MEDIZIN: Die Übersicht
Die therapeutische Hypnose: Formen, Möglichkeiten und Grenzen


Die in den letzten Jahrzehnten auch im deutschsprachigen Raum zunehmend häufigere Anwendung hypnotischer Verfahren in
der Therapie wirft vermehrt Fragen nach dem Wesen und den Möglichkeiten dieser Methode auf. Sie ist erfreulicherweise
als sogenanntes Zweitverfahren offiziell Bestandteil der Psychotherapie-Curricula geworden. Dennoch bilden wir hier
eher das Schlußlicht in einer Entwicklung, vor allem gegenüber dem englischsprachigen Ausland.
Diese Verzögerung hat sowohl historische als auch psychotherapie-ideologische Gründe. Die Öffnung
gegenüber diesem uralten heilkundlichen Erfahrungsgut war nicht nur durch allgemeine Vorurteile und die
Bühnen-Hypnosen, sondern auch durch die Dominanz der Schulmedizin und die der Psychoanalyse verstellt.
Grundlagen und Wesen der Hypnose
Das Phänomen Hypnose allgemein
Abgesehen von der Mischung von Faszination und Unheimlichkeit, die das Stichwort "Hypnose" bei vielen
Menschen auslöst, stehen wir hier auch wissenschaftlich vor einem Vorgang, dessen Wesen und innere
Determinanten noch weithin unklar sind. Dabei läßt sich die Wirksamkeit hypnotischer Techniken auf vielen
Gebieten bis ins Detail beschreiben und auch zielmäßig planen. Dies gilt nicht nur für die öffentlichen SchauHypnosen, die besonders den Laien ansprechen, sondern gerade auch für die therapeutischen Hypnoseformen.
Unabhängig von den verschiedenen gängigen Theorien der Hypnose beim Menschen handelt es sich hier
zweifellos um eine Fähigkeit biologischer Systeme überhaupt. Diese ruht offenbar in gemeinsamen archaischen
Schichten und ist relativ leicht anstoßbar und aktivierbar. Anders wäre es nicht zu erklären, daß es auch eine
Tierhypnose mit hochinteressanten Phänomenen gibt (5, 11) und daß es nicht nur bereits Anfängern in der
Hypnose-Weiterbildung, sondern sogar dilettierenden Laien gelingt, entsprechende Zustände zu erzeugen - bei
letzteren freilich mit erhöhter Gefahr von Zwischenfällen. Das breite Übergangsfeld von der methodisch
induzierten Hetero-Hypnose bis zur Selbsthypnose, Spontanhypnose, Meditation und den vielerlei
Trancezuständen und ekstatischen Ausnahmezuständen zeigt ebenfalls, daß es sich hier um generelle
Reaktionsmuster der Psyche handeln muß.
Zur Geschichte der Hypnose
Hypnotische Verfahren gehören zweifellos zu den ältesten psychischen Heilmethoden der Menschheit. Sie sind
aus dem alten Ägypten, dem Asklepioskult (Tempelschlaf) bei den Griechen und einer Vielzahl analoger
Praktiken bis in die Neuzeit bekannt. Ebenso finden sie sich in anderen Kulturen, im Schamanentum, bei den
Medizinmännern und Heilungstraditionen primitiver Völker überhaupt (2).
Die systematische beziehungsweise wissenschaftliche Erforschung hypnotischer Phänomene kann, abgesehen
von verschiedenen Vorläufern, ab F. A. Mesmer (1734 bis 1815) datiert werden. Er war zwar der
physiologischen Theorie eines kosmischen "Fluidums" und "animalischen Magnetismus" verhaftet, verhalf aber
der Hypnose als Heilverfahren im damaligen Europa zum allgemeinen Durchbruch. Im 19. Jahrhundert gab vor
allem die Rivalität zwischen dem physiologischen Erklärungsmuster ("Hysterie") der Schule von Paris
(J.-M. Charcot) und dem psychologischen Erklärungsmuster ("Suggestion") der Schule von Nancy (H.
Bernheim) der Erforschung des Phänomens Anschub.
Bei beiden hatte S. Freud (1856 bis 1939) Erfahrung in der Hypnose gesammelt und diese auch therapeutisch
ausgeübt. Er verließ diesen Weg aber wieder aus verschiedenen Gründen und gab der Psychoanalyse den klaren
Vorzug. Die späteren Vorbehalte der Psychoanalytiker gegen die Hypnose überhaupt haben unter
anderem hierin ihre Wurzel. Die europäische Hypnosetradition setzte sich zu Beginn unseres Jahrhunderts vor
allem über A. Forell und E. Bleuler in Zürich und über O. Vogt und J. H. Schultz in Berlin fort. Das
von letzterem entwickelte Autogene Training ist ein von der Hypnose abgeleitetes selbsthypnotisches Verfahren.
Wirkungstheorien und Hypnotisierbarkeit
Es gibt bis heute keine befriedigende oder umgreifende Theorie der Hypnose, trotz der erwiesenen Wirksamkeit.
Das gängigste derzeitige Modell ist die sogenannte Dissoziations- beziehungsweise Neodissoziationstheorie
(Janet/Hilgard) (4, 6, 7), die von der unabhängigen Funktionalität der einzelnen kognitiven und physiologischen
Systeme und damit ihrer gezielten Beeinflußbarkeit ausgeht. Je nach Gewichtung der hypnotischen
Einzelphänomene wurde das Wesen der Hypnose auch als "organismische Umschaltung" (Schultz), "partieller
Schlaf" (Pawlow), "Fokussierung" der Aufmerksamkeit (Erickson), Steigerung der "ideoreflektorischen
Erregbarkeit" (Bernheim), "außerwacher Bewußtseinszustand" (Thomas) oder "Bewußtseinssenkung" mittels
"Regression der Grundfunktion der Persönlichkeit" (Stokvis/Langen) bezeichnet.
Ebenso finden sich lerntheoretische Modelle, die die Hypnose beispielsweise als "abstraktes Konditionieren"
(Welch) oder "konditionierte Inhibition" (Edmonston) auffassen, bis hin zur Interpretation als
"sozialpsychologisches Rollenspiel" (Sarbin).
Jeder dieser Erklärungs- oder Theorieansätze (5, 6, 7) trifft zweifellos bestimmte Ebenen der hypnotischen
Reagibilität, nicht aber die Komplexität des Phänomens.
Die Frage nach der Hypnotisierbarkeit des Menschen überhaupt, als Sonderfall der allgemeinen Suggestibilität,
bewegt nicht nur viele Laien, sondern hat auch große Bedeutung für die therapeutischen Indikationen. Nach
überwiegender Einschätzung gelten höchstens zehn Prozent der Menschen als refraktär, das heißt nicht
hypnotisierbar, wobei hiervon noch ein weiterer Teil durch häufiges Hypnotisieren reagibel werden kann. Etwa 20 Prozent
sind sehr tief hypnotisierbar, teilweise bis zu somnambulen Zuständen mit Amnesie, der Großteil liegt im Bereich
mittelgradiger Hypnosetiefen (5). Gerade diese erweisen sich aber für die Therapie meist als günstiger, wohl eben wegen
des erhaltenen bewußten Ich-Anteils.
Für die Hypnotisierbarkeit und die sogenannte "Tiefe" der Hypnose wurde eine Vielzahl von Skalen und auch
Testverfahren entwickelt, die aber für die praktischen therapeutischen Belange nur eine geringe Bedeutung
haben.
Arten der therapeutischen Hypnose
Die direkte oder "klassische" Hypnose
Sie geht von den historisch entwickelten und in vielerlei Varianten modifizierten Beziehungsmustern aus, die
dem Hypnotisanden eine deutlich passive, untergeordnete, reagierende und dem Hypnotiseur eine aktive,
dominierende, bestimmende Position zuweisen.
Dies zeigt sich insbesondere bei den klaren suggestiven Anweisungen zur Einleitung der Hypnose, aber auch in
der Applikation von therapeutisch wirksamen Formeln oder in der verbalen Führung durch Bilderlebnisse. Auch
die Induktion von Veränderungen im Körpererleben (Schwere, Wärme und anderes) oder in der Muskelfunktion
(Armlevitation, Katalepsie) geschieht vorwiegend in direktiver Weise. Diese durch eher eindeutige Vorgaben
gekennzeichnete Methode kommt der Struktur und hypnotischen Reagibilität vieler Patienten auch heute sehr
entgegen. Ablauf und Ziele der Hypnose sind herbei transparent vorbesprochen.
