POLITIK
KBV-Vertreterversammlung: Eine Richtungsentscheidung


Die neue Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat mit deutlicher Mehrheit den alten Vorstand in seinem Amt bestätigt. Dessen Arbeit wird nicht einfacher werden: Die Opposition übt heftige Kritik am Wahlausgang.
Die konstituierende Sitzung der KBV-Vertreterversammlung am 11. März in Berlin gab einen Vorgeschmack auf die kommenden sechs Jahre. Denn aufgrund der Mehrheitsverhältnisse bei den Wahlen in den 17 Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) kann dort die Opposition künftig mit lauterer Stimme sprechen. Für erste Auseinandersetzungen sorgte gleich zu Beginn der Versammlung der Antrag, den KBV-Vorstand bereits an diesem Tag und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, erst am 8. April zu wählen. Dr. med. Uwe Kraffel, Vorstand der KV Berlin, begründete seinen Vorstoß mit den Vorbereitungen des Bundesgesundheitsministeriums für ein Versorgungsgesetz. Hier müsse die KBV handlungsfähig und mit einem starken Mandat ausgestattet sein.
„Wir brauchen keine vorgezogene Wahl“, hielt ihm der baden-württembergische KV-Vorsitzende Dr. med. Norbert Metke entgegen – er zählt, wie sein bayerischer Vorstandskollege Dr. med. Wolfgang Krombholz zu den Kritikern des KV-Systems. Zum einen seien die einzelnen KVen durchaus in der Lage, ihre Positionen gegenüber der Politik selbst zu vertreten. Zum anderen benötigten die Kandidaten ausreichend Zeit, um sich zu positionieren. „Es geht hier auch um die Akzeptanz des Wahlergebnisses“, sagte Metke. Der Wahlzeitpunkt sei keine Manövriermasse. Werde er vorgezogen, werde man den Vorwurf nicht mehr los, „hier wurde was gedreht“. Dennoch sprachen sich 38 der 60 Delegierten für vorgezogene Vorstandswahlen aus. Die Entscheidung über die Erweiterung des Vorstands um ein drittes Mitglied wurde dagegen von der Tagesordnung gestrichen.
Mit deutlicher Mehrheit bestätigten die Delegierten den amtierenden Vorstand. Dr. med. Andreas Köhler wird auch in den kommenden sechs Jahren den Vorstandsvorsitz führen und den fachärztlichen Versorgungsbereich vertreten, während Dr. med. Carl-Heinz Müller weiterhin den hausärztlichen Versorgungsbereich verantwortet. Köhler setzte sich gegen den Hamburger Hals-Nasen-Ohren-Arzt und Bundesvorsitzenden des NAV-Virchow-Bundes, Dr. med. Dirk Heinrich, mit 39 zu 19 Stimmen durch. Müller errang 40 Stimmen, sein Gegenkandidat, der Stuttgarter Allgemeinarzt und Vorsitzende des Medi-Verbundes, Dr. med. Werner Baumgärtner, 19 Stimmen.
„Die Basis will den Wechsel“
„Wer kritisiert, muss auch Verantwortung übernehmen“, hatte Baumgärtner seine Kandidatur begründet. Sein Verband, Medi Baden-Württemberg, hatte 2008 mit dem ersten Selektivvertrag zur hausarztzentrierten Versorgung unter Ausschluss der dortigen KV bundesweit für Schlagzeilen gesorgt, war aber mit Bestrebungen eines kollektiven Systemausstiegs ebenso gescheitert wie der Bayerische Hausärzteverband. In Berlin bekräftigte Baumgärtner jetzt: „Der Großteil der Ärzte will einen Wechsel an der Spitze der KBV.“ Die verschiedenen Strömungen in der Ärzteschaft müssten sich auch in der KBV wiederfinden. Dem amtierenden Vorstand warf er vor, im Rahmen der Honorarreform die ärztliche Arbeit „verramscht“ zu haben. Durch das Absenken des Orientierungswerts auf 3,5 Cent stünden viele Praxen kurz vor der Pleite. Nach wie vor gebe es keine Planungssicherheit. Der Medi-Vorsitzende plädierte für ein geordnetes Nebeneinander von Kollektiv- und Selektivverträgen. Es sei nicht wahr, dass – wie auch von Köhler und Müller behauptet – durch die Bereinigung der Gesamtvergütung Dritte geschädigt, die Regelleistungsvolumen gesenkt oder die KVen gefährdet würden. „Entscheidend ist, dass die beteiligten Ärzte profitieren, und man kann ja vielleicht auch was aus den Selektivverträgen lernen – etwa die Vergütung zu festen Preisen“, betonte Baumgärtner in seiner Bewerbungsrede. Darin ging er auch mit den in der Ärzteschaft heftig umstrittenen Ambulanten Kodierrichtlinien ins Gericht. „Sie dienen allein der Kontrolle der Ärztinnen und Ärzte und der Umverteilung von Honorar zwischen den KVen.“ Hier müsse eine weniger bürokratische Lösung gefunden werden.
