ArchivDeutsches Ärzteblatt7/1998Rußland: Ärzte wollen mehr Einfluß auf Arzneimitteltherapie

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Rußland: Ärzte wollen mehr Einfluß auf Arzneimitteltherapie

Korzilius, Heike

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LNSLNS "Allmählich wird in Rußland der Arzt zur führenden Figur auf dem Pharmamarkt. Früher war das der Apotheker." So charakterisierte Prof. Arkadij L. Vjortkin, Leiter des Lehrstuhls für Klinische Pharmakologie am Institut für ärztliche Fortbildung und Leiter der Klinik für Innere Medizin des Städtischen Krankenhauses N 50 in Moskau, die gegenwärtige Situation. Anläßlich einer Tagung der pmi Verlagsgruppe über die "Aktuelle Situation im Pharmamarkt Rußland" Ende 1997 in Frankfurt/M. sagte Vjortkin, die russischen Ärzte seien bereit, hier eine Hauptrolle zu übernehmen. Sie müßten allerdings entsprechend geschult werden. Veraltete Präparate hätten immer noch einen hohen Verbrauchsanteil. Obwohl viele Ärzte die russischen Arzneimittel nicht schätzten, würden ausländische Medikamente nicht häufig genug verordnet. Besonders selten würden neue Generationen oder Darreichungsformen der Präparate verschrieben, was auf den geringen Kenntnisstand der meisten Ärzte zurückzuführen sei. Als größte Aufgabe für die Zukunft bezeichnete Vjortkin daher die Weiterbildung: "Wir müssen aufhören, Arzneimittel unkritisch, traditionell zu verwenden." Für wünschenswert hält er beispielsweise großangelegte Informationskampagnen durch Arzneimittelhersteller in Krankenhäusern, Ambulatorien oder Apotheken. Die Ärzte müßten mehr Präparate kennenlernen, um sie ordnungsgemäß verwenden zu können.
Schrittweise Verbesserungen deuten sich bereits an. Seit Mai 1997, so Vjortkin, ist die klinische Pharmakologie als Spezialdisziplin in den Krankenhäusern eingeführt worden. Nach dem Willen des russischen Gesundheitsministeriums soll künftig in den Krankenhäusern je 150 Patienten ein klinischer Pharmakologe beschäftigt werden. Außerdem würden in Moskau die Komitees, die für den Einkauf bestimmter Arzneimittel zuständig sind, nicht mehr wie bisher von Beamten des Gesundheitsministeriums geleitet, sondern von Ärzten. Das hat nach Einschätzung von Vjortkin Auswirkungen auf die Auswahl der Medikamente: Bestimmend für den Einkauf soll künftig nicht mehr nur der Preis, sondern vor allem auch die Qualität der Präparate sein. Russische Besonderheiten und anhaltende Versorgungsprobleme erschweren allerdings eine qualitativ hochwertige Arzneimittelverordnung. Zum einen, so Vjortkin, ändern sich ständig die Listen, die von den Gesundheitsbehörden erstellt werden und erstattungsfähige beziehungsweise lebensnotwendige Arzneimittel verzeichnen. Wie diese Arzneimittellisten entstehen, sei auch nicht immer nachvollziehbar. Zum anderen sei die wirtschaftliche Entwicklung kaum kalkulierbar. Es gebe derzeit Regionen, die kaum noch über Finanzmittel verfügten. Da diese neben den Versicherungen die Arzneimittelversorgung mitfinanzieren, könne dort von medizinischer Versorgung keine Rede mehr sein. HK

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