Die indirekte oder "neue" Hypnose
Hier wird der Erfahrung Rechnung getragen, daß nicht wenige Menschen vermehrt einen Widerstand gegen
direkte psychische Fremdbestimmung entwickeln und sich daher auch in der Hypnose besser einer permissiven,
viel Wahlfreiheit lassenden Methode öffnen. Die Patienten werden hierbei eher unmerklich, meist über einen
allmählich in den hypnotischen Zustand ("Trance") hineinführenden Dialog suggestiv beeinflußt, wobei noch
spezielle Methoden zur Anwendung kommen können.
Hierzu gehören suggestive Einstreutechniken und Verwirrtechniken, das empathische Aufnehmen von
Körpervorgängen ("pacing"), zum Beispiel des Atemrhythmus, und dessen unmerkliche Beinflussung im
eigenen Mitgehen ("leading"), auch das Offenlassen divergierender Reaktionsmöglichkeiten oder die
Neubewertung von Symptomen in deren Symbolgehalt oder innerer Bedeutung ("reframing"). Leitgedanke ist
hierbei die Erschließung eigener Ressourcen zur Problemlösung und Symptomreduktion ("utilisation"), im
Vertrauen auf die im Unbewußten verankerten positiven Kompensationsmöglichkeiten aus Lernerfahrung und
Kreativität. Diese, von Milton Erickson (3) meisterhaft entwickelte Form einer "neuen" Hypnose hat in kurzer
Zeit große Verbreitung gefunden.
Kritische Bewertung der Unterschiede
Die neuen methodischen Elemente stellen sicher eine große Bereicherung und Erweiterung des
hypnotherapeutischen Repertoires dar. Doch ist davor zu warnen, sie einfach als die fortschrittlicheren und damit
"besseren" Modelle zu betrachten, die die klassischen Methoden abzulösen hätten. Vielmehr wird erst im
subtilen Kennenlernen des Patienten und in der Einzelindikation hinreichend gut erkennbar, für welche
Verfahrensweise er seiner Struktur nach am besten geeignet ist. Häufig erweist sich gerade eine gekonnte
Kombination beider Formen als besonders wirksam. Ziel zukünftiger Hypnoseausbildung muß daher sein, den
Erwerb entsprechender Kompetenz auf beiden methodischen Ebenen zu fördern.
Durchführung und Techniken
Aufbau und therapeutischer Kontext
Der Hypnose liegt eine intensive Beziehungsaufnahme beiderseits ("hypnotischer Rapport") zugrunde. Für deren
möglichst störungsfreies Zustandekommen sollte eine entspannte, geräuscharme, optisch leicht gedämpfte
Atmosphäre geschaffen werden. Auch die anzustrebende ruhige, eher monotone Sprache des Hypnotiseurs dient
der Innenorientierung im Rapport. Die nötige Vertrauensbildung hierzu setzt eine entsprechende empathische
Einstellung des Hypnotiseurs voraus. Prinzipiell ist die Durchführung sowohl im Liegen als auch im Sitzen, als
Einzel- oder als Gruppen-Hypnose möglich.
Jede therapeutische Hypnose, die nicht nur auf eine momentane Symptomreduktion abzielt, bedarf einer
Einbettung in einen allgemeinen psychotherapeutischen Zusammenhang. In welchem Abschnitt des
therapeutischen Prozesses dann das Einschalten einer hypnotischen Sequenz sinnvoll ist, bestimmt sich nach
dem hierfür gültigen Indikationsspektrum sowie entsprechenden Eignungskriterien auf Patientenseite.
Unabhängig hiervon muß zu jeder hypnotischen Sitzung ein direktes, wenn auch kurzes Vor- und Nachgespräch
gehören.
