MEDIZIN: Die Übersicht
Die Neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen: Neurodegenerative Krankheiten des Kindesalters auf dem Weg zur Aufklärung
;


Die Neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen (NCL) sind progrediente neurodegenerative Krankheiten des
Kindesalters, die wahrscheinlich die häufigste Gruppe von neurodegenerativen Krankheiten dieser Altersperiode
darstellen. Daher ist es nicht verwunderlich, daß sie bereits seit 170 Jahren bekannt sind, als der Landarzt
Christian Stengel erstmals in einer mittelnorwegischen Bergarbeiterstadt 1826 die juvenile Form dieses
Krankheitsbildes bei vier betroffenen Kindern eines gesunden Ehepaares beschrieben hat. Über Jahrzehnte
wurden die NCL unter dem Oberbegriff der amaurotischen Idiotie klassifiziert, bis der Nachweis der
Autofluoreszenz ubiquitär gespeicherter Lipopigmente die Abtrennung von anderen Formen der amaurotischen
Idiotie, also von lysosomalen Krankheiten, besonders der GM2-Gangliosidose oder Tay-Sachsschen Krankheit,
erlaubte (25). Seit zirka 25 Jahren ist daher diese Gruppe von neurodegenerativen Krankheiten - zu denen auch
eine seltene adulte Form, der Morbus Kufs, gehört - unter der Bezeichnung Neuronale Ceroid-Lipofuszinosen
(NCL) bekannt. Im angloamerikanischen und besonders im englischen Sprachraum wird auch die Bezeichnung
Morbus Batten verwendet.
Trotz erheblicher neuer molekulargenetischer Erkenntnisse und damit eines deutlichen Fortschritts in der
Aufklärung der NCL in den letzten Jahren wird das Krankheitsbild bioptisch, postmortal und pränatal heute noch
fast ausschließlich durch morphologisch-elektronenmikroskopische Untersuchungen zum Nachweis
krankheitsspezifischer Lipopigmente diagnostiziert.
Die NCL sind gekennzeichnet durch einen fortschreitenden Verlust von zerebrokortikalen und retinalen
Nervenzellen, der wahrscheinlich verantwortlich ist für die klinische Symptomatik, sowie eine ubiquitär
stattfindende Bildung und Ablagerung von exzessiven Mengen von Lipopigmenten, die vielfach eine spezifische
Ultrastruktur aufweisen. Der Nachweis dieser Lipopigmente und ihrer krankheitsspezifischen Feinstruktur ist für
die Diagnostik von entscheidender Bedeutung.
Die respektablen molekulargenetischen Resultate der letzten Jahre, die zu einer Neuklassifizierung der NCL
führen werden, haben sich bereits in einer neuen Nomenklatur bemerkbar gemacht. Die infantile NCL wird auch
als CLN 1, die spätinfantile NCL als CLN 2, die juvenile NCL als CLN 3, die adulte NCL als CNL 4 und
außerdem die finnische Variante der spätinfantilen NCL als CLN 5 bezeichnet (Tabelle 1).
Klinisches Bild der verschiedenen NCL-Formen
Klinisch sind die NCL summarisch gekennzeichnet durch den Begriff der amaurotischen Demenz (früher
"amaurotische Idiotie", ein nicht nur unschöner, sondern wegen der Prozeßhaftigkeit der Symptomatik auch
unpräziser Ausdruck). Sie sind damit anderen genetischen Speicherkrankheiten verwandt. Zu Erblindung und
geistigem Abbau gesellen sich Epilepsie und Bewegungsstörungen in einem für die einzelne Erkrankung
charakteristischen zeitlichen Ablauf. Das unterschiediche Erkrankungsalter ist die Basis der traditionellen
klinischen Klassifikation (Tabelle 1). Praktisch alle intra vitam diagnostizierbaren Formen beginnen im Kindes-
und Jugendalter. Das klinische Bild der drei wichtigsten Formen wird hier besprochen.
Juvenile NCL
Die juvenile NCL (M. Spielmeyer-Vogt) ist in Deutschland mit mindestens 0,7 pro 100 000 Lebendgeborene am
häufigsten (3). Typischerweise sind die Kinder anfangs völlig gesund und psychomotorisch normal entwickelt.
