MEDIZIN: Editorial
Zum aktuellen Stand der Zyklooxygenase-Forschung
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Dieser Kenntnisstand ist in den 90er Jahren durch eine Reihe neuer Entdeckungen erweitert, aber auch kompliziert worden. So konnten wir in den vergangenen Jahren zusammen mit Schmidt und Schaible (Würzburg) und Shimada (New Haven) zeigen, daß die nichtsauren, nicht im entzündlichen Gewebe akkumulierenden Phenazonderivate über eine Hemmung der Prostaglandinsynthese im Rückenmark und im Hypothalamus analgetische und antipyretische Effekte auslösen (11, 15).
Wichtiger noch, im Jahre 1990 wurde die Existenz einer zweiten COX-Isoform durch die Gruppe um Needleman postuliert (5). Dieses Enzym wird nach Gewebeschäden oder Belastung (zum Beispiel im entzündeten Gewebe) gebildet. Bereits ein Jahr später wurde die COX-2-Isoform durch Xie et al. (18) kloniert.
Selektive Hemmung der COX 2: ein neues pharmakologisches Prinzip
Die von unterschiedlichen Genen kodierten Isoformen COX 1 und COX 2 unterscheiden sich hinsichtlich Gewebeverteilung und Regulation der Expression. COX 1 ist konstitutiv unter anderem in Niere, Magen, Thrombozyten und Gefäßendothel exprimiert und reguliert als sogenanntes "house-keeping enzyme" physiologische Adaptationen. Die Induktion von COX 2 erfolgt zum Beispiel im Rahmen von Gewebeschaden und Entzündungen durch Tumornekrosefaktor a, Interleukin(IL)-1 und andere Zytokine und Mitogene. Glukokortikoide und die antiinflammatorischen Zytokine IL-4 und IL-10 hemmen die Bildung dieses Enzyms.
Diese Befunde führten zur Hypothese, daß eine selektive Hemmung der COX 2 zur Inhibition von Schmerz und Entzündungen bei fehlender Beeinträchtigung der (COX-1-abhängigen) Funktion des Magen-Darm-Trakts, der Niere und der Blutgerinnung führen müßte (17).
Auf der Suche nach selektiven COX-2-Inhibitoren
Diese Hypothese führte sofort zur Suche nach selektiven COX-2-Hemmern. Überraschenderweise zeigten einige längst bekannte NSAID (Etodolac, Meloxicam, Nabumeton) eine scheinbar selektive Hemmung der COX 2. Weitere Untersuchungen ergaben jedoch, daß die COX-1/COX-2-Selektivität einer Substanz je nach Testsystem (isoliertes Enzym, Zellhomogenate, Zellinien, isolierte Zellen) und Versuchsbedingungen (Inkubationszeit, verwandte Stimuli) erheblich variiert. Mit dem von Patrono und Mitarbeitern beschriebenen "Vollblutassay" (12) wird die COX-1/COX-2-Selektivität einer Verbindung an klinisch relevanten humanen Blutzellen bestimmt, die COX 1 (Blutplättchen) oder COX 2 (Monozyten nach Lipopolysaccharid-Stimulation) exprimieren. Diese Methode kann auch ex vivo zur präklinischen und klinischen Evaluierung der COX-2-Selektivität einer Verbindung verwandt werden und berücksichtigt im Unterschied zu anderen Testsystemen die unterschiedliche Proteinbindung der Testsubstanzen. Untersuchungen von unterschiedlichen Autoren mit diesem Versuchssystem zeigten schließlich, daß keines der in Deutschland therapeutisch eingesetzten NSAID ein selektiver Hemmer der COX 2 ist (14). Man kann sie bestenfalls (Diclofenac, Meloxicam, Nimesulid) als "präferentielle" Hemmer der COX 2 bezeichnen. Im Einklang mit diesem Befund zeigt das im Mai 1996 in Deutschland zur Therapie der rheumatoiden Arthritis und aktivierten Arthrose zugelassene Meloxicam zwar in Studien des Herstellers ein etwas geringeres Ausmaß an gastrointestinalen Nebenwirkungen im Vergleich mit zum Beisiel Diclofenac, aber vergleichsweise mehr unerwünschte Effekte in anderen Organsystemen (Haut, ZNS, Respirationstrakt und Niere) (4). Schließlich scheint Meloxicam bisher auch häufig vergleichsweise niedrig dosiert zu werden. Dementsprechend hat der Hersteller inzwischen eine 15-mg-Formulierung eingeführt.
Allerdings ist es durchaus möglich, hochselektive COX-2-Inhibitoren auf Basis eines targetorientierten Drug Designs zu synthetisieren. Die Aufklärung der Kristallstrukturen der beiden Isoenzyme durch die Arbeitsgruppen um Garavito (13) und Browner (10) war dafür die Basis. Sie zeigten, daß sich in beiden Enzymproteinen ein hydrophober Kanal befindet, an dessen Ende die COX-aktive Stelle des Enzyms lokalisiert ist. Dieser hydrophobe Tunnel zeigt bei der COX 2 eine Seitentasche ("Side pocket"), in die sich Phenylsulfonamid-Reste bereits bekannter selektiver COX-2-Inhibitoren mit diarylheterozyklischer Struktur (zum Beispiel SC-558) einlagern können (7).
Der selektive COX-2-Hemmer Celecoxib (SC-58635) befindet sich gegenwärtig in den USA und Europa in der Spätphase klinischer Studien an Patienten mit rheumatoider und Osteoarthritis. In einer plazebokontrollierten klinischen Studie an 293 Patienten mit Kniegelenksarthrose zeigt Celecoxib in Dosen von 100 bis 200 Milligramm (zweimal täglich) analgetische und antiphlogistische Effekte ohne schwere gastrointestinale Komplikationen und Störungen der Blutgerinnung (6). Ob hier allerdings vergleichbare (wie zum Beispiel mit Indometacin mögliche) antiphlogistische Effekte erzielt wurden, bleibt offen.
