ArchivDeutsches Ärzteblatt18/2011Komplementärmedizinische Forschung: Raus aus dem Schattendasein

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Komplementärmedizinische Forschung: Raus aus dem Schattendasein

Schmitt-Sausen, Nora

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Alternativmediziner hoffen auf neue Impulse in der Forschungsförderung. Auch die Traditionelle Chinesische Medizin soll davon profitieren. Foto: iStockphoto
Alternativmediziner hoffen auf neue Impulse in der Forschungsförderung. Auch die Traditionelle Chinesische Medizin soll davon profitieren. Foto: iStockphoto

Längst hat die Komplementärmedizin Einzug in die medizinische Praxis gehalten. Doch öffentliche Gelder für Forschungsprojekte sind rar. Alternativmediziner fordern eine Aufwertung des Sektors und finden nun Gehör in der Politik.

Deutschlands Alternativmediziner blicken neidvoll über den Atlantik. Denn während die komplementärmedizinische Forschung in hiesigen Breitengeraden ein stiefmütterliches Dasein führt, arbeiten die Kollegen in den USA unter besten Bedingungen. Bereits seit 20 Jahren leistet sich die US-amerikanische Regierung eine eigene Forschungseinrichtung für komplementäre Medizin. Der Jahresetat des „National Center for Complementary and Alternative Medicine“ beträgt aktuell 129 Millionen Dollar. Gerade einmal 1,2 Millionen Euro hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung in das Gebiet investiert – in den vergangenen fünf Jahren zusammen.

Deutsche Komplementärmediziner beklagen diesen Zustand nicht erst seit gestern, doch ihre Stimme wird lauter: Deutschland überlasse Ländern wie den USA das Feld und versäume es, sich als Standort zu positionieren, war der Tenor der 6. Komplementärmedizinischen Gespräche der Hufelandgesellschaft e.V., dem Dachverband der Ärztegesellschaften für Naturheilkunde und Komplementärmedizin, und des Dachverbands Anthroposophischen Medizin im April in Berlin.

Schweiz: Mehr Geld für Forschung ab 2012

Allerdings mussten die Referenten einräumen, dass Deutschland mit seiner Zurückhaltung nicht alleine ist. Nur wenige europäische Regierungen setzen Mittel für die komplementärmedizinische Forschung ein. Immerhin: Die Schweiz hat Anfang des Jahres angekündigt, die Alternativmedizin ab 2012 wieder in die Grundversorgung aufzunehmen. Gleichzeitig investiert die Regierung in die Forschung und will Universitätslehrstühle für Komplementärmedizin schaffen.

In Deutschland nehmen zwei Drittel der Bevölkerung alternative Medizin in Anspruch, und auch die Ärzteschaft setzt auf Naturheilverfahren. „60 Prozent der Hausärzte wenden komplementäre Behandlungsmethoden an. Die Zusatzqualifikationen in diesem Sektor haben sich zwischen 1993 und 2008 verdreifacht“, sagte Priv.-Doz. Dr. med. Stefanie Joos vom Universitätsklinikum Heidelberg. In den Forschungsaktivitäten spiegele sich diese Entwicklung aber nicht wider. Dies müsse sich dringend ändern.

Der Ruf der Alternativmediziner hat jüngst ein Echo in der Politik gefunden: Anlässlich der ersten Anhörung des „Rahmenprogramm zur Gesundheitsforschung in Deutschland“ der Bundesregierung machten sich Anfang April gleich mehrere Redner für die Komplementärmedizin stark: „90 Prozent der Menschen, die mit Komplementärmedizin behandelt werden, sind damit sehr zufrieden. Sie spielt gesellschaftlich eine Rolle“, betonte René Röspel (SPD). Es sei „sehr enttäuschend“, dass sich dies nicht im Rahmenprogramm widerspiegele. Dort werde die Komplementärmedizin mit keinem Wort erwähnt.

Auch Birgitt Bender (Bündnis 90/Die Grünen) forderte, dass Deutschland „Geld zur Erforschung der Komplementärmedizin in die Hand nehmen“ soll. Neben der Traditionellen Chinesischen Medizin empfiehlt die Abgeordnete, die Homöopathie und Anthroposophie in den Blickpunkt der Forschung zu stellen. Diese alternativen Heilmethoden hätten in Deutschland einen besonderen Stellenwert.

Keine Repräsentanz in wichtigen Gremien

Ein Kritikpunkt der Hufelandgesellschaft ist die Struktur innerhalb der öffentlichen Forschungsförderung. Sie erschwere es den Komplementärmedizinern, den Weg in die Entscheidungsgremien zu finden. Da es in Deutschland auf dem Gebiet der Naturheilverfahren lediglich acht Lehrstühle gebe, sei es nicht verwunderlich, dass komplementärmedizinisch orientierte Wissenschaftler in wichtigen Gremien unterrepräsentiert seien.

Peter Röhlinger (FDP) machte den Alternativmedizinern bei den Komplementärmedizinischen Gesprächen eine konkrete Offerte, um ihrem Anliegen künftig mehr Gehör zu verschaffen: Er lud sie zu Gesprächen in den Forschungsausschuss des Deutschen Bundestages ein.

Nora Schmitt-Sausen

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