MEDIZIN: Aktuell
Fremde DNA im Säugersystem: DNA aus der Nahrung gelangt über die Darmschleimhaut in den Organismus
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Seit Jahrmillionen ist die äußere und innere Umwelt aller Lebewesen, beispielsweise der Gastrointestinaltrakt
(GI-Trakt), großen Mengen fremder DNA ausgesetzt. Im Textkasten sind wichtige Quellen benannt, von denen
fremde DNA laufend an die Umwelt abgegeben wird. Die angegebenen DNA-Mengen sind Schätzungen, die
zum Teil auf den in diesem Artikel beschriebenen Resultaten beruhen. Bisher ist nichts über das Schicksal der in
unsere Umwelt abgegebenen DNA bekannt. Man weiß, daß DNA-Fragmente mit freien Enden hoch
rekombinogen sind. Nach der Aufnahme in Zellen könnten solche Fragmente fremder DNA effizient mit anderen
DNA-Molekülen, beispielsweise auch dem Genom der Zellen, rekombinieren, das heißt, in die Genome von
Rezipientenzellen integriert werden.
Fremde DNA in Säugersystemen
Die Genome der verschiedenen Spezies haben sich im Verlauf der Evolution zu der heute existierenden Form
entwickelt. Die Stabilität eines Genoms, wie das des Menschen mit etwa 3 bis 4 x 109 Nukleotidpaaren und
einer grob geschätzten Anzahl von 100 000 Genen, scheint für den Augenblick gegeben, ist aber bei langfristiger
Betrachtung fraglich. Wie alle Organismen nimmt auch der Mensch täglich große Mengen fremder
Desoxyribonukleinsäure (DNA) mit der Nahrung auf, und wir werden von Viren und anderen Mikroorganismen
mit fremden Genomen infiziert. In unseren Breiten wird die Umwelt jeden Herbst mit Tonnen pflanzlicher DNA
"kontaminiert". Die tägliche Auseinandersetzung mit fremder DNA gehört seit Jahrmillionen zum natürlichen
Ökosystem des Menschen und seiner Vorfahren (Textkasten). Man kann also bei realistischer Betrachtung nicht
erwarten, daß die Genome von Säugern und anderen Spezies über evolutionär lange Zeiträume völlig stabil
bleiben. Natürlich haben wir Abwehrsysteme, die das ungehinderte Eindringen anderer Organismen verhindern.
Inwieweit das Immunsystem vor fremden Genen schützt, ist bisher unbekannt.
In Zellkultur-Experimenten kann man nachweisen, daß fremde DNA unter geeigneten Bedingungen von
Säugerzellen, wie menschlichen oder Hamsterzellen, aufgenommen und in das eigene Genom eingebaut werden
kann. Wir haben das Problem der Integration fremder DNA am Beispiel von Hamsterzellen untersucht, die durch
Infektion mit dem menschlichen Adenovirus Typ 12 (Ad12) zu Tumorzellen transformiert worden waren. In
diesem System integrieren bis zu 30 Kopien der Ad12-DNA mit je 34 125 Nukleotidpaaren Länge an nur einer
Stelle in das Genom von Tumorzellen, allerdings in unterschiedlichen Tumoren immer wieder an anderen Stellen
(Abbildung 1). Die Integration fremder DNA ist nicht ortsspezifisch, allerdings könnten Stellen des zellulären
Genoms, die aktiv transkribiert werden oder an denen Bruchstellen eines Chromosoms liegen, für die
Rekombination mit der fremden (Ad12) DNA bevorzugt werden (3, 6). Die integrierte fremde DNA wird in
spezifischen Mustern de novo methyliert (10, 11). Durch die Insertion fremder DNA in etablierte Säugergenome
kann es auch fern von der Integrationsstelle zu Veränderungen im DNA-Methylierungsmuster und in der
Chromatinstruktur der Zellen kommen (3, 5). Da Methylierungsmuster und die Transkription von Genen
funktionell korreliert sind (1), besteht die Möglichkeit, daß durch Veränderungen in zellulären
Methylierungsmustern auch die Transkriptionsmuster zahlreicher zellulärer Gene verändert werden. Wir
untersuchen zur Zeit, ob diese Faktoren bei der Auslösung der Onkogenese durch Ad12 im Hamster oder auch in
anderen Tumorsystemen eine wesentliche Rolle spielen könnten.