Einleitung, Vertiefung, Rücknahme
Das Hineinführen des Patienten in den hypnotischen Zustand ("Einleitung", "Induktion") kann über eine
Vielzahl sogenannter Einleitungstechniken geschehen, erfordert aber jeweils ein innerlich klares, zielbewußtes
Vorgehen beim Therapeuten selbst. In der direkten Hypnose stehen vor allem optische Methoden (AugenFixierung, Farberleben, innere Bilder) oder akustische Methoden (monotone Geräusche, ruhige Tonfolgen,
suggestive Sprache), auch konzentrierte Suggestion von Körpersensationen (Schwere, Wärme, Atmung) im
Vordergrund. Die indirekte Hypnose arbeitet vorwiegend mit dialogischen verbalen Induktionen einschließlich
des Aufgreifens von Körper- und Bilderlebnissen; der Patient kommt auf diese Weise oft unmerklicher oder für
ihn überraschend in die Trance.
Ist durch solche Einleitungstechniken eine erste hypnotische Stufe erreicht, läßt sich eine weitere Vertiefung
durch gezielte, verbale, suggestive Führung anschließen. Diese Stadien sind für das Einbringen der gewünschten
therapeutischen Elemente (Formeln, Bilderlebnisse, geführte Vorstellungen, hypnoanalytische Prozesse)
besonders geeignet. Ein dialogischer Kontakt mit dem Patienten sollte dabei jederzeit möglich sein, auch zur
Ermittlung von inneren Störungen.
Von großer Wichtigkeit ist die richtige und komplette "Rücknahme" aller hypnotischen Veränderungen, sowohl
auf psychischer als auch auf körperlicher Ebene (8). Dies geschieht - aus Sicherheitsgründen - am besten gestuft
(Zählmethoden, gezielte Rücksuggestionen, taktile Reize) und schließt die Vergewisserung des Hypnotiseurs
über den erreichten Normalzustand ein, um posthypnotische Zwischenfälle zu vermeiden. Bei der indirekten
Hypnose läuft die Rücknahme meist weniger markant ab, weil hier auch der Anteil an Eigenregie größer ist.
Spezielle Variationen
Die Hypnosetechnik wurde im Laufe der Zeit durch eine Vielzahl von Abänderungsmöglichkeiten bereichert. So
hat sich zum Beispiel zur stärkeren Vertiefung die sogenannte "fraktionierte Hypnose" (nach Vogt und
Brodmann) (6) bewährt, bei der der Hypnotisand nach verkürzter Einleitung ein- oder mehrmals wieder partiell
rückgeführt wird; die dann berichteten hypnotischen Sensationen werden in der erneuten Induktion besonders
verstärkt.
Wichtig für die anzustrebende eigentherapeutische Verantwortlichkeit des Patienten sind Methoden, die ihn
allmählich von der konkreten Anwesenheit des Hypnotiseurs abzulösen vermögen. In der sogenannten
"Ablationshypnose" nach Klumbies wird dem Patienten zu Hause die Möglichkeit des Wiederholens der erlebten
Hypnose gegeben (über Tonband oder hypnotisch eingeprägte Signalreize). Die von Kretschmer und Langen
entwickelte "gestufte Aktivhypnose" andererseits geht den umgekehrten Weg: Der Patient hat zuerst die
Grundübungen des Autogenen Trainings zu erlernen und kommt dadurch in den hypnotischen Sitzungen viel
rascher in die hypnoide Umschaltung hinein (5, 6, 8). Immer wieder ist daran zu erinnern, daß es sich bei dem
von J. H. Schultz entwickelten Autogenen Training um ein direkt aus der Hetero-Hypnose abgeleitetes
autohypnotisches Verfahren handelt (9, 10).
Wirkungsebenen der Hypnose
Die Hypnose als typisch ganzheitliches Verfahren bedient sich schon in der Induktionsphase der Einflußnahme,
sowohl auf die psychischen als auch auf die psychomotorischen und die somatisch-vegetativen Symptomanteile
des Menschen. In der allgemeinen Entspannung, Ruhigstellung und Versenkung als Primäreffekt sind daher
schon die günstigen Wirkrichtungen auf die jeweiligen Funktionen vorgebahnt.
