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Einsatz in Laos: Von Kokosnüssen und wilden Bananen


Nach fünf Jahren Entwicklungshilfe in Laos überwiegt bei einem deutschen Allgemeinarzt das Gefühl, etwas Positives bewirkt zu haben.
Angefangen hatte es mit Vorbereitungskursen bei Inwent – Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH in Bad Honnef. Entsandt als Arzt und Entwicklungshelfer über CFI (Christliche Fachkräfte International, Stuttgart) und nach weiteren Projektvorbereitungen in der Hauptstadt Vientiane ging es Ende März 2005 mit vollgepacktem Geländewagen auf eine zweitägige Fahrt in den Norden von Laos. Ziel war Luang Namtha unweit der nördlichen Grenze von Laos zu China am Goldenen Dreieck. Laos – Lao People’s Democratic Republic – ist eines der ärmsten Länder Südostasiens, 27 Prozent der Bevölkerung leben unter der nationalen Armutsgrenze.
Die Folgen der Ärzteflucht
Schwerpunkt meiner Tätigkeit war die Weiterbildung von einheimischem Personal. Infolge der kommunistischen Revolution 1975 war es zu einer Flucht von Intellektuellen und Fachleuten nach Thailand und in den Westen gekommen. Auch viele medizinische Fachkräfte verließen damals den Binnenstaat in Südostasien. Fast die Hälfte der Ärzte vor Ort waren somit Arztassistenten mit einer nur dreijährigen Ausbildung. Selbst Ärzte hatten hier bis vor kurzem ihr Studium überwiegend ohne medizinische Lehrbücher bestreiten müssen. Dank verschiedener ausländischer Unterstützung und Partnerschaften, wie zum Beispiel durch Prof. Dr. med. Michael Runge, Universitätsfrauenklinik Freiburg, hat sich die akademische Aus- und Weiterbildung der Ärzte in den letzten Jahren deutlich verbessert. Allerdings muss weiterhin in den meisten peripheren Krankenhäusern die Versorgung mit dem bestehenden Personal gesichert werden.
Der Projektbeginn fiel genau in die Einweihungsphase des neuen Provinzkrankenhauses, was für mich optimal war – auf einmal gab es ganz neue, bislang unbekannte Hightechgeräte (Ultraschall, EKG, Beatmungsgerät, klinische Chemie). Ich konnte meine einheimischen Kollegen also gleich in die neue Apparatemedizin einweisen.
Kaum hätte ich aber geahnt, dass ich mich in meiner klinischen Tätigkeit einmal mit Kokosnüssen und wilden Bananen beschäftigen würde. Und das kam so: Im Rahmen des transasiatischen Straßenbaus von China nach Thailand durch Nordlaos wurden Ende 2006 Motorradunfälle zur Hauptaufnahmeursache im Provinzkrankenhaus. Zeitweise mussten sogar Verunfallte auf andere nichtchirurgische Stationen verteilt werden.
Der Kokosnuss-Fallversuch
Hauptrisiko war das Motorradfahren ohne Helm. Formal bestand Helmpflicht, wobei selbst die Polizei ohne Helm fuhr. Bei der Suche nach einem überzeugenden Argument für das Helmtragen entwickelten wir den „geschwindigkeitsadaptierten Kokosnuss-Fallversuch“:
Überall in Laos stehen Kokosnusspalmen. Niemand würde auf die Idee kommen, sich da kopfüber hinunterzustürzen. Ein Aufprall mit der moderaten, innerorts erlaubten Geschwindigkeit von 40 Stundenkilometern entspricht aber ziemlich exakt dem freien Fall aus sechs Metern Höhe. Eine Kokosnuss mit ihrer dicken Schale übersteht den Sturz meist unversehrt. Wird diese aber geschält und von einer sechs Meter langen Bambusstange fallen gelassen, zerschellt das weiche Innere in viele Stücke. In mehreren Verkehrssicherheitsaktionen im Krankenhaus und auch in den beiden größten weiterführenden Schulen der Provinz haben wir diesen Versuch (Sturz der Kokosnuss mit und ohne Schale) vorgeführt – die meisten Zuschauer haben die Bedeutung der Helmpflicht begriffen. Bereits nach dem ersten Verkehrssicherheitstag begann die Polizei, Helmkontrollen einzuführen. In der Folge gingen die Unfälle schlagartig zurück.
Entgegen unseren Befürchtungen zeigte sich, dass es sich bei den verbreiteten Fiebererkrankungen nicht um Malaria handelte. Dank einer neuen Kooperation mit dem Zentralkrankenhaus und dem dazugehörigen Forschungslabor entpuppten sich die Fälle überwiegend als Rickettsiosen, Dengue, Japanische Enzephalitis, Typhus und andere seltenere Infektionskrankheiten. Als Kliniker lernt man ein verlässliches Labor doch sehr zu schätzen.
Ende 2009 kam es zu einem Cluster an Patienten mit Ileus infolge von wilden Bananen. Ungläubig schaute ich mir die Operationspräparate des laotischen Chirurgen an: ein harter gelber Klumpen mit kleinen dunklen Kernen – für die einheimischen Kollegen ein altbekanntes Phänomen. Dr. med. Volker Schöffl, Klinikum Bamberg, hatte dazu 2004 erstmals eine Fallstudie mit vier Patienten publiziert. Wie kommt es dazu?
Bananen auf leeren Magen
Mittels Patienten- und Ärztebefragungen kristallisierte sich Folgendes heraus: Werden wilde Bananen auf leeren Magen ohne weitere Nahrung oder Flüssigkeit verzehrt, können die darin enthaltenen kleinen Kerne unter dem Einfluss der Magensäure zu harten Konglomeraten (Phytobezoar) verklumpen und dann zu einem operationspflichtigen Ileus führen. Betroffen sind vor allem junge Männer aus den armen Minderheitsgruppen in ländlichen Gebieten, die typischerweise vor der Reisernte kaum noch Essen bei ihrer Feldarbeit dabeihaben und dann unter anderem auf wilde Bananen zurückgreifen.
Fehl- und Mangelernährung sind ein häufig übersehenes Problem in Laos. Geradezu tragisch ist es vor diesem Hintergrund, dass westliches Marketing für Babynahrung bei vielen jungen Eltern seine Wirkung nicht verfehlt. „Breast is best“ – dieser eingängige Slogan zur Muttermilchwerbung kann aber nicht oft genug betont werden, selbst bei HIV-positiven Müttern. Gesundheitsaufklärung und Krankheitsprävention gewinnen unter diesen Umständen neue Bedeutung.
2010 ging das Projekt zu Ende, und für uns als Familie stand die Einschulung unserer ältesten Tochter an. Erfreulicherweise wird die kontinuierliche Weiter- und Fortbildung der laotischen Kollegen aber fortgeführt. Die medizinische Entwicklungszusammenarbeit als Kliniker war für mich eine äußerst lehrreiche und spannende Erfahrung. Der längerfristige Einsatz hat in verschiedenster Hinsicht überproportional mehr erbracht; an eigener Einsicht, Erfahrung, positiven Veränderungen und medizinischer Qualitätssicherung. Ich kann es nur bestens weiterempfehlen.
Und jedem Motorrad- und Radfahrer, auch in Deutschland, bleibt noch zu sagen: „Be smart like a coconut, wear a helmet!“
Dr. med. Günther Slesak, Tropenklinik Paul-Lechler-Krankenhaus Tübingen
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