ArchivMedizin studieren2/2011Ignaz Philipp Semmelweis: Retter der Mütter

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Ignaz Philipp Semmelweis: Retter der Mütter

Goddemeier, Christof

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Foto: Wikipedia
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Das Verdienst des Geburtshelfers besteht darin, eine wirkungsvolle Prävention des Kindbettfiebers entwickelt zu haben.

Das ist nun einmal so, da kann man nichts machen“ – mit dieser Begründung fanden Geburtshelfer sich lange mit dem Kindbettfieber und seiner enormen Sterblichkeit ab. Auch Chirurgen machten täglich die Erfahrung, dass viele ihrer Patienten starben. Solange die Chirurgie ein wenig geachtetes Handwerk war, das weit unter der Inneren Medizin rangierte, hatte auch die Öffentlichkeit sich daran gewöhnt. Das änderte sich erst, als Mitte des 19. Jahrhunderts die Anästhesie entdeckt wurde. Mit einer zunehmenden Zahl an Eingriffen wurde das Ausmaß von „Wundinfektion“ und „Krankenhaus-Brandkrankheit“ offensichtlich. Mochten die Chirurgen noch so brillant operieren, etwa jeder zweite Patient starb nachträglich an Wundfieber, das heißt an Sepsis. In der Feldchirurgie blieb sogar nur jeder Zehnte am Leben – aus heutiger Sicht unvorstellbar.

In seinen „Sieben Büchern über natürliche Geburtshilfe“ schrieb Lucas Johann Boer, Professor am Wiener Krankenhaus, darüber zwar nichts. Dennoch wäre denkbar, dass er eine Ahnung davon hatte, wie gefährlich es ist, wenn Geburtshelfer und Hebammen Leichen sezieren oder an ihnen üben. Boer propagierte die natürliche Geburt, einen Kaiserschnitt führte er nur im äußersten Notfall durch. Hebammenschülerinnen verbot er, an Leichen zu üben. Unter seiner Leitung der Geburtsklinik betrug die Sterblichkeit an Kindbettfieber 0,84 Prozent. Eine wichtige Zahl, denn der junge Arzt Ignaz Semmelweis sah in ihr die „natürliche“ Sterblichkeit, die man auch mit größter Umsicht nicht verhindern kann.

Mit der „Ära der pathologischen Anatomie“, also seitdem Ärzte Leichen sezieren, nimmt die Sterblichkeit von Wöchnerinnen am Kindbettfieber weiter zu. Foto: akg
Mit der „Ära der pathologischen Anatomie“, also seitdem Ärzte Leichen sezieren, nimmt die Sterblichkeit von Wöchnerinnen am Kindbettfieber weiter zu. Foto: akg

Als Ignaz Semmelweis sich 1844 an der Wiener Geburtshilflichen Klinik bewirbt, gibt es keine freie Stelle. Eineinhalb Jahre arbeitet er unentgeltlich, ab 1846 ist er Assistent unter Boers Nachfolger Johann Klein. Der hatte die Hebammen nach Boers Absetzung rasch wieder an Leichen üben lassen. Die Folge: Binnen kurzem starben mehr als sieben von 100 Frauen am Kindbettfieber. 1833 wird die Klinik in zwei Teile geteilt, eine leitet Klein, die andere sein Schüler Franz Bartsch. Anfangs sterben in beiden Kliniken etwa gleich viele Wöchnerinnen am Kindbettfieber. Das ändert sich schlagartig, als man 1840 die Ausbildung von Ärzten und Hebammen trennt. Ärzte und Medizinstudenten praktizieren fortan unter Klein, die Hebammen an der Klinik von Bartsch. Bald sterben an der Ärzteklinik dreimal so viele Frauen wie an der Hebammenklinik. Das ist die Situation, als Semmelweis seine berufliche Tätigkeit aufnimmt.