Meist in der ersten Schulklasse wird eine Sehschwäche entdeckt. Die Verordnung von Brillen bessert allerdings
nichts, vielmehr nimmt der Visus rasant weiter ab bis zur Erblindung mit durchschnittlich zehn Jahren (11). Der
Fundus ist schwer verändert mit atrophischer Retina und Pigmentverschiebungen (Abbildung 1).
Augenärzte diagnostizieren aufgrund von Fundoskopie und ausgelöschtem Elektroretinogramm häufig fälschlich
eine "Retinitis pigmentosa", die sich in Wirklichkeit kaum in dieser Altersgruppe manifestiert. Es fällt oft
offenbar schwer, ein über die Retinopathie hinausgehendes tödliches Leiden zu vermuten (Tabelle 2). Der
Verzicht auf weitere Klärung führt zu mitunter vieljähriger Verzögerung der Diagnose, mit leidvollen Folgen für
die Erziehung eines zunehmend lernunfähigen Jugendlichen und der Geburt weiterer befallener Geschwister (6).
Die Kinder werden in Blindenschulen unterrichtet, wo erfahrene Pädagogen im Alter von acht bis zehn Jahren
die abnehmende geistige Kapazität (besonders in Mathematik) bemerken und auf weitere medizinische
Untersuchungen drängen. Plötzlich auftretende epileptische Anfälle führen zwar zu ärztlichen Maßnahmen, aber
keineswegs immer zur Erkenntnis der einheitlichen Ursache von Amaurose, Demenz und Epilepsie.
Die Verdachtsdiagnose ergibt sich leicht aus progredienter Amaurose und Demenz und wird gestützt durch
schon im üblichen Blutausstrich erkennbare Lymphozytenvakuolen. Zur entscheidenden
elektronenmikroskopischen Bestätigung siehe unten. Weitere klinische Befunde bestehen in den Anfangsjahren
nicht, und Hilfsuntersuchungen (bildgebende Verfahren, Lumbalpunktion, biochemische Untersuchungen)
tragen nicht zur Diagnose bei. Das EEG läßt oft multifokale oder generalisierte Krampfaktivität erkennen.
Der weitere Verlauf ist aus Tabelle 1 zu ersehen. Das Leiden führt über viele Jahre fortschreitend zum Verlust
von schließlich allen mentalen und motorischen Fähigkeiten bis zur Schwerpflegebedürftigkeit und zum Tod im
jungen Erwachsenenalter. Trotz des Fehlens kausaler Therapieansätze ist die langjährige, präzise und
einfühlsame Auseinandersetzung mit allen Problemen medizinischer, pädagogischer, psychosozialer und
genetischer Art eine wichtige Aufgabe der entsprechenden Fachleute. Eine Interessenvereinigung betroffener
Familien sucht hier zu vermitteln (Anschrift über den Verfasser A. K.).
Spätinfantile NCL
Die spätinfantile NCL (M. Jansky-Bielschowsky) ist kaum weniger häufig. Auch hier sind die Kinder anfangs
unauffällig. Die Krankheit beginnt im Alter von zwei bis vier Jahren als schwere, medikamentös kaum
beherrschbare Epilepsie. Wenn das Kind zuvor gut entwickelt war und für solch schwere Krämpfe keine
plausible Ursache gefunden wird, ist an diese Form der NCL zu denken und die entsprechende
elektronenmikroskopische Diagnostik einzuleiten. Lichtmikroskopisch ist das Blutbild hier unauffällig. Im
Frühstadium kann das EEG spezifische Hinweise geben durch Polyspikes, die durch langsame photische
Stimulation ausgelöst werden (13, 15). Kortikal abgeleitete somatosensorisch evozierte Potentiale können erhöht
sein (20). Andere Hilfsuntersuchungen führen nicht weiter. Bemerkenswert ist, daß die Kinder lange Zeit nicht
blind erscheinen, obwohl dieRetina erkrankt und das ERG pathologisch verändert ist. Die Erkennung eines
Syndroms der amaurotischen Demenz wird dadurch erschwert. Die Verantwortung für das rechtzeitige Vermuten
der Diagnose liegt häufig beim pädiatrischen Epileptologen (Tabelle 2).
Der weitere Verlauf ist ähnlich auf allen Gebieten abwärts führend wie bei der juvenilen NCL, doch ist er
rascher und führt meist vor der Pubertät zum Tode (Tabelle 1).
