POLITIK
Arzneimittelfälschungen: Hohe kriminelle Energie


Arzneimittelfälschungen haben sich zu einem ernstzunehmenden Problem entwickelt. Die Europäische Union will mit einheitlichen Regeln gegensteuern. Fachleute sind skeptisch, ob die Maßnahmen ausreichen, Betrügern das Handwerk zu legen.
Der unlängst bekanntgewordene Skandal um umetikettierte HIV-Arzneimittel hat erneut gezeigt: Selbst lebenswichtige Medikamente sind Waren, die vor kriminellen Machenschaften nicht sicher sind. In dem Fall ging es um den illegalen Handel mit Präparaten zur Behandlung von HIV-Infizierten beziehungsweise Aidskranken. Die Produkte waren ursprünglich für Afrika bestimmt, gelangten aber als Reimporte auf den europäischen Markt und unter anderem auch in deutsche Apotheken. Aufgeflogen war der Betrug, nachdem einem Patienten ein unbeschädigter Blister aufgefallen war, der keine Tabletten enthielt.
Ein Grund dafür, dass das Fälschen und der betrügerische Handel mit Arzneimitteln so attraktiv sind, liegt an den enorm hohen Gewinnspannen, die sich mit dem Verkauf dieser Produkte erzielen lassen. Dabei verspricht der Handel mit gefälschten Arzneimitteln im Schnitt sogar erheblich mehr Umsatz als der Drogenhandel, Zigarettenschmuggel oder Waffenschiebereien. So bringt nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) ein illegal hergestelltes Kilogramm des potenzsteigernden Lifestylemedikaments Viagra auf dem Schwarzmarkt etwa 100 000 Euro ein. „Ein Kilogramm Heroin kostet dagegen nur 35 000 Euro“, sagt Holger Kriegeskorte vom BKA in Wiesbaden.
Bei solch hohen Gewinnspannen verwundert es nicht, dass die Anzahl der Fälschungen in den letzten Jahren enorm zugenommen hat. Die europäischen Zollbehörden beschlagnahmten allein im vergangenen Jahr mehr als 34 Millionen gefälschte Tabletten beziehungsweise circa neun Millionen Verpackungen. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass insgesamt sieben bis zehn Prozent aller Medikamente in Industrieländern Fälschungen sind. Die Dunkelziffer ist nach Meinung von Fachleuten voraussichtlich mehr als doppelt so hoch.
Bei den Fälschungen handelt es sich entweder um Totalplagiate, Mittel mit Qualitätsmängeln bei den verarbeiteten Stoffen bis hin zu falschen Angaben über die Wirkstoffzusammensetzung. Die meisten Imitate gelangen über unseriöse Internetanbieter an die Verbraucher. Die Fälschungsrate bei Arzneimitteln, die über inhabergeführte Apotheken vertrieben werden, liegt dagegen nach Angaben des Zentrallabors Deutscher Apotheken hierzulande bei knapp einem Prozent.
Das Entdeckungsrisiko ist relativ niedrig
Zum lukrativen Geschäft kommt ein relativ niedriges Entdeckungsrisiko. „Wenn ein Patient, der an einer tödlichen Krankheit gelitten hat, stirbt, fragt keiner, ob eventuell das Medikament, das er eingenommen hat, hierfür verantwortlich ist“, betont Kriegeskorte. Auch fliegt der Betrug nur selten per Zufall auf, wie bei den illegalen reimportierten HIV-Medikamenten, sondern meist im Zuge anderer Ermittlungsverfahren oder aufgrund eines Tipps aus der Pharmabranche. In Deutschland beispielsweise arbeiten große Pharmakonzerne bereits seit einigen Jahren eng mit den Ermittlungsbehörden zusammen, um Betrügern auf die Spur zu kommen.
Wurde außerdem vor einigen Jahren vornehmlich Handel mit illegalen Lifestylemedikamenten, wie Schlankheits-, Aufputsch- oder Potenzmitteln, getrieben, sind inzwischen immer häufiger auch gefälschte lebensnotwendige Arzneimittel im Umlauf. Neben HIV-Präparaten betrifft dies auch Zytostatika, Mittel zur Behandlung von Parkinson oder Diabetes, Herz-Kreislauf-Medikamente oder solche zur Notfallbehandlung und Antibiotika.
Erschwerend kommt für die Fahnder hinzu, dass die Fälscher in der Regel in organisierten Strukturen und über Staatsgrenzen hinweg zusammenarbeiten. „Wir stellen einen Trend fest, wonach die Täter nicht nur die Wirkstoffe kaufen, sondern die Fälschungen auch selbst herstellen und vertreiben, mitunter sogar unter einem eigenen Label“, erklärt Wolfgang Schmitz, Sprecher des Zollkriminalamtes in Köln.
Anders als legale Arzneimittel durchlaufen derartige Produkte keine Zulassungskontrollen hinsichtlich ihrer Sicherheit oder Wirksamkeit. Jüngstes Beispiel hierfür sind die bei einer Razzia in der Nähe von Gießen sichergestellten Fälschungen von Anabolika und Wachstumshormonen einer unter dem Namen „International Pharmaceuticals“ agierenden Scheinfirma.