Auf der psychischen Ebene können dann die spezifischen Suggestionswirkungen von der angestrebten
Gelassenheit und Distanzierung über die Beeinflussung von verschiedenen Ängsten bis zur Hebung des
Selbstwertgefühls oder zu besonderen Erlebnisformen mit intendierter Verhaltensänderung führen. Auf der
psychomotorischen Ebene lassen sich, außer der verminderten Muskelspannung, auch konträre, oft als
spektakulär erlebte hypnotische Abläufe erzeugen, wie zum Beispiel unwillkürliche Bewegungsphänomene
(Levitation, Katalepsie, automatisches Schreiben), die zum Teil auch therapeutisch eingesetzt werden können.
Das vegetative System zeigt sich, wie ja auch vom Autogenen Training bekannt, offenbar in besonderer Weise
einer hypnotischen Beeinflussung und Umschaltung zugänglich, die nicht nur über die glatte Muskulatur,
sondern auch über das sensorische System, die innere Sekretion und das Immunsystem läuft (1, 5, 6, 7).
Gleichermaßen sind hierbei sowohl bewußte innere Einstellungen als auch unbewußte System- und RessourcenAktivierungen im Spiel. Die Vielfalt der therapeutischen Indikationsmöglichkeiten beruht offensichtlich auf
diesen komplexen Gesamtvorgängen, einer Synthese aus Entspannungs- und Aktivierungsvorgängen
gleichzeitig. Die Hypnose stellt alles andere als einen Schlafzustand dar, was sich ja auch aus dem verstärkten
Alpha-Rhythmus im Hypnose-EEG ergibt, der deutlich mit der Hypnotisierbarkeit beziehungsweise
Suggestibilität korreliert (5, 6).
Therapeutische Indikationen
Grundformen des hypnosetherapeutischen Vorgehens
Aus der Vielfalt der Möglichkeiten lassen sich generell vier Arten von hypnotisch-suggestiver Einwirkung auf
bestimmte Störungsmuster herausheben. Welche Art sich beim jeweiligen Patienten konkret nahelegt, muß dann
eine subtile Einzelbeurteilung, auch des eigenen Ausbildungs- und Erfahrungsstandes, ergeben.
Die einfachste, auch für den Anfänger am ehesten geeignete Grundform ist die sogenannte "Indifferenz"Stellung des Symptoms, das heißt, daß dieses (zum Beispiel Angst, Schmerz) als "ganz gleichgültig" suggeriert
wird, um eine innere Distanzierung zu erreichen. Als nächstes sind die Applikationen bewährter Formeln zu
nennen, die, nachdem sie auch im Vorgespräch vom Patienten akzeptiert wurden, konkret und deutlich dem
Syndrom oder unerwünschten Verhalten (zum Beispiel Prüfungsangst, Sucht, psychosomatische Störung)
entgegenlaufen; sie lassen sich analog auch in das Autogene Training überführen (10).
Bereits größere Ansprüche an das hypnotische Können stellen dann gezielte Dissoziationstechniken, bei denen
sich der Patient durch geführtes Bilderleben in einer anderen, angenehmeren Situation vorfindet, wo sich die
Symptomatik positiv umdeutet (zum Beispiel hypnotische Analgesie in der Zahnbehandlung, Kopfschmerz,
Flugangst) oder wo die Symptome transformiert oder verschoben werden. Die gezielte hypnotische
Mobilisierung eigener Ressourcen und Lösungsmuster schließlich, die besondere Stärke der Ericksonschen
indirekten Hypnose (3, 7), arbeitet mit dem erwähnten Repertoire von Utilisation, Reframing und
Kreativitätsanregung, gerade auch bei komplexeren Prozessen (zum Beispiel Reifungskrisen, psychosomatischen
Syndromen, immunologischen Störungen). Natürlich gibt es eine Vielfalt von Kombinationsmöglichkeiten
zwischen diesen hypnotherapeutischen Grundmustern.
Spezielle Symptom- und Krankheitsbereiche
Es ist nicht nur wegen der notwendigen Kürze, sondern auch wegen der stark divergierenden therapeutischen
Erfahrungen mit der Hypnose überhaupt ein ungeschütztes Unterfangen, aufzählend die verschiedenen
Indikationsbereiche durchzugehen. Unter Verzicht auf jegliche Abstufung läßt sich hier nur angeben, wo
hypnotische Interventionen zumindest grundsätzlich wirksam sein können.
