ArchivDeutsches Ärzteblatt25/2011Von schräg unten: Wichtige Person

SCHLUSSPUNKT

Von schräg unten: Wichtige Person

Böhmeke, Thomas

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Der Terminkalender platzt wie ein Dilatationsballon aus den Nähten, das Wartezimmer ist überfüllt wie eine steinverklemmte Gallenblase. Als wären jahrelange Bemühungen um ärztliche Überversorgung und die tapfere Verteidigung der doppelten Facharztschiene völlig vergebens, kündigt mir meine Fachangestellte zusätzlichen Besuch an: „Herr Doktor, da ist noch jemand da, eine wichtige Person . . .“ Ja ja, ich kann mir schon denken, für wen eine Terminvergabe den juristischen Tatbestand einer unzumutbaren Belästigung erfüllt. Eine wichtige Person, sicherlich eine Person des öffentlichen Lebens?

„Herr Doktor, also . . .“ . . . also stimmt es, was ich vermute. Es handelt sich sicher um einen Politiker! Dann müssen wir, ganz der Wahrhaftigkeit verpflichtet, diesem Menschen ein realistisches Bild der Gesundheitsversorgung in diesem unserem schönen Land vermitteln. Richtig? „Das schon, aber . . .“ Keine Widersprüche! Wenn der Patient ein Politiker ist, dann muss er gesetzlich krankenversichert sein, als privat Versicherter bringt ihn der Geruch des Elitären um Abertausende Wählerstimmen; stimmt’s oder habe ich recht? „Das mag sein, aber . . .“ . . . aber wir müssen ganzheitlich handeln, nicht nur das schnöde Organische ins Auge fassen, sondern auch zu seiner geistigen Gesundung beitragen! Ihn von der romantischen Zwangsvorstellung einer funktionierenden Gesundheitsversorgung der GKV befreien, ihm das wirkliche, echte Leben präsentieren! Hierfür darf er zunächst stundenlang im Wartezimmer an der Zufriedenheit privat versicherter Patienten teilhaben, die bevorzugt drangenommen werden. Wir haben zwar kaum Private, aber vielleicht können ein paar Freunde und Verwandte einspringen, nicht wahr? „Also, ich glaube . . .“ . . . ich glaube auch, dass das klappt. Aber genau aufpassen, dass es juristisch vertretbar ist! Wenn er aufwendige Untersuchungen wie CT oder MRT wünscht, teilen Sie ihm mit, dass er sich Wochen, gar Monate auf den Termin freuen darf! „Ich wollte Ihnen sagen . . .“ . . . Sie müssen ihm auch sagen, dass derartige Untersuchungen in besonderen Kliniken ambulant nur privat Versicherten vorbehalten sind. Möchte er trotzdem dort behandelt werden, so muss er halt ein paar Tage stationären Aufenthalt einplanen, bis er die DRG abgelegen hat. Und immer darauf achten, dass Sie eine gerichtsfeste Auskunft erteilen, ja?

„Ja, schon, aber . . .“ . . . aber bei der Rezeptausstellung müsst ihr genau aufpassen; das Verschreiben eines teuren Originalpräparats ist so unmöglich wie eine einvernehmliche Bundestagssitzung, ihr dürft nur ein billiges Nachahmerpräparat aufschreiben! Muss er in eine stationäre Behandlung, dann weisen wir ihn in eine Klinik ein, die Vierbettzimmer vorhält. Damit kommt er in den reichlichen Genuss zwischenmenschlicher Kontakte mit leidenden Wählern. Braucht er gar einen anderen Facharzt, dann empfehlen Sie den Kollegen, dessen Termine weit in das nächste Jahr reichen und er somit viel Muße hat, seine Selbstheilungskräfte zu aktivieren!

„Herr Doktor, jetzt hören Sie mir mal zu! Das ist kein Politiker, vorne steht ihr Bruder, der Rechtsanwalt!“ Für einen Moment bin ich enttäuscht. Aber dann freue ich mich doch: Juristischen Beistand kann ich immer gebrauchen!

Dr. med. Thomas Böhmeke
ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote