POLITIK
Rabattverträge: Präparatewechsel mit Nebenwirkungen


Rabattverträge haben bei Ärzten und Patienten einen schlechten Ruf. Beide fühlen sich Pharmaherstellern und Krankenkassen ausgeliefert. Dabei halten Patienten an ausgetauschten Präparaten fest, wenn sie bestärkt werden.
Aut-idem-Substitutionen sollen die Verordnung von Arzneimitteln wirtschaftlicher machen, die aufgrund von abgelaufenen Patenten von verschiedenen Herstellern angeboten werden können. Erste Regelungen dazu brachte 2002 das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz. Es verpflichtete Apotheker, ein preisgünstiges Präparat abzugeben, wenn der Arzt dies nicht ausschließt. Zum Austausch im großen Stil kommt es aber erst seit 2007 durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz. Seither muss der Apotheker Produkten den Vorzug geben, für die ein Rabattvertrag nach § 130 a Abs. 8 SGB V zwischen der Krankenkasse des Patienten und einem pharmazeutischen Unternehmen besteht.
Von Beginn an befürchteten Experten, dass der Austausch von Arzneimitteln durch wirkstoffgleiche Präparate anderer Hersteller negative Auswirkungen auf die Therapietreue der Patienten haben könnte. Mit einer Medikation verbundene Alltagsroutinen würden gestört. Patienten müssten sich auf zwar wirkstoffgleiche, aber oft verschieden aussehende Produkte einstellen. Ablehnung, Verwechslungen, erhöhte Empfindung von Nebenwirkungen und fehlerhafte Einnahmen mit dem Risiko von Unter- oder Überdosierungen seien die Folgen. All dies gefährde langfristige Therapieziele.
Mit den Rabattverträgen haben Präparatewechsel deutlich zugenommen. Welche Folgen dies für die Compliance und die Häufigkeit von Nebenwirkungen hat, ist Thema eines von der Bundesärztekammer geförderten Forschungsprojekts des IGES Instituts.* Erste Ergebnisse der qualitativen Exploration von Patienten und Ärzten in Form von 90-minütigen Interviews liegen nun vor.
Befragt wurden 24 Diabetes-Typ-II-Patienten sowie 20 behandelnde Hausärzte in der ersten Jahreshälfte 2010. Alle der bundesweit ausgewählten Teilnehmer hatten seit 2007 Erfahrungen mit Rabattverträgen. Als methodischer Zugang wurden qualitative Interviews deshalb gewählt, weil sie durch ihre offene und flexible Gesprächsführung ermöglichen, bei den Befragten umfassend Motive, Barrieren und Einstellungen zum jeweiligen Untersuchungsgegenstand zu ergründen.
In der Studie wird zunächst deutlich, dass die Patienten nach einem Präparatewechsel verstärkt Nebenwirkungen verspüren. Dennoch nehmen sie ihre Medikamente weiter ein. Doch die Lebensqualität wird aufgrund stärkerer Nebenwirkungen und nachhaltiger Verunsicherung teils erheblich eingeschränkt.
Umstellung des Präparats verunsichert die Patienten
Eine wesentliche Ursache für die Verunsicherung der Patienten ist, dass sie in der Apotheke meist völlig unvorbereitet ein anderes Präparat als das gewohnte erhalten. In den wenigsten Fällen werden die Patienten vom verordnenden Arzt, dem als maßgeblich eingeschätzten Entscheider, auf die Möglichkeit einer Umstellung aufmerksam gemacht. Und auch in der Apotheke wird oft zunächst wortlos das neue Präparat überreicht. Erst als Reaktion auf ihre Verwirrung erhalten Patienten eine Information, der sie oftmals wenig Vertrauen schenken. Die nachfolgenden Beruhigungs- und Informationsversuche des Apothekers oder des Arztes erscheinen den Patienten wenig glaubwürdig.
Eine Rücksprache mit dem Arzt erfolgt in den meisten Fällen, allerdings trotz der Verunsicherungen nicht immer unmittelbar. Dabei kristallisieren sich der Studie zufolge bei den Patienten drei Verhaltensweisen heraus:
- Aggressive Konfrontation: Hierbei haben Patienten eine subjektiv so starke Bindung an das gewohnte Präparat, dass die Umstellung massive Verunsicherung auslöst. Sie bestehen meist von Beginn an vehement auf der Verordnung ihres gewohnten Präparats.
- Ängstliche Diskussion: Patienten zeigen sich den Argumenten des Arztes gegenüber zwar offen, weil sie sich als vermeintlich teure Patienten in einer Bringschuld sehen. Doch trotz der damit einhergehenden Einnahme des neuen Präparats ist das Vertrauen in dieses nur eingeschränkt gegeben. Sie fühlen sich unsicher und schlechter versorgt.