Infantile NCL
Die infantile ("finnische") NCL wurde in Deutschland nur vereinzelt beobachtet. Die Kinder sind im ersten
Lebensjahr vollkommen gesund und erleiden im zweiten Jahr einen dramatischen Verlust bereits erworbener
Fähigkeiten. Innerhalb von zwei bis drei Jahren werden die Kinder vollkommen hilflos, steif und reglos. Sehr
kennzeichnend ist die Abflachung des EEG, die rasch zu einem "Null-Linien-EEG" wie bei Hirntod führt
und damit dieVermutungsdiagnose stellen läßt. Bildgebende Verfahren zeigen eine sehr starke Hirnatrophie. Die
elektronenmikroskopische Untersuchung bestätigt die Diagnose. Bei guter Pflege überleben die Kinder mehrere
Jahre (Tabelle 1).
Genetik der NCL
Jüngste genetische Untersuchungen haben gezeigt, daß die NCL nicht nur klinisch, sondern auch genetisch und
damit nosologisch heterogene Krankheitsbilder darstellen. Hierauf hatten in der Vergangenheit schon
unterschiedliche Ultrastrukturbefunde der pathologischen Lipopigmente hingewiesen. Alle in der Kindheit
auftretenden NCL-Formen werden autosomal rezessiv vererbt.
Der Genlokus für die infantile NCL (INCL), die vor allem in Finnland recht häufig ist (17) und zur Gruppe der
typischen "finnischen" hereditären Krankheiten gehört, liegt auf Chromosom 1p32 (7). Das physiologische Allel
kodiert das Protein der Palmitoyl-Protein-Thioesterase, eines lysosomalen Enzyms, dessen Funktion bisher
unbekannt ist (24). Dieses Enzym zeigt in Geweben von Patienten mit infantiler NCL keine Aktivität. Finnische
Patienten mit infantiler NCL zeigen eine Mutation des Gens mit einer Substitution der Aminosäure Arginin
durch Tryptophan, die in 40 von 42 Familien als "common mutation" vorherrscht (24). Daneben wurden jeweils
in einer Familie eine weitere Mutation und ein "compound-"Allel-Defekt beobachtet (24). Die präzise
Charakterisierung des INCL-Gens und seiner entsprechenden Defekte erlaubt heute eine pränatale Diagnose (4,
16) und eine Erkennung von Überträgern der INCL. Bisher sind entsprechende familiär-genetische
Untersuchungen bei der infantilen NCL nur in Finnland (Helsinki) möglich.
Für die klassische spätinfantile NCL, CLN 2, konnte bisher ein Genort nur für einzelne Familien auf
Chromosom 11 nachgewiesen werden. Die Krankheit ist daher wahrscheinlich genetisch und nosologisch
heterogen. Für die meisten Fälle einer Variante der spätinfantilen NCL wurde ein Gen auf Chromosom 15
lokalisiert (21). Bei der klassischen spätinfantilen NCL ist die morphologische Erkennung von Heterozygoten
nicht möglich, während die pränatale Diagnostik elektronenmikroskopisch an unkultivierten Amnionzellen
durchgeführt werden kann. Biochemisch wurden im Speichermaterial der Zellen große Mengen eines
Enzymproteins nachgewiesen, das einen Bestandteil eines Enzyms aus dem mitochondrialen
Energiestoffwechsel darstellt, der Untereinheit C der mitochondrialen ATP-Synthase (5). Die
pathophysiologische Bedeutung der Speicherung dieses Enzymproteins, die in geringerer Ausprägung auch bei
der juvenilen und adulten CL, nicht aber bei der infantilen NCL, gefunden wird, ist ungeklärt.
Nachdem der Genort für die juvenile NCL, CLN 3, auf dem Chromosom 16p11.2 lokalisiert wurde, ist es jüngst
gelungen (22), dieses Gen genau zu charakterisieren. Es enthält 15 Kilobasenpaare mit 15 Exonen und ist ein
bisher nicht bekanntes Gen. Das normale Allel kodiert ein in seiner Funktion unbekanntes, ubiquitär
vorkommendes Protein. Bisher wurden für das CLN-3-Gen 14 Mutationen bei Familien mit juveniler NCL
beschrieben; darunter eine häufige ("common") Mutation mit einer Deletion von 217 Basenpaaren im Zentrum
des Gens, woraus ein verkürztes Protein resultiert (22). Nach der exakten Identifizierung des CLN-3-Gens sind
jetzt eine Erkennung von Überträgern und eine pränatale Diagnostik auf genetischer Grundlage möglich (14).