Auch nach der Infektion von menschlichen Zellen mit Ad2 (Adenovirus Typ 2) findet man schon zwei Stunden
nach der Infektion große Mengen der viralen DNA mit den menschlichen Chromosomen assoziiert. Auch ein
Teil dieser DNA wird wahrscheinlich in das zelluläre Genom integriert. In Abbildung 2 wird die Bindung viraler
DNA an die Chromosomen von Ad2-infizierten menschlichen Zellen (a-c) mit nachweislich in das
Hamstergenom integrierten Ad12-Genomen (d-f) verglichen. Die mikroskopischen Bilder der chromosomalen
Verteilung von Virus-Genomen, die mit Hilfe der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung als gelbe Signale sichtbar
gemacht worden sind, sind in beiden Systemen sehr ähnlich (7). Die Infektion mit Viren könnte also ebenfalls
häufig, wenn auch vielleicht nur vorübergehend, zum Einbau fremder Gene in etablierte Genome von
Organismen führen.
Aufnahme durch den Gastrointestinaltrakt
Die Epithelien des Gastrointestinaltraktes sind von der Natur optimiert für den Kontakt mit und die Resorption
von Molekülen, die aus der Nahrung aufgenommen werden. Falls Makromoleküle, wie DNA oder Proteine, im
GI-Trakt nicht vollständig zu ihren Grundbausteinen, den Nukleotiden oder Aminosäuren, abgebaut werden
sollten, besteht eine exzellente Chance auch für fremde DNA oder Proteine, über den GI-Trakt in den
Organismus zu gelangen (macromolecular uptake). Mit einer resorptiven Oberfläche von vielen Quadratmetern
ist der menschliche GI-Trakt gleichzeitig das Organ mit der größten Expositionshäufigkeit gegenüber fremden
Genen (DNA) und Proteinen. Seit Jahrmillionen haben der Mensch und seine Vorfahren die Epithelien des GITraktes täglich großen Mengen tierischer und pflanzlicher Gewebe und damit auch fremder DNA aussetzen
müssen, um ihren kalorischen Bedarf und die Versorgung mit Grundbausteinen sicherstellen zu können. Die
Gesamtheit der Peyerschen Plaques in der Darmschleimhaut und die regionalen Lymphknoten im Mesenterium
gehören zu den größten Ansammlungen von lymphatischen Elementen im Säugerorganismus. Das an fast allen
Stellen einschichtige Zylinder- oder Palisaden-Epithel des GI-Traktes wird also funktionell von einem
ausgedehnten Lymphsystem geschützt.
Wir haben damit begonnen, die genetischen Folgen dieses jahrmillionenalten gentechnologischen Großversuchs,
dem der Mensch, seine Vorfahren und alle anderen Organismen naturgesetzlich ausgesetzt sind, etwas genauer
zu analysieren. Wir alle sind obligatorisch "Kannibalen", die nur leben können, weil wir laufend viele andere
Organismen, Pflanzen und Tiere als Nahrungsquellen verwenden. Dabei werden alle im tierischen und
pflanzlichen Bereich vorkommenden Gene, auch Onkogene und Tumor-Suppressorgene, in allen erdenklichen
Kombinationen dem GI-Trakt angeboten. Sollten diese DNA-Moleküle endonukleolytisch gespalten werden,
werden hochrekombinogene DNA-Fragmente erzeugt, die für die Neuverbindung mit der DNA des
aufnehmenden Organismus biochemisch hervorragend vorbereitet sind.
