ArchivDeutsches Ärzteblatt16/2011Präimplantationsdiagnostik: Im Entscheidungsdilemma

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Präimplantationsdiagnostik: Im Entscheidungsdilemma

Richter-Kuhlmann, Eva

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Ernst, emotional und respektvoll diskutierten die Abgeordneten des Bundestages die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik. Für welchen der drei vorliegenden Gesetzentwürfe sich die Mehrheit entscheiden wird, blieb noch ungewiss.

Foto: epd
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Politiker ändern gern mal ihre Meinung, doch nur selten erklären sie dies offen. Und auch nur selten werden im routinierten Politikbetrieb des Bundestages ehrliche und persönliche Debatten geführt, die frei von jeglichem parteipolitischen Kalkül sind. Die dreistündige Diskussion zur Präimplantationsdiagnostik (PID) am 14. April war eine solche Debatte. An diesem Tag ging es um eine Frage, die die Gesellschaft emotional spaltet: um die Option auf Selektion. Auf der einen Seite steht das große Leid der betroffenen Paare, das Ärztinnen und Ärzte durch den Fortschritt der Medizin lindern könnten. Auf der anderen Seite steht das Aussortieren von menschlichen Embryonen aufgrund von Krankheitsmerkmalen. Viele Abgeordnete sehen sich da in einem Entscheidungsdilemma.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier bekannte, mit sich selbst intensiv „gerungen“ zu haben. Lange habe er für ein straffes Verbot der PID votiert, über Jahre hinweg habe er jedoch daran gezweifelt. Doch: „Das strikte Verbot löst nicht die Fragen der Realität“, betont er jetzt. Man dürfe Hilfesuchenden – und das seien im Falle der PID verzweifelte Menschen, denen es nicht um Selektion oder Töten, sondern um das Leben gehe – nicht die Hilfe verweigern. Doch, ob dieses (ärztliche) Gebot auch für die gesetzliche Zulassung der PID in Deutschland gilt, bleibt fraglich. „Jeder von uns ist in dieser Debatte ein Suchender“, resümiert der FDP-Abgeordnete Patrick Meinhardt – Töne, wie man sie nur selten in der Politik hört. Und sein liberaler Parteikollege Pascal Kober kommt zu dem Schluss, dass man sich im Zweifel für das Leben und den weitergehenden Schutz entscheiden müsse. „PID bedeutet“, sagte er, „dass ein Gremium ermächtigt wird zu bestimmen, welchen Menschen Schutz zukommt.“

Ein Drittel der Abgeordneten zweifelt noch

Steinmeier und Kober haben für sich eine Entscheidung getroffen. Etwa 200 Abgeordnete des Deutschen Bundestages sind indes noch unschlüssig. Sie seien sich bei der Abwägung unsicher, könnten den Argumenten jeder Position etwas abgewinnen, hört man von ihnen. Dennoch wird es bei der Abstimmung voraussichtlich am 30. Juni auf sie ankommen, ob die PID in Deutschland gesetzlich zugelassen wird oder verboten bleibt. Denn zwei der drei zur Diskussion stehenden Gesetzentwürfe liegen bezüglich der Anzahl ihrer Unterstützer fast gleich auf.

Beifall aus allen Fraktionen erhielt Ilja Seifert: „Jeder und jede von uns ist einmalig, deshalb gehören wir zusammen. Das mag pathetisch klingen, aber darunter ist diese Debatte nicht zu führen.“ Foto: dpa
Beifall aus allen Fraktionen erhielt Ilja Seifert: „Jeder und jede von uns ist einmalig, deshalb gehören wir zusammen. Das mag pathetisch klingen, aber darunter ist diese Debatte nicht zu führen.“ Foto: dpa

Einen etwas größeren Zulauf
im Parlament finden momentan die PID-Befürworter. 215 Abgeordnete haben schon den Entwurf unterschrieben, der die PID begrenzt zulassen will. Federführend stammt er von den Abgeordneten Peter Hintze (CDU), Ulrike Flach, Heinz Lanfermann (beide FDP), Carola Reimann (SPD), Petra Sitte (Die Linke) sowie Jerzy Montag (Bündnis 90/Die Grünen). „Wir wollen nicht alle Türen für die PID öffnen, sondern sie soll nur in Ausnahmefälle erlaubt sein“, betont die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Ulrike Flach. Nach einer verpflichtenden Aufklärung und Beratung sowie dem positiven Votum einer Ethikkommission soll die PID dem Entwurf zufolge nur dann zulässig sein, wenn ein oder beide Elternteile die Veranlagung für „eine schwerwiegende Erbkrankheit in sich tragen oder mit einer Tot- oder einer Fehlgeburt zu rechnen ist“. Fehl- und Totgeburten sowie die Weitergabe von besonders schweren Erkrankungen an das Kind sollen so bereits vor der Geburt verhindert und schwere Belastungen der Familien abgewendet werden. „Wir wollen damit den Wertungswiderspruch zum Schwangerschaftsabbruch aufheben“, erklärte Flach. Einen PID-Automatismus werde es jedoch nicht geben. Dabei verweist Flach auf ähnliche Empfehlungen, wie die des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer und der Nationalakademie Leopoldina sowie auf das Teilvotum des Deutschen Ethikrats, der der PID allerdings engere Grenzen als die Gruppe um Flach setzen will.