Baumgärtner forderte zudem ein Ende der Umverteilung bei den vertragsärztlichen Honoraren und feste Preise für ärztliche Leistungen. Nur so lasse sich das Vertrauen der Ärzte zurückgewinnen. Außerdem müsse die KBV wieder zu einer echten Interessenvertretung ihrer Mitglieder werden – sowohl gegenüber der Öffentlichkeit als auch gegenüber der Politik.
„Wir werden zu allem gefragt“
„Die KBV könne auf eine erfolgreiche Legislaturperiode zurückblicken, entgegnete KBV-Vorstand Müller. Ziel sei es gewesen, mehr Berufszufriedenheit herzustellen, „und dafür haben wir viel getan“. Trotz Wirtschaftskrise hätten die Ärzte Honorarzuwächse verzeichnen können, die Trennung der Gesamtvergütung in einen hausärztlichen und einen fachärztlichen Teil sei gelungen, und das Förderprogramm für die Weiterbildung in Allgemeinmedizin sei deutlich aufgestockt worden. Müller räumte aber auch Fehler ein, insbesondere den zentralistischen Ansatz bei der Verteilung der Honorare. Die Regionen sollen hier wieder mehr Spielraum erhalten.
Müller betonte jedoch auch, dass er eine starke KBV als Gegengewicht zum Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung für dringend notwendig hält. Allerdings müsse die Kommunikation mit den KVen verbessert werden. Dazu soll eine Vorstandskommission eingerichtet werden, der zehn Vertreter von KVen angehören. Sie soll sich alle zwei Wochen mit dem Vorstand austauschen und die Ergebnisse in den KVen kommunizieren. Außerdem sollen Müller zufolge die Vorsitzenden der Vertreterversammlung besser in die Arbeit der KBV eingebunden werden.
Deren Vorstandsvorsitzender Köhler ging im Vorfeld seiner Wiederwahl auf die Kritik an seiner Amtsführung ein. Es habe vielleicht nicht immer ausreichend Raum für Diskussionen gegeben, räumte er ein: „Das will ich ändern.“ Mangelnde Transparenz lasse er sich aber nicht vorwerfen. „Ich habe alle maßgeblichen Entscheidungen mit der Vertreterversammlung beraten“, betonte Köhler. Das treffe auch auf die umstrittenen Regelungen zur Honorarverteilung und die Einführung der Ambulanten Kodierrichtlinien zu. Zu beiden Punkten gebe es Beschlüsse der Vertreterversammlung. Und was den Vorwurf des Zentralismus betreffe, sei es doch häufig so, dass die Positionen der KVen teils weit auseinander lägen, aber dennoch Entscheidungen getroffen werden müssten. Köhler hob außerdem die Stellung der KBV im Politikbetrieb hervor: „Wir werden zu allen relevanten Vorhaben gefragt.“ Er reagierte damit auch auf Kritik an einer angeblich mangelhaften Öffentlichkeitsarbeit. „Sie können aus einem Ackergaul kein Zirkuspferd machen“, sagte Köhler. „Aber ein Ackergaul zieht kontinuierlich seine Furchen“, ergänzte er mit Blick auf Kritik an seiner Person. Angesichts der anstehenden Aufgaben sei man damit sicherlich besser aufgestellt als mit einem neurotischen Zirkuspferd. Denn in den kommenden sechs Jahren stehen einige Richtungsentscheidungen an. Köhler will sich vor allem für eine flexiblere Bedarfsplanung einsetzen, die Kostenerstattung gleichberechtigt neben dem Sachleistungssystem etablieren und die Honorarverteilung wieder zurück in die Hände der KVen legen.
Mehr Einfluss für Ehrenamtler
Einen zu geringen Veränderungswillen im System bemängelte Köhlers Gegenkandidat Heinrich. Zwar seien in einzelnen KVen Systemkritiker eingezogen, geändert habe sich aber nichts. „Es ging um Posten in Hinterzimmern statt um Positionen“, kritisierte der Hals-Nasen-Ohren-Arzt. „Doch an der Basis rumort es.“ Als Grund dafür sieht er unter anderem die zunehmende Entfremdung der KVen von ihren Mitgliedern. Sie sei Folge der Professionalisierung, die die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) mit der Einführung der hauptamtlichen Vorstände angestrebt habe. „Wir brauchen wieder mehr Basisnähe und mehr Einheit in der Ärzteschaft“, forderte Heinrich. Dazu müssten auch die Ehrenamtler in den Gremien wieder mehr Einfluss erhalten. Ein „Weiter so“ mit dem amtierenden Vorstand sei sicherlich nicht der richtige Weg, um dringend notwendige Veränderungen einzuleiten.