Oral aufgenommene Fremd-DNA gelangt in Körperzellen
Die DNA des Bakteriophagen M13 hat keinerlei genetische Ähnlichkeit (Homologie) zur DNA der Maus oder
zu DNA-Molekülen, die aus den Feces der Maus isoliert werden können (8). Daher eignet sich M13-DNA
hervorragend als Test-DNA, um den Verbleib fremder, mit der Nahrung aufgenommener DNA im Darm der
Maus verfolgen zu können. Die Länge der von uns verwendeten M13-Test-DNA beträgt 7 250 Nukleotidpaare.
Bei unseren Experimenten wurde ausschließlich die doppelsträngige Form dieser DNA eingesetzt. Die Maus
wurde paradigmatisch als Säugerorganismus verwendet. Die folgenden Fragen wurden bearbeitet:
1 Wird fremde M13-DNA im GI-Trakt der Maus vollständig zu Mononukleotiden abgebaut oder kann man
M13-DNA als solche im GI-Trakt oder in den Feces der Maus noch nachweisen?
1 Wird fremde, mit der Nahrung aufgenommene M13-DNA von den Epithelien des GI-Traktes der Maus
aufgenommen, und gelangt diese DNA in den Organismus? Wie persistiert diese fremde DNA im
Säugerorganismus?
1 Gelangt von trächtigen Tieren mit der Nahrung aufgenommene fremde M13-DNA in den Organismus der
Föten und/oder der neugeborenen Tiere?
Die im folgenden beschriebenen Experimente sind in den Laboratorien der Abteilung Medizinische Genetik und
Virologie am Institut für Genetik der Universität zu Köln im Verlauf der letzten zehn Jahre durchgeführt worden,
und die Ergebnisse sind in dieser Zeit durch zahlreiche Kontrollexperimente abgesichert worden (8, 9).
Das Schicksal von Bakteriophagen-M13-DNA, die an drei bis zwölf Monate alte weibliche oder männliche
Mäuse (Stamm: C57BL/6) verfüttert worden war, wurde mit verschiedenen Standard-Methoden der
Molekularbiologie in den Tieren verfolgt. Fragmente der M13-DNA fanden sich in 84 untersuchten Tieren im
Inhalt des Dünndarms und des Caecums bis zu 18 Stunden nach der Verfütterung von jeweils 50 µg M13-DNA,
ebenso im Inhalt des Dickdarms und in den Feces der Tiere bis acht Stunden nach der Fütterung. In 254
verschiedenen Tieren konnten M13-DNA-Fragmente von bis zu 976 Nukleotidpaaren im Blut der Tiere noch
zwei bis acht Stunden nach der Fütterung von M13-DNA nachgewiesen werden. In Mäusen, die lediglich mit
einer Pufferlösung gefüttert worden waren, war M13-DNA nicht gefunden worden. In Kontrollexperimenten
konnten wir in den Darmbakterien von mit M13-DNA gefütterten Mäusen oder in Mäusen, die niemals M13DNA erhalten hatten, M13-DNA oder M13-Bakteriophagen nicht nachweisen. In den Feces mit M13-DNA
gefütterter Tiere entdeckten wir ein bis zwei Prozent der ursprünglich verfütterten M13-DNA in stark
fragmentierter Form. Im peripheren Blut der mit M13-DNA gefütterten Mäuse fanden wir zwischen 0,01 und 0,1
Prozent der verfütterten DNA ebenfalls in der Form von M13-DNA-Fragmenten. Durch Bestimmung der
Nukleotidsequenz der reisolierten DNA konnte diese eindeutig als M13-DNA identifiziert werden.
Mit Hilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) wurde M13-DNA in den peripheren weißen Blutzellen
nachgewiesen. Die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierungsmethode (FISH) zeigte M13-DNA in einer aus 1 000
peripheren weißen Blutzellen von Mäusen zwischen zwei und acht Stunden nach oraler Gabe der Test-DNA
sowie in den Kernen von Milz- und Leberzellen bis 24 Stunden nach der DNA-Applikation, aber nicht später.