Eines der Hauptfelder der Hypnosetherapie - gerade auch für den Anfänger - stellt die Vielzahl von
Angstzuständen dar: umgrenzte Angstsyndrome im neurotischen Grenzbereich (Flugangst, Examensangst),
spezielle soziale Ängste, Platzangst, Klaustrophobie, Panikattacken, bis zu den klassichen Objektphobien und
generalisierten Ängsten. Ein nächster Bereich sind chronische Schmerzsyndrome (natürlich soweit sie nicht
akuten Signalcharakter haben): Kopfschmerzen, Phantomschmerzen, spastische Schmerzen, und zum anderen
die direkte Schmerzausschaltung (hypnotische Analgesie) bei Eingriffen, heute zunehmend vor allem in der
Zahnmedizin.
Motorische Störungen sind der Hypnose um so zugänglicher, je stärker ihr psychogener Anteil ist (Stottern, Tics,
Schreibkrampf, Bruxismus, psychogene Lähmung). Auf dem großen Gebiet der psychosomatischen Störungen
gilt dasselbe, hier sind praktisch alle Organsysteme partiell angehbar (vor allem Magen-Darm-Trakt, Haut,
Atmungstrakt, Herz-Kreislauf, Harntrakt), und zwar um so mehr, je stärker der Zirkel Affekt - Verspannung -
Dysfunktion oder - Schmerz eine Rolle spielt. In gleicher Weise sprechen auch sexuelle Funktionsstörungen und
sogar das Immunsystem auf hypnotische Methoden an.
Schwieriger, wie auch für andere Behandlungskonzepte, gestaltet sich die Hypnosetherapie bei Suchtkranken
(speziell Rauchen und Alkoholabhängigkeit); die sorgfältige Abklärung der Motivationslage, der
Kooperationsfähigkeit sowie die Planung längerfristiger Behandlungssequenzen sind Voraussetzung für einen
Erfolg. Ebenso erfordert der mögliche, zum Teil aber kontrovers beurteilte Einsatz der Hypnose bei depressiven
Syndromen viel Erfahrung und Flexiblität; die hypnotische Reaktionsfähigkeit nimmt ohnehin mit zunehmender
Depressionstiefe ab. Besonders strittig ist die Anwendung hypnotischer Verfahren bei schizophrenen Psychosen
(6, 7). Zu erwähnen, aber nicht mehr zum Thema gehörig, ist der heute zunehmend praktizierte Einsatz der
Hypnose zur Leistungssteigerung (Sport, Lernen, Kreativität).
Hypnoanalyse
Trotz aller historischer Gegensätze zwischen Hypnose und Psychoanalyse hat sich eine fruchtbare Synthese
zwischen beiden Methoden entwickelt, die freilich viel Kompetenz von beiden Seiten her erfordert. Sie belegt
am deutlichsten, daß die herkömmliche Zuordnung der Hypnose zu den sogenannten "zudeckenden" Verfahren
in der Psychotherapie überholt ist. Die Aufdeckung psychogenetischer Determinanten für gegenwärtige
Symptombildungen aus der psychischen Biographie (Traumata, Defizite) geschieht hier nicht mit bewußten,
assoziativen Methoden, sondern mittels hypnotisch induzierter Suchbewegungen (zum Beispiel gestufter
Altersregression) oder gezielter Fokussierungen aus dem Unbewußten heraus. So läßt sich oft viel rascher und
affektnaher ein Zugang zu verschütteten Erlebnissen gewinnen und diese bearbeiten. Die Hypnoanalyse ist
gewissermaßen die "Hohe Schule" der Hypnose.
Grenzen und Gefahren
Abgrenzung zur Schau-und Laien-Hypnose
In der Bevölkerung herrschen oft große Irritationen und Vorbehalte bezüglich der Hypnose als therapeutischem
Verfahren, aufgrund von Vorerfahrungen mit spektakulären Hypnoseeffekten auf der Bühne und im Fernsehen.
