Global Health
Ein Blick zurück und nach vorn
Freitag, 28. Dezember 2018
Das Jahresende ist die Zeit der Rückblicke auf die vergangenen Monate und die Zeit der Pläne und der guten Vorsätze für das kommende Jahr. Wir blicken auf unsere Erfolge zurück, mit Genugtuung und Stolz, und wir halten uns unsere Niederlagen vor Augen, mit Scham, mit Verzweiflung, manchmal mit Ratlosigkeit. Genugtuung und Stolz sind wichtig, denn sie spornen uns an, geben uns die Energie, im kommenden Jahr unsere eigenen Erfolge selbst nochmals zu überbieten. Genauso kann aber auch aus unserer Scham und unserer Verzweiflung Energie erwachsen, denn nur wenn wir aus unseren Misserfolgen Lehren ziehen, wenn wir unsere Fehler analysieren und korrigieren und nach Wegen suchen, sie zu vermeiden, gelingt es uns, die Scham zu überkommen, die Verzweiflung abzulegen.
Unsere persönlichen Erfolge, die wir mit unseren Freunden feiern und mit unseren Familien, zählen im Mindesten genauso wie die großen gesellschaftlichen oder politischen Erfolge auf großer Bühne – womöglich sind die privaten Erfolge sogar die wichtigeren, die wertvolleren. Oft ist es die Anonymität des Alltags, das Verschwinden in der Masse der Vielen, das es uns leicht macht, die Scham einer Niederlage abzulegen und unsere persönliche Verantwortung oder Schuld zu leugnen, auch vor uns selbst. Kollektive Schuld und Verantwortung sind ebenso schwer zu erfassen und anzunehmen, wie sie es dem Einzelnen erleichtern, sich aus ihnen fortzustehlen.
Millionen Menschen waren im zu Ende gehenden Jahr auf der Flucht, Millionen lebten in Lagern und in Slums, Millionen hungerten, Millionen starben frühzeitig, weil sie keinen Zugang zu notwendiger medizinischer Versorgung erhielten. Im Jemen wütet ein ebenso grausamer wie sinnloser Krieg, unter dem die Zivilbevölkerung, Frauen und Kinder besonders leiden. Wir sind so abgestumpft, dass uns die apokalyptischen Bilder ausgemergelter, verhungernder Kinder, wenn überhaupt, ein ratloses Achselzucken entlocken. Wo bleibt hier unsere Scham, unsere Verzweiflung? Syrien, Libyen, Tschad, Zentralafrikanische Republik, Kamerun, Afghanistan, Irak, Myanmar, Guatemala, Nicaragua und immer wieder der Kongo!
Das Problem ist nicht irgendein vermeintlich „dunkler“ Kontinent, nicht irgendeine extremistische Religion, nicht irgendeine fehlgeleitete Ideologie, nicht Grenzen sind das Problem, nicht Völker oder Ethnien, nicht Kriege. Das Problem sind die Menschen, die Ideologien und Religionen dazu missbrauchen, andere Menschen auszugrenzen und herabzuwürdigen, das Problem sind die Menschen, die eine Ethnie gegen eine andere ausspielen, die Völkern, Nationen oder Ländern einen Wert zusprechen oder beimessen, während sie anderen ihre Wertschätzung und ihren Respekt versagen, das Problem sind die Menschen, die gierig sind und in ihrer Habgier die Rechte der anderen missachten oder vergessen, das Problem sind Menschen, die Gewalt ausüben und Kriege führen.
Es mag paradox klingen, aber genau diese Menschen, die das Problem sind, die die Probleme hervorbringen und immer weiter verschärfen, sind auch die Lösung. Die Menschen, nur wir gemeinsam, können die Probleme lösen, denn es sind allein unsere Probleme, und eine Lösung dieser Probleme ist in unserem ureigensten Interesse.
Es geht nicht um Mitleid oder Almosen oder Hilfe, sondern es geht um Gerechtigkeit. Die Menschen, die Teil der Lösung sein müssen, wir alle, sind jedoch grundverschieden. Wir haben unterschiedliche Kulturen und Vorstellungen, unterschiedliche Präferenzen und Werte, unterschiedliche Ansichten, Ideen, Ziele und Pläne. Und so wird es uns nicht gelingen, eine Welt zu entwerfen und aufzubauen, die alle Menschen als gut und gerecht und richtig anerkennen. Es werden Widersprüche verbleiben, Unzufriedenheiten und Unzulänglichkeiten, die wir aushalten müssen.
Was uns aber gelingen kann, was uns gelingen muss, ist eine Welt, in der jeder die Möglichkeit der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit bekommt, in der jeder ein Recht auf Bildung und Gesundheitsversorgung hat, in der jeder frei leben und sprechen kann, in der jeder die gleichen Rechte hat und diese wahrnehmen kann. Der Weg dorthin wird weit und beschwerlich und er wird nur gelingen, wenn wir miteinander sprechen, wenn wir diskutieren, uns streiten, wenn wir versuchen, einander zu verstehen, wenn wir Ideen austauschen, übernehmen, ablehnen und verwerfen, wenn wir einander zuhören.
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