Mit der FISH-Technik zeigten sich M13-positive Signale in den Zylinderepithelzellen des Darmes, in
Leukozyten der Peyerschen Plaques der Darmwand, in Leberzellen (Abbildung 3) sowie mit der PCR-Technik in
B-Zellen, T-Zellen und Makrophagen aus der Milz. Es ist anzunehmen, daß fremde (M13) DNA aus dem
Darminhalt über die Darmepithelien und die Peyerschen Plaques in weiße Zellen des peripheren Blutes und auf
diesem Weg in verschiedene Organe gelangen kann.
Mit den Methoden der Gentechnologie ist es uns nach mehrtägiger Verfütterung von jeweils 50 µg pro Tag
gelungen, authentische M13-DNA aus der DNA von Milzzellen bis zu zehn Tage nach der letzten Fütterung
molekular zu reklonieren. Durch Nukleotidsequenzanalysen der reklonierten DNA konnte zweifelsfrei bewiesen
werden, daß es sich um Fragmente der DNA des Bakteriophagen M13 handelte. Eines der auf diese Weise aus
der Milz der gefütterten Tiere reisolierten M13-DNA-Fragmente hatte eine Länge von 1 299 Nukleotidpaaren,
also etwa 18 Prozent der Länge des ursprünglich verfütterten M13-DNA-Moleküls. Dieses M13-DNA-Fragment
umfaßte die Nukleotidpaare 4 736 bis 6 034 der ursprünglich verfütterten M13-DNA und war in der Milz der
gefütterten Tiere kovalent an DNA gebunden worden, die 70 Prozent Ähnlichkeit mit dem IgE-Rezeptor-Gen der
Maus und Identität mit anderen authentischen Maus-DNA-Nukleotidsequenzen aufwies (Grafik/c). Weitere
DNA-Klone aus der Milz der mit M13-DNA gefütterten Tiere enthielten andere authentische Fragmente der
M13-DNA sowie Maus-DNA und überraschenderweise auch DNA aus dem Darmbakterium Escherichia coli
(Grafik/a, b). Es besteht also offenbar die Möglichkeit, daß laufend auch DNA der Darmbakterien über die
Darmwand in Zellen des Organismus aufgenommen wird.
Die Schlußfolgerungen aus diesen Untersuchungen sind zumindest für die Maus eindeutig. Fremde DNA wird
im GI-Trakt der Maus nicht vollständig zu Mononukleotiden, den Grundbausteinen der DNA, abgebaut. Die
Epithelien des GI-Traktes stellen außerdem keine absolute Barriere für die Aufnahme von hoch rekombinogenen
Fragmenten des Makromoleküls DNA dar. DNA wird in kleinen Mengen über die Darmwand in verschiedene
Organe der Maus aufgenommen und kann offenbar kovalent an die DNA von Zellen der Maus gebunden, das
heißt, in das Genom der Maus eingebaut (integriert) werden. Allerdings scheint dieser Einbau selten zu sein, und
wir wissen bisher nur, daß dieser Einbau bis mindestens zehn Tage nach der Fütterung stabil bleiben kann. Die
in diesen Experimenten verwendete Menge von 50 µg M13-DNA ist nicht unrealistisch. Man schätzt, daß Mäuse
täglich Milligramm-Mengen fremder DNA mit der Nahrung aufnehmen. Für die hier beschriebenen Experimente
war mit Bedacht nackte, nicht in Zellen natürlich fixierte DNA gewählt worden. Übersteht freie DNA die
Passage durch den GI-Trakt, ist das für proteingebundene oder mit Zellen assoziierte DNA noch sehr viel
wahrscheinlicher.