Gegen ein „Weiter so“ hatte sich im Vorfeld der KBV-Vertreterversammlung auch der Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) ausgesprochen. Die sich abzeichnende Wiederwahl Köhlers und Müllers ignoriere die Signale der Basis, hatte BDI-Präsident Dr. med. Wolfgang Wesiack am 3. März vor Journalisten in Wiesbaden kritisiert. Mit ihnen ziehe eine Betonmentalität in die KBV ein, denn die Personen stünden für ein bestimmtes Programm, darunter die Ablehnung von Selektivverträgen, und einen ausgeprägten Zentralismus. Wesiack bezweifelte, dass durch das geplante Vorstandskomitee der regionale Einfluss auf die KBV wieder wächst. Dessen Entscheidungsstrukturen bewirkten lediglich eine Entschleunigung der Politik.
Der Kritik vor der Wahl folgte die Kritik nach der Wahl. Von einem abgekarteten Spiel sprachen die KVen Baden-Württemberg, Bayerns, Hessens und Mecklenburg-Vorpommerns noch am selben Abend in einer Pressemitteilung – trotz der deutlichen Stimmenmehrheit für Köhler und Müller. Die Entscheidung der Vertreterversammlung entspreche nicht den Interessen der ärztlichen Basis, heißt es darin weiter. Die KVen appellieren an den neuen alten Vorstand, bei seiner künftigen Arbeit den Dialog mit den kritischen Stimmen zu suchen, „andernfalls droht die Spaltung des KV-Systems“.
Interne Spannungen hatten sich bereits bei der Wahl zum Vorsitz der Vertreterversammlung abgezeichnet. Zwar wurde der Psychologe Hans-Joachim Weidhaas (siehe Kasten) noch glatt mit 38 Ja- und 17 Nein-Stimmen zum Vorsitzenden gewählt. Zur Wahl des ersten Stellvertreters trat neben Dr. med. Stefan Windau, Internist in Leipzig und Vorsitzender der Vertreterversammlung der KV Sachsen, – dem Vernehmen nach entgegen interner Absprachen – der Vorstandsvorsitzende der KV Mecklenburg-Vorpommern, Dr. med. Wolfgang Eckert, an. Kandidaten seien derart unter Druck gesetzt worden, dass es der Würde des Hauses unangemessen sei, beklagte Eckert. „Ich habe mich trotzdem zur Kandidatur entschieden, weil das mein demokratisches Selbstverständnis erfordert.“ Die Vertreterversammlung lebe von der Pluralität, nicht von zentralistischem, dirigistischem Durchregieren. Eckert hatte sich einem Delegierten zufolge über die Abmachung hinweggesetzt, dass für den Vorsitz der Vertreterversammlung nur ehrenamtliche Mitglieder kandidieren sollten, um deren Stellung zu stärken. Gewählt wurde letztlich der Ehrenamtler Windau mit 37 zu 21 Stimmen.
Heike Korzilius
PSYCHOLOGE AN DER vv-SPITZE
Erstmals steht mit Hans-Jochen Weidhaas ein Psychologischer Psychotherapeut an der Spitze der Vertreterversammlung (VV) der KBV. Er wurde mit 38 von 55 gültigen Stimmen gewählt. Bislang hatte er einen Stellvertreterposten inne.
Weidhaas arbeitet in eigener Praxis mit seiner Frau, einer ärztlichen Psychotherapeutin, zusammen. Das FDP-Mitglied ist seit langem in der Selbstverwaltung aktiv, darunter als stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Psychotherapeutenverbands und im Gemeinsamen Bundesausschuss. Er sei ein Verfechter des Kollektivvertrags, betonte Weidhaas vor seiner Wahl; Selektivverträge begrüße er als Suchstrategie.
Der Psychologe unterstrich die Bedeutung der Basis für die ärztlichen Gremien: „Die Stimme der Ehrenamtlichen sollte gehört werden.“ Dass sie nicht immer harmonisch klingen wird, weiß Weidhaas. „Wir haben eine veritable Opposition“, kommentierte er die Neuwahl des KBV-Vorstands.
Dass es im Leben Wichtigeres gibt als Honorarsummen und Posten, verdeutlichte er mit einer kurzen, aber eindrücklichen Geste: Er bat die Kollegen im Saal um eine Schweigeminute angesichts der Naturkastastrophe in Japan.
Seine Stellvertreter sind der Internist Dr. med. Stefan Windau und der Orthopäde Dr. med. Andreas Gassen. Rie
Grüner, Steffen
Hufnagl, Dolf
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