Hypnotischen Naturtalenten gelingen, was nicht verwundert, oft sensationelle Phänomene, besonders durch
gekonntes Herausfiltern hoch suggestibler Personen aus der Menge. Ebenso können dilettantisch vorgehende
Laien, die Hypnose einfach "ausprobieren" wollen, oft unerwartete oder sogar unerkannte hypnotische Zustände
erzeugen. Die Gefahren, vor allem durch ausbleibendes oder mangelhaftes Zurücknehmen, liegen auf der Hand.
Es gehört zu den wichtigen Aufklärungen der Patienten im Vorfeld, die großen Unterschiede zur therapeutischen
Hypnose möglichst deutlich zu machen, vor allem auch die häufige Angst vor Kontrollverlust zu besprechen.
Therapeutische Begrenzungen und Kontraindikationen
Hypnose ist ein psychisch enorm invasives Verfahren, und seine verantwortliche Anwendung ist ohne
sorgfältige Vordiagnostik und ohne Einbettung in einen psychotherapeutischen Gesamtprozeß nicht denkbar.
Andererseits besteht, wie dargelegt, eine große Breite möglicher Indikationen, innerhalb derer durch das
Instrument der kontrollierten Rücknahme auch noch so intensive Effekte und Erlebnisse rasch wieder auf den
Normalzustand zurückgeführt werden können - meist besser als bei sonstigen belastenden
Psychotherapiemethoden.
Begrenzungen bestehen einmal und natürlicherweise durch geringes Ansprechen auf die Methode an sich, dann
durch hirnorganische Störungen, Konzentrations- und Kooperationsmangel (Kleinkinder), Intoxikationen
(Alkohol), stärkere affektive Störungen (schwere Depression); sie gelten auch für deutlichen Widerstand gegen
die Hypnose überhaupt. Der alte Rat von J. H. Schultz (9), man solle zwei Gruppen von Menschen nicht
hypnotisieren: solche, die unbedingt, und solche, die auf keinen Fall hypnotisiert werden wollen, ist nach wie vor
sehr beherzigenswert.
So können Patienten, die sich regelrecht zur Hypnose drängen (als angeblich "einzige Hilfe"), bereits eine
relative Kontraindikation darstellen, sowohl wegen der starken regressiven Wünsche als auch wegen der
Übererwartung, die hier meistens bestehen. Als relative Kontraindikation gelten auch stärkere hysterische
Akzentuierungen. Abgesehen von der genannten strittigen Indikation bei psychotischen Zuständen an sich
erfordern schließlich besonders paranoide Syndrome eine kritische Abwägung; ein Behandlungsversuch muß
hier einem hocherfahrenen Hypnosetherapeuten vorbehalten bleiben.
Gefahrenbereiche und Zwischenfälle
Die überwiegende Zahl negativer Vorkommnisse beruht auf fehlender oder unvollständiger Rücknahme der
Hypnose, beziehungsweise der mangelhaften Vergewisserung über eventuell persistierende psychische oder
körperliche Restphänomene. Sowohl verbleibende Ich-Dissoziationen, Affektregungen oder Bildvorstellungen
als auch Dösigkeit, Verschiebungen im Körperschema, Schweregefühl oder veränderte Sinneswahrnehmungen
können gefahrenträchtig werden, besonders im Straßenverkehr.
Als nächstes sind die Folgen unkritischer Indikationsstellung und forsch angestoßener, aber nicht mehr
beherrschbarer psychischer Prozesse zu nennen, wie akute Angst- oder Entladungsreaktionen, Selbstwertkrisen,
Orientierungsverlust, depressive oder psychotische Attacken.
Zwischenfälle und unvorhersehbare Reaktionen kann es freilich auch bei sachgerechter Durchführung der
Hypnose geben.
Doch in der Hand von Unkundigen und Unbefugten sind die beschriebenen Gefahren unvergleichlich größer.
Dies gilt vor allem dann, wenn das gesamttherapeutische Rüstzeug fehlt oder wenn - wie
meist nach Schau-Hypnosen - die Betroffenen sich selbst überlassen bleiben.
Auch die oft diskutierte Gefahr des sexuellen Mißbrauchs in der Hypnose ist zweifellos gegeben und belegt. Sie
liegt aber wohl kaum höher als bei anderen begünstigenden Konstellationen in der Medizin überhaupt. Jedoch
kann hier speziell die Situation der psychischen Nähe und des psychischen Ausgeliefertseins, mit Verringerung
der individuellen Kontrollmechanismen, die Versuchung steigern.