Übertragung auf den Maus-Fötus
Trächtige Mäuse wurden zu verschiedenen Zeiten der Schwangerschaft mit einer täglichen Dosis von 50 µg
M13-DNA oder Plasmid pEGFP (grünes fluoreszierendes Protein) gefüttert. Die oral aufgenommene, fremde
DNA kann mit Hilfe der PCR-Technik in Form von Fragmenten von etwa 700 Nukleotidpaaren oder mit der
FISH-Methode in verschiedenen Organen der Föten oder neugeborener Mäuse nachgewiesen werden. Bisher
haben wir niemals in allen Zellen eines Föten oder einer neugeborenen Maus diese fremde DNA gefunden,
sondern immer nur in einigen wenigen, weit verstreut liegenden Zellgruppen. Dabei war auch hier die fremde
DNA immer in den Zellkernen lokalisiert (R Schubbert, U Gerhardt, W Doerfler, Manuskript eingereicht). Diese
Verteilungsmuster fremder, verfütterter DNA in den Mausföten sprechen gegen einen Transfer über die
Keimbahn, sondern für einen diaplazentaren Übertragungsmechanismus. Muß man maternal aufgenommene
fremde DNA als potentielles Mutagen für den Mausfötus betrachten? Zu Untersuchungen über einen möglichen
Keimbahntransfer haben wir langfristige Fütterungsversuche begonnen.
Mögliche Bedeutung für Evolution und Medizin
Man muß die Aufnahme fremder DNA über den GI-Trakt als einen uralten Mechanismus betrachten. Die Folgen
dieser Aufnahme großer Mengen fremder Gene für den betroffenen tierischen Organismus und deren mögliche
evolutionäre Bedeutung sind mit Vorsicht zu beurteilen. Spekulationen kann man leicht anstellen, aber nur
schwer beweisen. Alle realistischen Überlegungen können andererseits davon ausgehen, daß die lebenslange
Dauer dieser massiven Exposition tierischer Organismen mit großen Mengen von fremden DNA-Fragmenten
jeglicher Art dem "Zufall" Tür und Tor öffnet, und daß keinerlei mögliche Folgen auszuschließen sind.
Mutagene oder onkogene Ereignisse in einzelnen Zellen, die fremde DNA aufgenommen und möglicherweise in
das eigene Genom integriert haben, sind wahrscheinlich selten, aber es ist unrealistisch, diese Möglichkeit zu
negieren. Über die Häufigkeit dieser Ereignisse kann man noch keine zuverlässigen Angaben machen. Auf
diesem Gebiet ist intensive Forschungsarbeit notwendig.
Die Aufnahme fremder DNA-Fragmente in tierische Organismen über den GI-Trakt ist möglicherweise sehr viel
häufiger als das Eindringen fremder Gene durch Infektionen mit Viren oder Mikroorganismen. Natürlich sind
Viren und Mikroorganismen zum Teil hochspezialisiert darauf, ihre Genome effizient in bestimmte menschliche
Zellen einzuschleusen, während DNA-Fragmente, selbst nach Komplexierung mit Proteinen, sehr viel schwerer
Zugang zum Zellkern finden. Man könnte versucht sein zu argumentieren, daß ausschließlich Tumorviren dazu
in der Lage wären, spezielle Gene, wie beispielsweise Onkogene, in die Zellen einzubringen und auf diesem
Weg zur onkogenen Transformation von Zellen beizutragen. In den großen Mengen fremder DNA, die täglich in
tierische Organismen gelangen, sind aber Fragmente aller Gene, auch von Onkogenen und TumorSupressorgenen und allen möglichen anderen Genen, die für die onkogene Transformation von Bedeutung sein
könnten, in reichlichen Mengen vorhanden. Es gibt also kein überzeugendes Argument, das Viren oder anderen
Mikroorganismen hinsichtlich möglicher Mutagenese oder Onkogenese von Zellen im tierischen Organismus
eine bevorzugte Rolle einzuräumen erlaubte. Unsere Ergebnisse lassen bisher nicht vermuten, daß die Keimbahn
von fremder, mit der Nahrung aufgenommener DNA erreicht wird. Als seltenes Ereignis ist das Eindringen in
die Keimbahn aber nicht auszuschließen.