In ihrer Argumentation verweisen die PID-Befürworter immer wieder auf die Sorgen und Nöte der betroffenen Familien, denen es nicht um ein blondes oder blauäugiges Kind geht, sondern die lediglich ein Kind möchten, das sie nicht nach kurzer Zeit wieder verlieren. Der ehemalige Pfarrer und derzeitige Wirtschaftsstaatssekretär Peter Hintze (CDU) mahnt, der Gesetzgeber habe die Pflicht, Paaren die Nutzung der medizinischen Chancen zu erlauben. Auch Carola Reimann (SPD) hält es für „schwer erträglich“ und „frauenverachtend“, diesen Paaren keine Hilfe anbieten zu dürfen, obwohl sie medizinisch möglich wäre.

PID entspricht nicht einem Schwangerschaftsabbruch

Doch am Kern des Entwurfs der PID-Befürworter kommt keiner vorbei: Er legitimiert die Selektion von Leben. Ein Embryo wird zur Implantation ausgesucht, ein anderer verworfen. Dies ist auch das Hauptargument der PID-Gegner. Die stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion Johannes Singhammer (CSU) und Günter Krings (CDU), der Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke (CDU), die gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Birgitt Bender, sowie die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) fordern deshalb ein striktes Verbot der PID. Ihr Gesetzentwurf, den mittlerweile 192 Abgeordnete unterzeichnet haben, wird ebenfalls von Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt.

Auch diese Abgeordneten erkennen die schwierige Situation und das Leid der betroffenen Eltern an. Aber es handele sich bei diesen Fällen eben nicht um existenzielle Konfliktsituationen, wie sie bei einem Schwangerschaftsabbruch aufträten, meint Schmidt. „Bei der PID steht die Selektion am Anfang. Den aussortierten Embryonen wird das Recht genommen, sich zu entwickeln.“ Deutliche Unterschiede zum Schwangerschaftsabbruch sieht auch die Grünen-Gesundheitspolitikerin Bender. „Manche werden sich wundern, dass ich hier für ein Verbot eintrete, schließlich habe ich viele Jahre vehement für die Abtreibungsregelung gekämpft“, betont sie. Doch ein Schwangerschaftsabbruch sei mit der PID nicht vergleichbar. „Die PID ist die bewusste Erzeugung von etwa acht Embryonen zum Zweck des Aussortierens. Diese Option auf Selektion würde unsere Gesellschaft verändern. Wie soll sich da noch eine Frau für ein behindertes Kind entscheiden?“ Wie viele ihrer Mitunterzeichner sieht Bender die Gefahr des wachsenden sozialen Drucks, sich dem Verfahren der PID zu unterziehen, ist diese erst einmal zugelassen.

„Ich kenne viele, die nicht auf der Welt wären, hätte es die PID bereits gegeben“, gab der behindertenpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Ilja Seifert, zu bedenken, der nach einem Unfall in der Jugend auf den Rollstuhl angewiesen ist. Viele Behinderte hätten Angst vor einer Abwertung, erklärt Seifert. Für nichtbehinderte Menschen sei dies möglicherweise nicht direkt greifbar. „Doch wer ein solches Leben hat, für denjenigen gibt es nichts Wichtigeres.“ Krings befürchtet zudem wachsende Begehrlichkeiten der Forschung nach befruchteten Eizellen. „Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass weder Ärzte noch die Gesellschaft über lebenswertes und nicht lebenswertes Leben entscheiden“, appelliert er. Ein Embryo sei keine Sache, die man bei Mängeln verwerfen könne.

Als einen Ausweg aus dem Entscheidungsdilemma und die „mittelnde Position“ sehen die Abgeordneten um den Ethikfachmann der SPD-Fraktion René Röspel und die bildungspolitische Sprecherin der Grünen, Priska Hinz, ihren Gesetzentwurf an, den bislang 36 Abgeordnete unterschrieben hatten, darunter auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Die Gruppe will die PID grundsätzlich verbieten, jedoch in jenen Fällen, bei denen die Paare mit einer Tot- und Fehlgeburt ihres Kindes rechnen müssen, nicht für rechtswidrig erklären. „Wir stellen nicht die Frage: Darf ein Leben gelebt werden? Sondern: Kann ein Leben gelebt werden?“, erklärt Röspel. „Wir wollen Menschen in die Lage versetzen, Eltern zu werden.“ Offen bleibt jedoch noch, wie der Entwurf in der Praxis umgesetzt werden kann. Denn die Lebensfähigkeit und die Dauer des Lebens eines Kindes lassen sich nur in den seltensten Fällen genau vorhersagen.

Sollte der Antrag wegen seiner nicht besonders praktikablen Lösung bei der zweiten und dritten Lesung im Juni aus der interfraktionellen Abstimmung genommen werden, könnte es entscheidend werden, wie die Anhänger der bisherigen Kompromisslösung votieren. Ihren Redebeiträgen zufolge scheinen zumindest Hinz und Röspel im Zweifel zu einem Verbot zu tendieren. Hubertus Heil (SPD) bot ihnen jedoch explizit noch einmal Verhandlungen an, um sie als Unterstützer einer PID-Zulassung zu gewinnen.

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

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