COX 2: Mehr als ein induzierbares Enzym!
Die generelle Bedeutung der erwähnten COX-2-Hypothese muß allerdings aus vielerlei Gründen in Frage gestellt werden. So erbrachten beispielsweise Versuche mit Knock-out-Mäusen, die das jeweilige Isoenzym nicht exprimieren können, da das verantwortliche Gen deletiert wurde, überraschende Befunde. So sind COX-1Knock-out-Mäuse recht lebensfähig. Sie bekommen auch keine spontanen Magenulzera, entwickeln aber nach Indometacingabe Ulzerationen (8). Eine Hemmung der COX 1 durch NSAID kann daher nicht die alleinige Ursache für Ulzerationen sein. Weitere Befunde legen nahe, daß auch via COX 1 generierte Prostaglandine in das akute Entzündungsgeschehen involviert sind. So zeigten COX-1-Knock-out-Mäuse eine geringere Ausbildung von akuten Enzündungsreaktionen (8).
Auf der anderen Seite hätte man von COX-2-Knock-out-Mäusen keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung erwartet, da ihnen, der Hypothese nach, nur die am Entzündungsgeschehen beteiligten Prostaglandine fehlen sollten. Die Realität zeigt hingegen, daß diese Tiere schwere Nephropathien entwickeln, die pränatal oder nach der Geburt zum Tode führen (3). Die COX 2 muß folglich auch regulatorische Funktionen während der Embryo- und Organogenese ausüben. Weiterhin zeigen COX-2-Knock-out-Mäuse kardiale Fibrose, und weibliche Tiere sind infertil (3). Auch COX-2-Knock-out-Mäuse zeigen Entzündungen - sie sind aber meist in einem so schlechten Allgemeinzustand, daß quantitative Aussagen unmöglich sind.
Darüber hinaus ist heute bekannt, daß das COX-2-Isoenzym konstitutiv im ZNS, den Sexualorganen und der Niere (Macula densa) exprimiert wird. Wir konnten zeigen, daß gerade in der analgetischen Filterstation, dem Hinterhorn des Rückenmarks, COX 2 konstitutiv vorhanden ist (1).
Implikationen
Aufgrund unseres heutigen Wissens kann kein endgültiges Urteil über den künftigen Stellenwert selektiver COX-2-Inhibitoren abgegeben werden. Es steht zu hoffen, daß sich diese Substanzen meßbar positiv von den weltweit im Gebrauch befindlichen analgetischen/antipyretischen nichtsauren Wirkstoffen wie Propyphenazon unterscheiden, die ja bekanntlich auch kein ulzerogenes Risiko aufweisen (9). Andererseits werden auch nichtselektive COX-Hemmer wie Acetylsalicylsäure in der Zukunft ihren therapeutischen Stellenwert bei der Prophylaxe kardio- und zerebrovaskulärer Erkrankungen behalten. Bei aller Euphorie sollte man sich auch darüber im klaren sein, daß selektive COX-2-Hemmer, die lediglich die Bildung einer in den Entzündungsprozeß involvierten Gruppe von Mediatoren hemmen, vermutlich nicht die antiinflammatorische Potenz von zum Beispiel Glukokortikoiden erreichen werden, die zusätzlich die Bildung mehrerer proinflammatorischer Zytokine blockieren.
Auf der Grundlage von Befunden zum konstitutiven Vorkommen und zur physiologischen Rolle der COX 2 können neue Nebenwirkungen COX-2-selektiver Verbindungen (beispielsweise Nephrotoxizität, Infertilität, zentralnervöse Effekte) nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Eine endgültige Beurteilung möglicher Risiken wird auch dadurch erschwert, daß die Rolle der COX-Isoformen bei einer Reihe physiologischer Prozesse (zum Beispiel Ovulation, Schwangerschaft, Kontrolle des Gefäßtonus) nicht vollständig aufgeklärt ist.
Auf der anderen Seite könnte der Einsatz selektiver COX-2-Inhibitoren ein Spektrum neuer Indikationen eröffnen. So soll die Entwicklung kolorektaler Karzinome sowie die Degeneration großer Gehirnareale bei der Alzheimerschen Krankheit unter Mitwirkung der COX 2 geschehen.
Es wird Aufgabe der Klinik sein, den Platz der wirklich spezifischen COX-2-Hemmer zu definieren und zu zeigen, ob die Hoffnung auf eine neue NSAID-Generation gerechtfertigt ist.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1998; 95: A-343-346 [Heft 7]
Literatur
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3. Dinchuk JE, Car BD, Focht RJ et al.: Renal abnormalities and an altered inflammatory response in mice
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4. Distel M, Mueller C, Bluhmki E, Fries J: Safety of meloxicam: a global analysis of clinical trials. Br J
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5. Fu JY, Masferrer JL, Seibert K, Raz A, Needleman P: The induction and suppression of prostaglandin H2
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6. Hubbard RC, Koepp RJ, Yu S et al.: SC-58635 (celecoxib), a novel COX-2 selective inhibitor, is effective as
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7. Kurumball RG, Stevens AM, Gierse JK et al.: Structural basis for selective inhibition of cyclooxygenase-2 by
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Anschrift der Verfasser
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Kay Brune
Dr. rer. nat. Burkhard Hinz
Institut für Experimentelle und
Klinische Pharmakologie und Toxikologie
Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
Universitätsstraße 22
91054 Erlangen