Der Genort für die adulte NCL, CLN 4, ist noch unbekannt. Die Zahl verfügbarer Familien als Ausgangspunkt
für eine Identifizierung des Gens durch Koppelungs-Studien ist bisher gering. Es wurden sowohl autosomal
dominante wie autosomal rezessive Erbgänge beschrieben.
Die finnische Variante der spätinfantilen NCL, CLN 5 (18), ebenfalls zur Gruppe der typischen finnischen
hereditären Krankheiten gehörig und auf einem "Gründereffekt" beruhend (23), ist genetisch auf dem
Chromosom 13q21.1-32 lokalisiert (19). Ein Genprodukt des normalen Allels ist bisher nicht identifiziert.
Zu weiteren, in den letzten Jahren herausgestellten klinischen NCL-Varianten gehört auch die durch osmiophile
Granula gekennzeichnete morphologische Variante, die klinisch der klassischen juvenilen NCL entspricht. Diese
Formen sind bisher genetisch nicht analysiert worden.
Diagnostik der NCL
Leitsymptome der beiden in Deutschland am häufigsten vorkommenden NCL-Formen sind im Falle der
juvenilen NCL die initiale Retinopathie, im Falle der spätinfantilen NCL die im Kleinkindalter ohne
erkennbares Korrelat auftretende schwere Epilepsie (Tabelle 2).
Trotz des typischen klinischen Bildes und den Möglichkeiten der molekulargenetischen Analyse wird die
Diagnose einer NCL im Kindesalter heute noch weitestgehend morphologisch mit Hilfe des
Elektronenmikroskops gestellt. Während der Verlust von Nervenzellen in der Großhirnrinde für klinische und
elektrophysiologische Charakteristika verantwortlich sein dürfte, sind die ubiquitär, das heißt zerebral und
extrazerebral vermehrt gebildeten Lipopigmente für die Diagnostik bedeutsam. Diese Lipopigmente sind
lysosomale Residualkörperchen, vergleichbar den lysosomalen Residualkörperchen anderer lysosomaler
Krankheiten, so daß die NCL auch zur Gruppe der lysosomalen Krankheiten zu rechnen sind. Die Bedeutung der
Lipopigmente für die Pathogenese der Krankheiten, insbesondere für den fortschreitenden Verlust von
Nervenzellen, gilt als bisher ungeklärt. Ob ihre Bildung für klinische und elektrophysiologische Befunde
verantwortlich oder mitverantwortlich ist, ist ebenfalls bisher weitgehend unbekannt. In extrazerebralen Zellen
und Organen, anders als in zerebro-kortikalen Nervenzellen, führt die Bildung pathologischer Lipopigmente bei
den NCL, soweit klinisch, biochemisch und morphologisch erfaßbar, nicht zu Schädigung und Verlust der
entsprechenden Zellen.
Da ein enzymhistochemischer Defekt, anders als bei zahlreichen lysosomalen Krankheiten, bisher diagnostisch
nicht nachgewiesen werden kann, sind diagnostische biochemische Untersuchungen bei Patienten mit NCL
derzeit nutzlos und nicht indiziert. Auch das oben erwähnte Fehlen der Palmitoyl-Protein-Thioesterase bei der
infantilen NCL hat noch nicht zu einem verbreiteten diagnostischen Einsatz eines Enzymtests geführt.