- Pragmatische Rückversicherung: Diese Verhaltensweise zeigt sich, wenn das Präparat im Erleben der Patienten eine nur untergeordnete subjektive Bedeutung hat. Diese Patienten vergewissern sich nur, ob alles seine Richtigkeit hat, und akzeptieren den Wechsel. Im Extremfall nehmen sie sogar stärkere Nebenwirkungen hin.
Insgesamt wird deutlich, dass die Studienteilnehmer die verstärkt empfundenen Nebenwirkungen hinnehmen, insbesondere wenn der Arzt sie unterstützt, etwa durch einen Hinweis auf den erwartet temporären Charakter einer Nebenwirkung. Die Wertigkeit eines Präparats wird allerdings oft infrage gestellt.
Viele Ärzte sehen sich über verunsicherte Patienten erstmals real mit den Rabattverträgen konfrontiert. Sie fühlen sich durch den bürokratischen Mehraufwand überrumpelt. Dieses Gefühl hat sich seit der Einführung bis heute nicht geändert. Die Zahl der Rabattverträge erscheint ihnen unüberschaubar und die Inhalte dieser Verträge intransparent. So sehen sie sich in vielen Fällen selbst dann nicht zu einer detaillierten Information der Patienten in der Lage, wenn sie informieren wollten.
Eine weitere Quelle für Unsicherheiten ist der Umstand, dass die Ärzte nur über die Patienten von einer Umstellung erfahren, die davon berichten. Eventuelle unerwünschte Wirkungen könnten dadurch nicht zuverlässig auf einen Präparatewechsel zurückgeführt werden. Die Möglichkeit, die Compliance und das richtige Einnahmeverhalten zu beurteilen, wird im Erleben der Ärzte dadurch eingeschränkt.
Viele Ärzte erleben Rabattverträge zudem als kränkenden Angriff auf die ärztliche Verordnungshoheit. Nicht selten sind sie auch verärgert, da dem Patienten ein Präparat gern als besonders wertig dargestellt wird, um die Compliance zu steigern und somit nun ein als wichtig wahrgenommenes Instrument entfällt. Insgesamt führen die mit Rabattverträgen einhergehenden Eingriffe in die ärztliche Entscheidung zu einer deutlichen Ablehnung dieses Instruments. Auf ärztlicher Seite kristallisieren sich drei verschiedene Umgangsweisen in der Gesprächssituation mit den Patienten über eine Medikationsumstellung heraus:
- Aktive Ablehnung: Ärzte sind von den Rabattverträgen so wenig überzeugt, dass sie weiterhin an den gewohnten Präparaten festhalten.
- Notgedrungene Akzeptanz: Ärzte sehen die Umsetzung der Rabattverträge als zwanghafte Pflicht an und versuchen, ihre Patienten vom Sinn der Präparateumstellung zu überzeugen. Aufgrund eigener Verunsicherungen versuchen sie jedoch, Ausnahmen von der Rabattvertragsregelung weitestmöglich auszunutzen.
- Distanzierung: Ärzte distanzieren sich vom Versorgungsgeschehen, belassen es bei den Umstellungen und weisen ihre Patienten auf die eigene Machtlosigkeit hin. Eine Rückumstellung der Medikation nehmen sie lediglich bei sehr aggressiv agierenden Patienten vor.
Es entsteht ein Gefühl schlechterer Versorgung
Patienten und Ärzte fühlen sich von den Rabattverträgen im Alltag überrascht. Sie sehen sich eher als Zuschauer, die dem erlebt willkürlichen Treiben der Pharmahersteller und der Krankenkassen schutzlos ausgeliefert sind. Die Umstände des Kennenlernens, die Einordnung als intransparenter Teil des Reformprozesses im GKV-System, aber auch das Gefühl der Fremdbestimmung und schlechterer Versorgung führen bei den Patienten dazu, dass stärkere Vorbehalte entstehen. Ähnliches ist auch bei Ärzten der Fall, die Rabattverträge als weitere Einschränkung ihres Entscheidungsspielraums interpretieren. Die Studie zeigt, dass für eine erfolgreiche Pharmakotherapie unter den Bedingungen der Rabattverträge vor allem die Patientenkommunikation verbessert werden sollte. Die Beteiligten sollten darauf hinwirken, dass die Patienten nicht unvorbereitet in die Situation kommen, dass ihnen ein anderes als das gewohnte Präparat ausgehändigt wird.
Sandra Jessel, IGES Institut GmbH
* „Auswirkung von Rabattverträgen nach § 130 a SGB V auf die Compliance und die Häufigkeit von Nebenwirkungen“, Projekt im Rahmen des Programms zur Förderung der Versorgungsforschung durch die Bundesärztekammer, Projektleitung: Dr. med. Ariane Höer, IGES Institut GmbH, kontakt@iges.de
Kloß, Dieter