Das Kindbettfieber ist seit der Antike bekannt. Aber massenweise sterben Frauen erst daran, als sie ihre Kinder im Krankenhaus gebären. Mit der „Ära der pathologischen Anatomie“, also seitdem Ärzte häufiger Leichen sezieren, nimmt die Sterblichkeit noch weiter zu. Bezüglich der Ursache tappt man im Dunkeln und vermutet atmosphärische, kosmische und andere Einflüsse. Auch die Behörden werden auf das Phänomen aufmerksam. „Alles war unerklärt, alles war zweifelhaft, nur die große Anzahl der Toten war eine unzweifelhafte Wirklichkeit“, schreibt Semmelweis. Den ersten Schritt auf dem Weg zur Lösung des Rätsels macht er, als ihm etwas auffällt: Schwangere, die das Krankenhaus nicht erreichen und ihr Kind zu Hause oder auf der Straße zur Welt bringen, erkranken deutlich seltener am Kindbettfieber als die Frauen in der Klinik. Auch Frauen, die vorzeitig gebären, bleiben meistens vom Kindbettfieber verschont. Zwei Erlebnisse lassen Semmelweis schließlich die Ursache der Erkrankung erkennen: Im November 1846 wird er entlassen und im März 1847 erneut eingestellt. In der Zwischenzeit sinkt die Sterblichkeit der Wöchnerinnen beträchtlich. Doch bereits in seinem ersten Monat steigt sie wieder auf 18 Prozent an. Er selbst ist es also, der das Kindbettfieber verursacht. Zudem stirbt ein ihm bekannter Gerichtsmediziner an „Blutvergiftung“, nachdem er sich bei einer Sektion in den Finger geschnitten hat. Semmelweis versteht, dass die Symptome dieser Sepsis den Symptomen des Kindbettfiebers gleichen. Jetzt muss er nur noch eins und eins zusammenzählen: Wenn der Gerichtsmediziner und die Frauen an der gleichen Krankheit gestorben sind, muss auch die Ursache die gleiche sein. Von Bakterien weiß Semmelweis noch nichts – er identifiziert „zersetzte organische Stoffe“ als Krankheitsursache. Bald ist klar: Waschen mit Seife allein reicht nicht aus, um die Hände zu desinfizieren. Semmelweis führt verbindlich die Waschung mit Chlorkalk ein, und der Erfolg gibt ihm recht. Binnen zwei Monaten sinkt die Sterblichkeit von 17 auf 1,2 Prozent! Später erkennt er, dass neben Leichenbestandteilen auch eitrige Substanzen lebender Personen, ja sogar unzureichend gereinigte Laken das Kindbettfieber hervorrufen können.

Das Schreiben ist Semmelweis’ Sache nicht. Hätte sein Freund, der Chirurg Lajos Markusovszky, ihn nicht immer wieder dazu aufgefordert, wäre „Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers“ vielleicht gar nicht entstanden. Auch so liegen zwischen seiner Entdeckung und der Niederschrift 13 Jahre. Als das Buch 1861 erscheint, ist Semmelweis Professor für Geburtshilfe an der Universität Pest (heute Budapest). Zunächst nur vereinzelt und langsam setzen sich seine Erkenntnisse durch. Dazu mag auch beitragen, dass Semmelweis zweifelnde Kollegen erbittert attackiert. Ab 1861 schreibt er „Offene Briefe“ an sämtliche Professoren für Geburtshilfe. Marcusovszky sieht dagegen – deutlich moderater – die Erforschung der Ätiologie des Kindbettfiebers noch nicht abgeschlossen und Semmelweis’ Definition „nur als vorläufige“. 1861 liegen die neuen Erkenntnisse der Bakteriologie gleichsam in der Luft: Bereits drei Jahre zuvor hat Louis Pasteur entdeckt, dass an der alkoholischen Gärung Mikroorganismen beteiligt sind. Semmelweis bleibt bei seinen Beobachtungen von 1847 stehen. Den Gedanken eines „contagium vivum“, einer Ansteckung durch einen lebenden Erreger, erwägt er nicht ernsthaft. Als Vorbote der Bakteriologie kann er daher nicht gelten, ein Vorläufer der Lehre von der Asepsis ist er zweifellos. Sein Verdienst besteht darin, durch einen streng empirischen Zugang zum Kindbettfieber eine äußerst wirkungsvolle Prävention entwickelt zu haben. Sie hat tatsächlich Tausende von Müttern vor dem Tod im Kindbett bewahrt. Christof Goddemeier

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