ArchivDeutsches Ärzteblatt17/2011Pflegereform: Kein Wunschkonzert

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Pflegereform: Kein Wunschkonzert

Hibbeler, Birgit

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Dr. med. Birgit Hibbeler Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik
Dr. med. Birgit Hibbeler
Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik

Mit dem Thema Pflege gewinnt man keine Wahlkämpfe. Darüber könnte man erstaunt sein, denn so gut wie jeder hat im Laufe seines Lebens damit zu tun – und dann ist es meist eine dramatische Erfahrung. Dass irgendwann die eigenen Eltern zu Pflegefällen werden, später der Lebenspartner oder man selbst, ist nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel. Wie sehr Menschen dabei persönlich und auch finanziell an ihre Grenzen stoßen können, wird vielen erst bewusst, wenn sie selbst betroffen sind. Vorher gilt: Pflegebedürftig sind die anderen.

Daran hat auch die Tatsache nichts geändert, dass Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) 2011 zum Jahr der Pflege erklärt hat. Derzeit trifft er sich im „Pflegedialog“ regelmäßig mit Experten und Vertretern von Pflegeverbänden. Was dabei bisher herausgekommen ist? Vage Ankündigungen dazu, was man so alles tun könnte, sollte, müsste: die Versorgung Demenzkranker verbessern, pflegende Angehörige unterstützen, Bürokratie abbauen und den Pflegeberuf aufwerten. Alles Forderungen, die breite Zustimmung finden. Mittlerweile bemüht sich Rösler allerdings, die Erwartungen etwas zu dämpfen: „Nicht alles, was wünschenswert ist, wird auch finanzierbar sein.“

Konkretere Vorschläge hat die Arbeitsgruppe Gesundheit der Unionsfraktion im Bundestag vorgelegt. Sie will die unerlaubte Beschäftigung von ausländischen Pflegekräften aus der Illegalität holen. Die Leistungen der Pflegeversicherung sollen sich mit einem „Dynamisierungsmechanismus“ automatisch an die allgemeine Preissteigerung anpassen. Ärztenetze und Vergütungsanreize sollen die ärztliche Versorgung in Heimen verbessern. Und der „Pflegebedürftigkeitsbegriff“ soll überarbeitet werden. Genau wie Rösler drückt sich aber die Arbeitsgruppe um konkrete Aussagen zur Finanzierung. Die Rede ist von einer „ergänzenden Kapitaldeckung“ zusätzlich zum Umlageverfahren.

Zu einer ehrlichen Diskussion über Pflege gehört auch die Frage nach dem Geld. Bestes Beispiel dafür ist der neue „Pflegebedürftigkeitsbegriff“. Dazu liegen schon seit Anfang 2009 Vorschläge eines eigens dafür eingerichteten Beirats auf dem Tisch: Nicht mehr drei, sondern fünf Pflegestufen soll es geben, nicht nur körperliche, sondern auch kognitive Probleme sollen berücksichtigt werden – das „Ende der Minutenpflege“. Doch diesen Paradigmenwechsel gibt es nicht zum Nulltarif: Etwa 3,7 Milliarden Euro zusätzlich würde das Ganze jährlich kosten. Eine „ergänzende Kapitaldeckung“ – in welcher Form auch immer – hilft da wenig. Denn ein Kapitalstock muss ja erst einmal angespart werden, das Geld würde aber sofort gebraucht. Wer die Beiträge einigermaßen stabil halten will, der weiß: Die Pflegereform wird kein Wunschkonzert. Deshalb sollte die Politik klar sagen, welche der unzähligen Anliegen Priorität haben. Dazu bräuchte man jedoch ein Konzept, nicht eine Vielzahl von Einzelvorschlägen. Das ist derzeit aber nicht erkennbar.

Mitte des Jahres will Rösler Eckpunkte für die Pflegereform vorlegen – fast zwei Jahre nach seinem Amtsantritt als Gesundheitsminister. Als designierter FDP-Chef ist das für ihn nicht einfacher geworden. Der Spagat, den er hinlegen muss, reicht vom „mitfühlenden Liberalismus“, den manche mit ihm verbinden, bis hin zur Forderung nach „mehr Netto vom Brutto“. Keine Übung, um die ihn irgendjemand beneiden dürfte oder mit der man neue Wähler gewinnt.

Dr. med. Birgit Hibbeler
Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik

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