Die Möglichkeit hingegen, jemanden in der Hypnose zur Ausführung eines Verbrechens zu verleiten - ein oft
wiederkehrendes Thema in den Medien - besteht nur in äußerst geringem Umfang.
Die Experten sind sich weithin darin einig, daß es praktisch kaum gelingt, einen Menschen in Hypnose zu
Handlungen entgegen seinem eigenen persönlichen Wertsystem zu nötigen, soweit keine sonstige soziale Druck-
oder Abhängigkeitssituation des Patienten besteht (6, 7).
Schlußbemerkungen
Die therapeutisch eingesetzte Hypnose ist ein Verfahren mit vergleichsweise hoher Effizienz und gleichzeitig
guter Steuerungsfähigkeit. Durch ihren psychisch stark invasiven Charakter bietet sie die Möglichkeit zur
Mobilisierung oft ungeahnter Heilungspotentiale und Ressourcen, freilich auch manchmal mit der Entbindung
unerwarteter Reaktionen. Mit beidem in für den Patienten fruchtbarer und beschützender Weise umzugehen,
bedarf einer übergreifenden Kompetenz und Erfahrung mit psychodynamisch-psychotherapeutischen Prozessen
überhaupt.
Damit ist auch eine Aussage über den für dieses Verfahren überhaupt akzeptierbaren fachlichen und beruflichen
Hintergrund gemacht: Es muß außer der speziellen Hypnose-Ausbildung auch eine psychotherapeutische Aus-
beziehungsweise Weiterbildung vorliegen. Hierdurch grenzen sich auch die in Frage kommenden Berufsgruppen
generell ein, nämlich auf Ärzte und klinische Psychologen mit solcher Qualifikation, abgesehen von der
Sondersituation bei hypnotisch arbeitenden Zahnärzten. Alles andere muß eine personenbezogene und qualitativ
vergleichbare und kontrollierbare Ausnahme bleiben.
Bedenkt man daher die für eine verantwortbar durchgeführte Hypnosebehandlung notwendigen
Rahmenbedingungen einschließlich des jeweiligen Vor- und Nachgesprächs, so kann in der derzeitigen
Vergütungssituation*) nur eine offzielle Geringschätzung des Werts einer solchen Leistung gesehen werden. Um
so mehr verdient Anerkennung, wer sich wegen seiner persönlichen Affinität zu diesem Verfahren und wegen
seiner Überzeugung von dessen therapeutischen Möglichkeiten dennoch nicht abhalten läßt, es anzuwenden.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-3351-3356
[Heft 49]
Literatur
1. Bongartz W: Der Einfluß von Hypnose und Streß auf das Blutbild. Frankfurt: Verlag Peter Lang, 1996.
2. Ellenberger HF: Die Entdeckung des Unbewußten. Bern: Hans Huber, 1985.
3. Erickson MH: Advanced techniques of hypnosis and therapy (edit J Haley). New York, London: Grune and
Stratton, 1967.
4. Hilgard ER: The problem of divided consciousness: a neodissociation interpretation. Ann New York Acad of
Science 1977; 296: 48-59.
5. Jovanovic UJ: Methodik und Theorie der Hypnose. Stuttgart: Gustav Fischer-Verlag, 1988.
6. Kossak HC: Hypnose. 2 Aufl. München: Psychologie Verlags Union, 1993.
7. Revenstorf D (Hrsg): Klinische Hypnose. Berlin, Heidelberg, New York: Springer-Verlag, 1990.
8. Schäfgen E: Hypnosetherapie. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag, 1992.
9. Schultz JH: Hypnosetechnik. 9. Aufl. Stuttgart, Jena, New York: Gustav Fischer-Verlag, 1994.
10. Thomas K: Praxis des Autogenen Trainings/Selbsthypnose nach J.H. Schultz. Stuttgart: Thieme, 1989.
11. Völgyesi FA: Menschen- und Tierhypnose. Zürich: Orell Füssli Verlag, 1963.
Anschrift des Verfassers
Prof. Dr. med. Günter Hole
Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Psychotherapie
Kantstraße 5/3
88213 Ravensburg
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