Hautbiopsie
Andererseits erlaubt die ubiquitäre extrazerebrale Bildung NCL-spezifischer Lipopigmente die diagnostische
Biopsie verschiedener Organe und Gewebe. Nachdem die Ära der Hirnbiopsie durch diese letzten Ergebnisse
überholt erscheint und die Rektumbiopsie angesichts leichter und ungefährlicher zugänglicher Organe ebenfalls
weitgehend aufgegeben worden ist, steht heute die Hautbiospie im Vordergrund der Diagnostik. Hierbei lassen
sich krankheitsspezifische Lipopigmente in Schweißdrüsenepithelien, in glatten Haarbalgmuskeln und in
Gefäßwandzellen mit diagnostischer Zuverlässigkeit nachweisen. Allerdings müssen diese Hautanhangsgebilde
im zu untersuchenden Biopsie-Präparat auch vorliegen, da die Epidermis nur extrem spärlich, wenn überhaupt,
NCL-typische Lipopigmente bildet (9). Eine morphologisch-klinische Korrelation entsprechender klinischer
Subtypen gelingt jedoch mit der Hautbiopsie nicht immer. Hierzu haben sich für uns Untersuchungen an
zirkulierenden Lymphozyten als hilfreich erwiesen. Lymphozyten können hierzu in einfacher Weise aus kleinen
Volumina EDTA-Blut durch Dichtegradientenzentrifugation isoliert werden (1), wonach sie adäquat fixiert und
dann elektronenmikroskopisch untersucht werden. Hierbei finden sich typischerweise (Abbildung 1) für die
infantile NCL granuläre kompakte Lipopigmente, für die spätinfantile NCL kompakte curviliniäre
Einschlußkörperchen, für die klassische juvenile NCL membranbegrenzte Vakuolen mit Fingerabdruckprofilen
(8), letztere allerdings in geringer Zahl, und für die frühjuvenile Form kompakte avakuoläre Lipopigmente mit
Fingerabdruckprofilen (11). Hierbei ist allerdings nicht klar, ob die finnische Variante der spätinfantilen NCL
ebenfalls Lymphozyten-Einschlüsse aufweist. Die Bildung von spezifischen Lipopigmenten in Lymphozyten bei
der adulten NCL ist bisher nicht beschrieben worden, aber Fingerabdruckprofile finden sich in
Schweißdrüsenepithelien und glatten Muskel- sowie anderen Gefäßwandzellen einiger Patienten mit adulter
NCL. Bei den klassischen Formen der NCL im Kindesalter erbringt daher die Untersuchung zirkulierender
Lymphozyten eine unseres Erachtens recht gute klinisch-morphologische und damit diagnostische Korrelation.
Neben Haut und zirkulierenden Lymphozyten werden gelegentlich auch Konjunktiva und quergestreifte
Muskulatur bioptisch erfolgreich analysiert, seltener biopsierte Organe sind Leber, Niere, Lymphknoten,
Tonsillen, Appendix.
Pränatale Diagnostik
Auch die pränatale Diagnostik ist bei den verschiedenen Formen der NCL im Kindesalter durch
elektronenmikroskopische Untersuchungen möglich, die zum Teil die genetische Analyse untermauern, bei der
spätinfantilen NCL sogar ausschließlich notwendig sind. Krankheitsspezifische Lipopigmente finden sich in
Gefäßwandzellen des Chorionstroma bereits ab der neunten Schwangerschaftswoche und erlauben damit
elektronenmikroskopisch die Erkennung der infantilen NCL, während epitheliale Zytotrophoblasten und
Synzytiotrophoblasten keine Lipopigmente aufweisen. Die spätinfantile NCL zeigt curviliniäre Einschlüsse in
unkultivierten Amnionzellen. Die spätinfantile NCL ist bisher nur in unkultivierten Amnionzellen, nicht jedoch
im Chorion nachzuweisen, und zwar etwa ab der 16. Schwangerschaftswoche. Jüngst sind auch NCL-spezifische
Lipopigmente in Gefäßwandzellen des Chorionstroma bei juveniler NCL in der 15. Schwangerschaftswoche
dokumentiert worden (14). Bei der elektronenmikroskopischen pränatalen Diagnostik ist jedoch darauf zu
achten, daß tatsächlich Choriongewebe im Präparat vorliegt oder daß Amnionzellen unkultiviert bleiben, da
kultivierte Zellen keine NCL-Lipopigmente exprimieren. Außerdem muß der Untersucher das ultrastrukturelle
Spektrum der NCL-Lipopigmente genau kennen, weil zum Beispiel in Hofbauer-Zellen des Chorionstroma, die
Makrophagen darstellen, ein vielfältiges Spektrum unspezifischer lysosomaler Residualkörperchen vorkommen
kann, die nicht Anlaß zur Verwechslung mit NCL-spezifischen Lipopigmenten geben dürfen.
