ArchivDeutsches Ärzteblatt10/199821. Symposion für Juristen und Ärzte: Arzt im Strafrecht - heikle Themen

POLITIK: Leitartikel

21. Symposion für Juristen und Ärzte: Arzt im Strafrecht - heikle Themen

Rieser, Sabine

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LNSLNS Abrechnungsbetrug, ärztliche Aufklärung, Rechte und Pflichten in Ermittlungs- und Strafverfahren - damit befaßten sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Teilnehmer des Symposions "Arzt im Strafrecht".
it 150 bis 200 Teilnehmern wurde gerechnet, statt dessen meldeten sich rund 400 Interessenten zum 21. Symposion für Juristen und Ärzte Mitte Februar in Berlin an, veranstaltet von der Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungswesen. Die rege Nachfrage veranlaßte einen Referenten zu der spöttischen Bemerkung, er wolle nicht hoffen, daß sich die Anwesenden Tips und Tricks zu Themen wie "Abrechnungsbetrug" oder "unerlaubte Zuwendungen" erhofften. Referate und Diskussionen zum Symposion-Thema "Arzt im Strafrecht" verdeutlichten jedoch, daß es weniger um "Dubioses" ging als vielmehr um Rechte und Pflichten von Ärzten.
Dabei wurde klar, aus welch unterschiedlichen Blickwinkeln Ärzte und Juristen Geschehnisse beurteilen - und an welchen Punkten sie einander folglich kritisieren. Ärzte bemängelten an Juristen eine zu geringe Kenntnis des ärztlichen Berufsalltags und, daraus resultierend, unrealistische Anforderungen an ihre Arbeit. So werde die Schicksalhaftigkeit manchen Krankheitsverlaufs kaum mehr akzeptiert und statt dessen verbissen ein "Schuldiger" gesucht. Juristen kritisierten an Ärzten, daß diesen häufig das nötige Unrechtsbewußtsein fehle. Außerdem werde zu oft der Wunsch geäußert, aufgrund des schwierigen Berufs müsse hier oder da eine Ausnahmeregelung greifen.
Mehr Übereinstimmung herrschte zwischen Ärzten und Juristen darin, daß die rechtliche Einordnung ärztlichen Handelns als Körperverletzung beziehungsweise unerlaubte Handlung unbefriedigend ist. Ein Heileingriff bleibt unter anderem nur straffrei, wenn der Patient in die "Körperverletzung" einwilligt, was wiederum seine umfassende Aufklärung voraussetzt.
Verletzung des Willens wird zur
Verletzung des Körpers Prof. Dr. jur. Walter Gropp, Juristische Fakultät der Universität Leipzig, benannte das juristisch Problematische dieser Konstruktion: "Die Verletzung des Willens wird zur Verletzung des Körpers transformiert." Weil es in vielen Fällen nicht gelinge, Behandlungsfehler als Ursache für das Mißlingen eines Heilerfolgs nachzuweisen, werde untersucht, ob die Aufklärung lückenhaft war, um so zu einer Verantwortlichkeit wegen Körperverletzung zu kommen. Gropp erläuterte, welche Ansätze es gebe, um den Heileingriff nicht länger als Tatbestand der Körperverletzung zu fassen. Unter anderem werde innerhalb der Rechtslehre über einen eigenen Tatbestand "eigenmächtige Heilbehandlung" nachgedacht, wie er Gropp zufolge bereits im österreichischen Strafgesetzbuch verankert ist. Er wies darauf hin, daß grundlegende Veränderungen des Arzthaftungsrechts auch Gegenstand eines Referentenentwurfs zur Novellierung des Strafrechts waren. Der Entwurf von 1996 wurde bislang jedoch nicht weiterverfolgt.
Bei der Berliner Tagung spielten auch Ausmaß und Sinnhaftigkeit der Aufklärung eine große Rolle. So kritisierte Prof. Dr. med. Peter Neuhaus, daß heute hohe Ansprüche an die ärztliche Aufklärung gestellt würden, um juristisch nicht anders zu fassende Tatbestände zu Lasten des Arztes doch noch zu entscheiden. Neuhaus ist Geschäftsführender Direktor der Chirurgischen Klinik und Poliklinik am Charité-Virchow-Klinikum Berlin. Er verdeutlichte an einem Beispiel, wohin es führen könne, wenn sich Ärzte bei der Aufklärung perfekt abzusichern versuchten. Inzwischen würden Patienten, die sich einer Dickdarmoperation unterziehen müßten, darüber aufgeklärt, daß unter bestimmten Umständen ein künstlicher Darmausgang gelegt werden müsse. Gleich im Anschluß versuche man sie zu beruhigen, daß dies nur sehr selten notwendig sei. Eine solche Vorgehensweise sei menschlich, medizinisch und juristisch unbefriedigend.
Neuhaus forderte einen gewissen Ermessensspielraum des Arztes bei der Aufklärung, beispielsweise nach der Operation bei Tumorpatienten: "In vielen Fällen ist es unmenschlich, letzte Hoffnungen durch brutale Aufklärung zu zerstören." In der Ärzteschaft gebe es aber ganz unterschiedliche Philosophien zu Art und Umfang der Aufklärung, zu ihrem Nutzen und Schaden.