Die Chemikalien oder Grundstoffe zur Herstellung der Plagiate stammen meist aus China, Indien oder Osteuropa und sind dort mitunter für nur wenige Cent zu haben. „Die internationalen Verflechtungen erschweren die Strafverfolgung“, sagt Kriegeskorte. Nicht alle Staaten sähen ferner scharfe Sanktionen für Arzneimittelfälschungen vor. Während das deutsche Arzneimittelgesetz (AMG) eine konsequente Überwachung der Vertriebswege, einschließlich des Großhandels, vorschreibe, bestünden in zahlreichen anderen europäischen Ländern, beispielsweise in Großbritannien, Spanien, der Türkei, sowie in einigen osteuropäischen Ländern noch erhebliche Regelungslücken. Diese, befürchtet Kriegeskorte, würden auch mit der neuen EU-Richtlinie gegen Arzneimittelfälschungen nicht hinreichend geschlossen. Denn das Regelwerk trage vornehmlich zu einer verbesserten Arzneimittelsicherheit bei, nicht aber zu einer verschärften Strafverfolgung.
Das Europäische Parlament (EP) hatte die Richtlinie Mitte Februar verabschiedet. Sie sieht unter anderem eine fälschungssichere Kennzeichnung von verschreibungspflichtigen Medikamenten mit Hilfe von kodierten Sicherheitsmerkmalen, etwa einer Seriennummer, vor. Bei dem Einscannen des Arzneimittels in der Apotheke und dem Abgleich mit einer Datenbank ist dann erkennbar, ob es sich um ein Original oder eine Fälschung handelt. Die Europäische Union (EU) will mit der Einführung des Systems eine lückenlose Rückverfolgbarkeit der Produkte in allen Mitgliedstaaten sicherstellen.
Die Richtlinie gilt zunächst nur für rezeptpflichtige Medikamente. „Es hat keinen Sinn, verhältnismäßig preiswerte Medikamente, die bislang keinen Anlass zur Fälschung bieten, mit aufwendigen Sicherheitsmerkmalen auszustatten“, meint der gesundheitspolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei, Peter Liese. Die EU-Kommission kann aber sowohl für rezeptpflichtige Medikamente als auch für OTC-Produkte Ausnahmen bestimmen.
Pflicht zur Zertifizierung für Online-Apotheken
Die Regeln gelten auch für Reimporteure. „Der Großhandel wird außerdem dazu verpflichtet, künftig die Chargennummern zu dokumentieren“, erklärt Axel Thiele vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Die Kosten für das Aufbringen der Sicherheitsmerkmale durch die Hersteller belaufen sich nach Angaben der EU-Kommission auf schätzungsweise sechs bis elf Milliarden Euro. Die Bundesregierung plane, die Regeln in einer Novelle zum Arzneimittelgesetz zusammen mit den neuen EU-Vorschriften zur Pharmakovigilanz umzusetzen, sagt Thiele.
Den illegalen Internethandel mit Arzneimitteln will die EU durch eine Pflicht zur Zertifizierung seriöser Seiten eindämmen. „Die Legalität des jeweiligen Internetanbieters sollen die Verbraucher anhand eines einheitlichen Logos erkennen können“, erläutert die SPD-Europaabgeordnete Dagmar Roth-Behrendt.
Prof. Dr. med. Roland Gugler von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sieht auch die Ärzte in der Pflicht, bei der Aufklärung der Patienten über Arzneimittelfälschungen mitzuwirken. „Bislang spielen Ärzte noch keine große Rolle bei der Information über Arzneimittelfälschungen“, kritisierte Gugler bei einer Diskussionsveranstaltung in Mainz. Der Internist regte an, Informationsmaterial in den Praxen auszulegen, um die Patienten auf das Thema aufmerksam zu machen und insbesondere über die Risiken des illegalen Internethandels aufzuklären. Den Online-Versand von Arzneimitteln erlauben innerhalb der Europäischen Union derzeit nur sechs Staaten. Neben Deutschland sind dies Dänemark, die Niederlande, Portugal, Schweden und Großbritannien.
Im vergangenen Jahr wurden im Rahmen einer internationalen Aktion unter Beteiligung des BKA und anderer deutscher Behörden etwa 100 Internetseiten identifiziert, auf denen mutmaßliche deutsche Anbieter illegale Arzneimittel zum Verkauf angeboten haben. Dass Patienten Medikamente über das Internet bestellen, liegt zum einen daran, dass die Produkte oft wesentlich günstiger sind. „Die Preise sind zum Teil um zehn bis 25 Prozent niedriger als in der Apotheke“, verdeutlichte Gugler. Illegale Quellen unterschieden sich vom legalen Versandhandel außerdem dadurch, dass verschreibungspflichtige Medikamente auch ohne Rezept erhältlich seien. Eine weitere wichtige Rolle spielten Schamgefühl und mangelndes Vertrauen in den Arzt oder Apotheker, fügte Gugler hinzu. Ärzte sollten daher die Patienten auf das Thema direkt ansprechen und ihre Hilfe anbieten, um zu verhindern, dass die Patienten auf unseriöse Quellen beim Arzneimittelkauf zurückgriffen.
Petra Spielberg