Inzwischen ist auch bekannt, daß bereits pränatal in der Haut und anderen Organen NCL-spezifische
Lipopigmente gebildet werden, so daß die pränatale Untersuchung von Haut (auch Muskel?) und von
Lymphozyten möglich (12) und gegebenenfalls indiziert ist (2). Sollte die pränatale Diagnostik zweifelsfrei eine
NCL des Kindesalters erbringen und zu einem Schwangerschaftsabbruch führen, ist es dringend angeraten, den
Fetus post partum morphologisch, inklusive elektronenmikroskopisch, zu untersuchen, um die pränatale
Diagnose zu bestätigen. Zur adulten NCL sowie zu frühjuvenilen und finnischen Varianten der
spätinfantilenNCL liegen bisher keine pränatalen elektronenmikroskopischen Befunde vor.
Resümee
Infolge der Häufigkeit von NCL im Gesamtspektrum progredienter letaler neurodegenerativer Krankheiten des
Kindesalters ist ihre Kenntnis für Pädiater, Neuropädiater, Allgemeinärzte und Ophthalmologen heute unbedingt
notwendig (Tabelle 2). Trotz fehlender kausaler Therapien ist eine frühe Erkennung dringlich wegen der
weitreichenden Folgen für die Lebensplanung der Familie sowie für eine genetische Beratung einschließlich der
Möglichkeit pränataler Diagnostik.
Die Diagnose sollte nicht allein auf klinische, elektrophysiologische und radiologische Befunde beschränkt
bleiben, sondern auch eine adäquate, das heißt elektronenmikroskopische, Diagnostik leicht zugänglicher
Zellpopulationen wie zirkulierender Lymphozyten oder Hautanhangsgebilde gesichert werden. Eine
lichtmikroskopische Untersuchung reicht nicht aus. Bei der elektronenmikroskopischen Diagnostik bedarf es
einer gewissen Erfahrung, zumal sie in der Präparation und in der unmittelbaren elektronenmikroskopischen
Untersuchung zeit- und personalaufwendig und dadurch kostenintensiv ist. Hierbei ist im Spektrum
elektronenmikroskopischer Diagnostik die feinstrukturelle Untersuchung zirkulierender Lymphozyten am
schnellsten und leichtesten durchzuführen. Die adäquate Präparation entsprechender Zellen und Gewebe, auch
für die pränatale Diagnostik, beginnend mit entsprechender Fixierung in Glutaraldehyd, ist essentiell, um eine
zuverlässige elektronenmikroskopische Untersuchung zu gewährleisten. Diese kann auch entfernt vom Ort der
Biopsie durchgeführt werden, da adäquat fixierte Zellen und Gewebe auf dem regulären Postweg dem
elektronenmikroskopischen Untersuchungsort zugestellt werden können.
Während die molekulargenetische Forschung in der letzten Zeit beachtliche Fortschritte erzielt hat, bedürfen
Ätiologie und Pathogenese intensiver Studien, die auch im Rahmen einer konzertierten Aktion innerhalb der
Europäischen Union stattfinden (Biomed 2 BMH 4-CT 95-0563).
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-3183-3188
[Heft 47]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck und über die
Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Alfried Kohlschütter, Universitätskinderklinik Hamburg, Neurochemie und Stoffwechsel,
Martinistraße 52, 20251 Hamburg
1. | Böyum A: Isolation of mononuclear cells and granulocytes from human blood. Scand J Clin Lab Invest 1968; 21: 77-89 (Suppl 97). |
2. | Chow CW, Borg J, Billson VR, Lake BD: Fetal tissue involvement in the late infantile type of neuronal ceroid lipofuscinosis. Prenat Diagn 1993; 13: 833-841. |
3. | Claussen M, Heim P, Knispel J, Goebel HH, Kohlschütter A: Incidence of neuronal ceroid-lipofuscinoses in West Germany: variation of a method for studying autosomal recessive disorders. Am J Med Genet 1992; 42: 536-538. |
4. | Goebel HH, Vesa J, Reitter B et al.: Prenatal diagnosis of infantile neuronal ceroid-lipofuscinosis: a combined electron microscopic and molecular genetic approach. Brain Dev 1995; 17: 83-88. |