In der Diskussion wurde von einzelnen Ärzten angeregt, über eine Abstufung der Haftung nachzudenken, etwa in der Form, daß Ärztinnen und Ärzte im Praktikum in anderem Umfang haften müßten als erfahrene Oberärzte. Weitere Vorschläge gingen in die Richtung, die Grenzen der Strafbarkeit einer Handlung zu verschieben und zum Beispiel einen Arzt bei leichter Fahrlässigkeit nicht zu belangen. Manche Ärzte waren der Auffassung, daß dann Behandlungsfehler möglicherweise auch eher eingestanden würden.
Hier widersprachen einige Juristen: Was die Unerfahrenheit junger Ärzte anbelange, so müßten diese bestimmte Aufgaben ablehnen, wenn sie sich ihnen nicht gewachsen fühlten. Aus den Diskussionsbeiträgen wurde deutlich, daß Juristen keinesfalls die Belastung von Ärzten verkennen. Ebenso klar herrschte jedoch die Meinung vor, daß Unzulänglichkeiten in der Rechtsetzung wie in den Arbeitsbedingungen der Ärzte ihrer Meinung nach nicht auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden sollten.
Das Thema "Abrechnungsbetrug" eröffnete Herbert Wartensleben aus Sicht des Verteidigers. Der Rechtsanwalt wollte nicht bestreiten, daß Ärzte Abrechnungen manipulieren. Er betonte jedoch, daß es auch "systemimmanente" Probleme gebe und daß das gesamte Honorarsystem überholungsbedürftig sei: "Ärzte haben das System korrumpiert, aber erst hat das System Ärzte korrumpiert."
Wartensleben hält es für ein Problem, daß viele Ärzte die sogenannten untergesetzlichen Normen nicht kennen, also zum Beispiel Vorschriften zur persönlichen oder zur vollständigen Leistungserbringung. So dürfe eben nur eine vollständig erbrachte Leistung abgerechnet werden. Die Ärzte zeigten hier oft kein Unrechtsbewußtsein, sondern argumentierten, sie hätten dies oder jenes doch versucht. Ein Problem seien daneben die häufigen Veränderungen am Einheitlichen Bewertungsmaßstab.
Würde strafrechtlich ermittelt, dann rate er Klienten, sich erst einmal nicht zu äußern. Schließlich müsse die Gegenseite den Beweis antreten. Komme es jedoch zur Anklage, dann werde häufig rasch klar, daß der Arzt ein längeres Verfahren mit zahlreichen Verhandlungsterminen finanziell nicht durchhalten werde und gegebenenfalls besser ein Geständnis ablege: "Dann ist es letztlich eine Wirtschaftlichkeitsrechnung, was billiger kommt." Aus der Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) nahm Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm, Vorsitzender der KV Berlin, zum Thema "Abrechnungsbetrug" Stellung. Abrechnungsbetrug schädige im bestehenden System die Ärzte, nicht aber die Kassen, meinte Richter-Reichhelm. Bestimmte Erklärungen zur Abrechnungspraxis wollte er nicht gelten lassen: Eine KV könne es nicht hinnehmen, daß mit Hinweis auf den Punktwert oder gar das "Abrechnungsdickicht" falsch abgerechnet werde. In solchen Fällen müßten berufsrechtliche Verfahren eingeleitet werden. Richter-Reichhelm befand allerdings, daß nicht in allen Fällen unkorrekter Abrechnung ein Strafrechtsverfahren angestrengt werden müsse. So meinte er: "Der Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot ist nicht strafbar im Sinne des Strafrechts."
Dem widersprach unter anderem Herbert Mühlhausen, Oberstaatsanwalt in Wuppertal. Die "bewußte Unwirtschaftlichkeit" sei ein Betrugsdelikt. Mühlhausen kritisierte die KVen; am Willen zur Aufdeckung und Ahndung von Abrechnungsbetrügereien habe er in der Vergangenheit gezweifelt: "Wer verschreckt schon gern Kollegen, von denen man die Wiederwahl erwartet?" Er betonte, daß Abrechnungsbetrug ein Straftatbestand bleibe - auch wenn nicht die Krankenkassen, sondern die Ärzte den Schaden hätten.
Abrechnungsbetrug: Kein Delikt einiger schwarzer Schafe
Mühlhausen meinte jedoch auch, daß nicht jede falsche Abrechnung bereits ein Betrug sei. Manchmal seien in der Tat unklare Regelungen oder Leistungslegenden verantwortlich. Er halte aber Betrügereien im heutigen Abrechnungssystem für "kinderleicht" und häufig praktiziert: "Der Hinweis auf einzelne schwarze Schafe geht an der Realität vorbei." In einem Urteil sei zu Recht vom "Versagen eines ganzen Berufsstandes" gesprochen worden.
In der Diskussion wurde mancher Ausführung widersprochen. So meinte ein Redner, die Staatsanwaltschaft urteile oft zu holzschnittartig. Man solle zum Beispiel besser unterscheiden, was echter Betrug und was zum Beispiel eine nicht persönlich erbrachte Leistung sei. Ein anderer kritisierte, in mancher KV würden die Ärzte mit dem Druckmittel staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen genötigt, Honorarkürzungen zuzustimmen.
Ähnlich facettenreich wie in diesem Jahr dürfte auch das nächste Symposion werden. Die Kaiserin-FriedrichStiftung hat zwei Themen vorgeschlagen: "Datenschutz und Schweigepflicht in der Medizin" und "Medizinische Probleme im Strafvollzug". Sabine Rieser

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