“, erklärt Prof. Dr. med. Helmut Schatz (Bochum) in einer aktuellen Pressemeldung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie.

Das US-amerikanische Institute of Medicine (IOM) wies vor kurzem darauf hin, dass eine Vitamin-D-Konzentration von 20 ng/ml im Hinblick auf die Knochengesundheit für 97,5 Prozent der Bevölkerung ausreichend sei. In Deutschland liegen die Vitamin-D-Spiegel allerdings deutlich niedriger. „Dennoch erscheint aus heutiger Sicht eine Supplementierung nur dann sinnvoll, wenn weitere Risikofaktoren für eine Osteoporose vorliegen – beispielsweise bei älteren Menschen oder bei verminderter Knochendichte“, ergänzt Schatz.

Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass Vitamin D nicht nur den Knochenstoffwechsel beeinflusst, sondern auch bei der Entstehung chronischer Krankheiten eine Rolle spielt. Studien lassen vermuten, dass bereits milde Formen einer Vitamin-D-Unterversorgung das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bestimmte Krebsarten oder Diabetes mellitus Typ 1 erhöhen. Entsprechend intensiv wird diskutiert, inwieweit eine Supplementierung vorbeugend wirken kann. Für eindeutige Empfehlungen ist es allerdings zu früh.

Zu Diabetes liegen nur relativ wenige belastbare Daten vor

Denn die bisherigen Daten beruhen primär auf Beobachtungsstudien, die eine statistische Assoziation, aber keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Vitamin-D-Status und dem Auftreten dieser Krankheiten belegen. Um diese Frage zu klären, braucht es noch mehr aussagekräftige Studien. „Bislang liegen einige Beobachtungsstudien, aber wenige Interventionsstudien zu Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und zur Gesamtmortalität vor. Zum Thema Diabetes haben wir erst relativ wenige belastbare Daten“, sagt Priv.-Doz. Dr. med. Jakob Linseisen vom Institut für Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum München.

Der Zusammenhang zwischen Karzinomen und Vitamin D wurde bislang vor allem für Brust-, Dickdarm- und Prostatakrebs untersucht. Am überzeugendsten ist die Evidenz für einen protektiven Effekt bei der Entstehung von Dickdarmkrebs: Je höher der 25-Hydroxyvitamin-D-Spiegel im Plasma ist, desto geringer ist das Erkrankungsrisiko. Prospektive Beobachtungsstudien zu Brustkrebs lieferten weniger eindeutige Ergebnisse. Klar ist die Situation lediglich bei Prostatakrebs: Es besteht kein Zusammenhang mit Vitamin D.

Die meisten Interventionsstudien untersuchten das Frakturrisiko. Eine Metaanalyse von klinischen Studien mit Daten hauptsächlich älterer Personen belegt eine dosisabhängige Senkung des Sturz- und Frakturrisikos durch Vitamin D. „Es sollten mindestens 700 bis 1 000 IU Vitamin D pro Tag supplementiert werden, um die als optimal geltende 25-Hydroxyvitamin-D-Konzentration von 75 nmol/l zu erreichen. Geringere Dosierungen zeigten keinen Effekt“, erklärt Prof. Prof. Dr. habil. oec. troph. Gabriele Stangl, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU).

Unter ihrer Leitung koordiniert die Arbeitsgruppe Humanernährung ein auf drei Jahre angelegtes Verbundprojekt, in dem die Rolle von Vitamin D für die Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems erforscht werden soll. Studiendaten zeigen, dass niedrige Blutspiegel mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergehen. Umgekehrt sinkt das Erkrankungsrisiko unter dem Einfluss einer Vitamin-D-Supplementierung. Im Rahmen des Projektes werden drei kontrollierte Humanstudien durchgeführt, die den Zusammenhang zwischen Vitamin D und den Herz-Kreislauf-Risikofaktoren sowie inflammatorische Parameter klären sollen.

Vor dem Hintergrund der Hinweise auf eine präventive Wirkung bei chronischen Krankheiten bewertet die „Arbeitsgruppe Vitamin D“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) die aktuelle Datenlage, um eine Basis für die Überprüfung der gültigen Zufuhrempfehlungen zu schaffen. Linseisen ist Leiter dieser Arbeitsgruppe und plädiert für Sachlichkeit: „Wir wollen voreilige Entschlüsse vermeiden, um negative Konsequenzen einer höheren Empfehlung auszuschließen. Ein solcher Schritt muss auf einer sicheren wissenschaftlichen Basis stehen.“ Konsens bestehe lediglich in puncto Frakturprophylaxe: „Die wünschenswerte Plasmakonzentration an 25-Hydroxyvitamin D zur Verringerung des Frakturrisikos bei älteren Personen sollte mindestens 75 nmol/l betragen. Für andere Krankheiten sind noch keine Grenzwerte festgelegt“, sagt Linseisen.

Zurzeit empfiehlt die Fachgesellschaft Kindern und Erwachsenen, täglich fünf Mikrogramm Vitamin D mit der Nahrung aufzunehmen. Für über 65-Jährige liegt die Empfehlung bei der doppelten Menge, das heißt bei zehn Mikrogramm pro Tag: Zum einen sinkt im Alter die Zahl der Vitamin-D-Rezeptoren sowie die Fähigkeit der Haut, Vitamin D zu synthetisieren. Zum anderen halten sich viele ältere Menschen seltener im Freien auf. Besonders kritisch ist die Vitamin-D-Versorgung bei bettlägerigen und gebrechlichen Menschen in Pflegeheimen.