5. | Hall NA, Lake BD, Dewji NN, Patrick AD: Lysosomal storage of subunit c of mitochondrial ATP synthase in Batten's disease (ceroid-lipofuscinosis). Biochem J 1991; 275: 269-272. |
6. | Heim P, Kohlschütter A: Avoid diagnostic delay of late infantile and juvenile neuronal ceroid lipofuscinosis: A word to pediatricians, neurologists and ophthalmologists. Am J Med Genet 1995; 57: 238. |
7. | Hellsten E, Vesa J, Speer MC et al.: Refined assignment of the infantile neuronal ceroid lipofuscinosis (INCL, CLN1) locus at 1p32: incorporation of linkage disequilibrium in multipoint analysis. Genomics 1993; 16: 720-725. |
8. | Ikeda K, Goebel H: Ultrastructural pathology of lymphocytes in neuronal ceroid-lipofuscinosis. Brain Dev 1979; 1: 285-292 |
9. | Kaesgen U, Goebel HH: Intraepidermal morphologic manifestations in lysosomal diseases. Brain Dev 1989; 11: 338-341. |
10. | Kimura S, Goebel HH: Electron microscopic studies on skin and lymphocytes in early juvenile neuronal ceroid-lipofuscinosis. Brain Dev 1987; 9: 576-580. |
11. | Kohlschütter A, Laabs R, Albani M: Juvenile neuronal ceroid lipofuscinosis (JNCL): quantiative description of its clinical varability. Acta Paed Scand 1988; 77: 867-872. |
12. | Kohlschütter A, Rauskolb R, Goebel HH, Anton-Lamprecht I, Albrecht R, Klein H: Probable exclusion of juvenile neuronal ceroid lipofuscinosis in a fetus at risk: an interim report. Prenatal Diagnosis 1989; 9: 289-292. |
13. | Kurlemann G, Schuierer G: Das EEG in der Diagnose anderer Krankheitsbilder als der Epilepsie. Klin Pädiatr 1994; 206: 100-107. |
14. | Munroe PB, Rapola J, Mitchison HM et al.: Prenatal diagnosis of Batten's disease. Lancet 1996; 347: 1014-1015. |
15. | Pampiglione G, Harden A: Neurophysiological identification of a late infantile form of ,neuronal lipidosis'. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1973; 36: 68-74. |
16. | Rapola J, Salonen R, Ämmälä P, Santovuori P: Prenatal diagnosis of infantile neuronal ceroid-lipofuscinosis, INCL: morphological aspects. J Inherit Metab Dis 1993; 16: 349-352. |
17. | Santavuori P: Neuronal ceroid-lipofuscinoses in childhood. Brain Dev 1988; 10: 80-83. |
18. | Santavuori P, Rapola J, Raininko R et al.: Early juvenile neuronal ceroid-lipofuscinosis or variant Jansky-Bielschowsky disease: diagnostic criteria and nomenclature. J Inherit Metab Dis 1993; 16: 230-232. |
19. | Savukovski M, Kestila M, Williams R et al.: Defined chromosomal assignment of CLN5 demonstrates that at least four genetic loci are involved in the pathogenesis of human ceroid lipofuscinoses. Am J Hum Genet 1994; 55: 695-701. |
20. | Schmitt B, Thun-Hohenstein L, Molinari L, Superti-Furga A, Boltshauser E: Somatosensory evoked potentials with high cortical amplitudes: clinical data in 31 children. Neuropediatrics 1994; 25: 78-84. |
21. | Sharp JD, Wheeler RB, Lake BD et al.: Loci for classical and a variant late infantile neuronal ceroid lipofuscinosis map to chromosomes 11p15 and 15q21-23. Human Molecular Genetics 1997; 6: 591-595. |
22. | the International Batten Disease Consortium: Isolation of a novel gene underlying Batten disease,CLN3. Cell 1995; 82: 1-20. |
23. | Varilo T, Savukoski M, Norio R, Santavuori P, Peltonen L, Järvelä I: The age of human mutation; genealogical and linkage disequilibrium analysis of the CLN5 mutation in the Finnish population. Am J Hum Genet 1996; 58: 506-512. |
24. | Vesa J, Hellsten E, Verkruyse L et al.: Mutations in the palmitoyl protein thioesterase gene causing infantile neuronal ceroid lipofuscinosis. Nature 1995; 376: 584-587. |
25. | Zeman W, Alpert M: On the nature of the ,stored' lipid substance in juvenile amaurotic idiocy (Batten-Spielmeyer-Vogt). Ann Histochim 1963; 8: 255-258. |