Wir wissen nur sehr wenig über die Existenz von Abwehrmechanismen des Organismus gegen den "Angriff"
fremder DNA. Die Beobachtung, daß fremde DNA häufig in Zellen des Abwehrsystems, nämlich in weißen
Blutzellen oder in der Milz, gefunden worden ist, und daß die fremde DNA später als etwa 24 Stunden nach der
Verfütterung nur noch sehr selten nachgewiesen werden kann, lassen vermuten, daß es effiziente Mechanismen
zur Elimination eingedrungener fremder DNA gibt. Sollte es einzelnen Molekülen fremder DNA dennoch
gelingen, in das Genom der Wirtszelle zu integrieren, könnte die De-novo-Methylierung dieser DNA durch
zelluläre DNA-Methyltransferase-Systeme, als altem zellulärem Abwehrmechanismus (2), die mögliche
Expression fremder Gene langfristig verhindern. Auch auf diesem komplexen Gebiet bestünde also ein bisher
wenig analysiertes Gleichgewicht zwischen dem Eindringen fremder DNA aus der Nahrung und den zellulären
Abwehrmechanismen des tierischen Organismus, wie wir sie in der Mikrobiologie und Virologie zu verstehen
glauben.
Es ist zu früh, Schlußfolgerungen aus unseren Resultaten für die Ernährung des Menschen zu ziehen. Allgemein
kann man überlegen, ob kernreiche Gewebe (parenchymatöse Organe, Muskel) mit hohem DNA-Gehalt die
geeignetsten Nahrungsmittel darstellen. Möglicherweise ist der Quotient Nährstoffgehalt zur Kernzahl in
Speichergeweben sehr viel geringer. Auf diesem Gebiet ist noch intensive Forschung erforderlich, bevor man
Empfehlungen für die Ernährung des Menschen aussprechen kann.
Bedenken der Öffentlichkeit
Intensive Aufklärungsarbeit ist erforderlich, um Laien über die natürliche Verbreitung fremder DNA in unserer
Umwelt zu informieren. Es erscheint unrealistisch, sich über "genmanipulierte Nahrungsmittel" zu beunruhigen,
wenn man realisiert, daß wir allen diesen in "gene food" verwendeten Genen und Tausenden anderer Gene in
den vielfältigsten Kombinationen seit Jahrmillionen in unserer Nahrung ausgesetzt waren und weiterhin sein
werden. Eine Kennzeichnung genmanipulierter Nahrungsmittel wäre sicher ein ratsamer Schritt, um den
unbegründeten Bedenken und Ängsten in der Öffentlichkeit zu begegnen. Wer dann immer noch verunsichert
bleibt, könnte es vermeiden, solche Nahrungsmittel zu erwerben.
Wir könnten der Bevölkerung, die in der Mehrzahl nicht über elementare Begriffe der modernen Biologie und
der Medizin informiert ist, den besten Dienst dadurch erweisen, daß wir in leicht verständlicher Form die
notwendigen wissenschaftlichen Informationen verbreiten (4). Insbesondere an den Schulen muß durch einen
verbesserten und intensiveren Unterricht im Fach Biologie, das in Zukunft an keiner Schulform mehr
"abwählbar" sein darf, die wesentliche Aufklärungsarbeit geleistet werden.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-3465-3470
[Heft 51-52]
Literatur
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BBA Review in Cancer 1996; 1288: 79-99.
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10. Sutter D, Westphal M, Doerfler W: Patterns of integration of viral DNA sequences in
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11. Sutter D, Doerfler W: Methylation of integrated adenovirus type 12 DNA sequences in transformed cells is
inversely correlated with viral gene expression. Proc Natl Acad Sci USA 1980; 77: 253-256.
Anschrift der Verfasser
Prof. Dr. med. Walter Doerfler
Dr. med. vet. Rainer Schubbert
Abteilung für Medizinische Genetik und Virologie
Institut für Genetik
Universität zu Köln
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