Eine weitere Risikogruppe sind dunkelhäutige Menschen: Im Vergleich zu hellhäutigen Personen enthält ihre Haut viel Melanin, das eine effiziente Vitamin-D-Produktion verhindert. Säuglinge sind ebenfalls gefährdet, da der Vitamin-D-Gehalt in der Muttermilch nicht ausreicht, um den Bedarf zu decken. Daher empfiehlt die DGE, sowohl gestillten als auch nichtgestillten Säuglingen täglich eine Tablette mit zehn bis 12,5 Mikrogramm Vitamin D zu geben. Dies gilt unabhängig von der Jahreszeit während der gesamten Säuglingsalters.

Vitamin-D-reicher Fisch aus nachhaltiger Aquakultur

Die 2008 veröffentlichten Daten der Nationalen Verzehrstudie zeigen, dass 82 Prozent der Männer und 91 Prozent der Frauen die empfohlene Vitamin-D-Zufuhr nicht erreichen. Eine neue Strategie zur Verbesserung der Vitamin-D-Versorgung verfolgt das Verbundprojekt der MLU Halle-Wittenberg: „Wir setzen auf Fisch aus nachhaltiger Aquakultur, dessen Vitamin-D-Gehalt wir mit einer neuen Technologie auf natürliche Weise steigern wollen“, erklärt Stangl. Vorversuche an Forellen waren bereits erfolgreich, es ist aber noch unklar, in welchem Umfang sich der Vitamin-D-Gehalt erhöhen lässt. Am einfachsten lässt sich die Vitamin-D-Versorgung verbessern, indem man regelmäßig an die frische Luft geht.

Die endogene Vitamin-D-Synthese erfolgt rasch: Zehn bis 15 Minuten täglich reichen bei einer hellhäutigen Person im Sommer aus, um 25 Mikrogramm Vitamin D zu produzieren – also das Fünffache der Zufuhrempfehlung. Dazu genügt es, sechs Prozent der Körperoberfläche der Sonne auszusetzen, also Hände, Arme und Gesicht. Dunkelhäufige Menschen brauchen dagegen die sechsfache Sonnenbestrahlung, um die gleiche Menge an Vitamin D in der Haut zu produzieren.

Dipl.-Oecotroph. Dorothee Hahne

Synthese und interaktion von Vitamin D

Vitamin D ist das einzige Vitamin, das der Körper selbst bilden kann – es entsteht in der Haut unter Einfluss von UVB-Licht aus Dehydrocholesterol. Die Eigensynthese kann schätzungsweise 80 Prozent des Bedarfs decken. Die zweite Quelle sind Vitamin-D-reiche Lebensmittel, von denen es allerdings nur wenige gibt. Dazu gehören vor allem Fettfische wie Hering, Makrele, Aal oder Lachs. Nennenswerte Mengen enthalten außerdem Champignons, Steinpilze und Pfifferlinge, Eigelb, mit Vitamin D angereicherte Margarine und Butter.

25-Hydroxyvitamin D ist ein anerkannter Parameter zur Bestimmung des Vitamin-D-Status. Es spiegelt die Versorgungslage besser als alle anderen Metaboliten wider. „25-Hydroxyvitamin D reagiert am stärksten auf eine UV-Bestrahlung oder Supplementierung mit Vitamin D“, sagt Prof. Dr. habil. oec. troph. Gabriele Stangl, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU). Dabei gelten folgende Richtwerte: Unter 12,5 nmol/l liegt ein schwerer Vitamin-D-Mangel vor, bei Werten zwischen 12,5 und 25 nmol/l ein moderater, zwischen 25 und 50 nmol /l ein milder Vitamin-D-Mangel.

25-Hydroxyvitamin D entsteht in der Leber aus Cholecalciferol, das sowohl in der Haut gebildet wird als auch mit der Nahrung in den Organismus gelangt. Anschließend erfolgt primär in der Niere, aber auch in vielen anderen Zellen eine erneute Hydroxylierung zum aktiven Metaboliten 1,25-OH-Vitamin D3, dem Calcitriol. Da es in seiner Molekülstruktur klassischen Steroidhormonen ähnelt, spricht man auch von Vitamin-D-Hormon. Am längsten bekannt ist seine Funktion bei der Regulierung des Calcium- und Phosphatstoffwechsels. Im Darm steigert es die intestinale Calciumabsorption aus der Nahrung, in den Nieren fördert es die tubuläre Rückresorption von Calcium aus dem Harn. Im Knochen bewirkt es entweder die Mineralisation oder die Mobilisierung von Calcium – je nachdem, wie hoch die Calziumkonzentration im Blutplasma ist.

1.
Clifford J. Rosen, M.D.: Vitamin D Insufficiency, N Engl J Med 2011; 364: 248–54. MEDLINE
2.
Ross et al.: IOM Report on Calcium and Vitamin D Requirements, J Clin Endocrinol Metab, Jan. 2011; 96(1). MEDLINE
3.
Grant WB.: Is the Institute of Medicine Report on Calciuim and Vitamin D Good Science? Biological Research for Nursing, doi:10.1177/10998004/10396947. MEDLINE
4.
G. Pittas et al.: Systematic Review: Vitamin D and Cardiometabolic Outcomes, Ann Intern Med 2010; 152: 307–14. MEDLINE
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4.G. Pittas et al.: Systematic Review: Vitamin D and Cardiometabolic Outcomes, Ann Intern Med 2010; 152: 307–14. MEDLINE

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