Vom Arztdasein in Amerika

Vom Arztdasein in Amerika

Das Staatsexamen wurde 2007 abgelegt, und nicht nur die Frage der Fachrichtung, sondern auch die des Arbeitsortes musste beantwortet werden. Nachdem das Assistenzarztdasein in Frankreich und Deutschland ausprobiert wurde, ging es nach Minneapolis im Jahr 2009. Es schreibt Dr. Peter Niemann über seine Ausbildung zum Internisten (sowie der Zeit danach) und über die Alltäglichkeiten, aber auch Skurrilität eines Arztlebens in USA.

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Vom Arztdasein in Amerika

Fordernde Angehörige

Montag, 4. Februar 2019

Der Arzt ist ein Dienstleister, so wird es meinen Kollegen und mir andauernd eingetrichtert. Wir bieten eine Ware an (Gesundheit beziehungsweise Gesundheitswiederherstellung), und ein Klient bezahlt uns für diese Ware, so zumindest die Theorie. Daraus erwächst die Notwendigkeit, den Klienten höflich, zuvorkommend und angebotsorientiert gegenüberzutreten, eben wie man es von einem Verkäufer oder Kellner erwartet. Gerade jüngere Patienten beziehungsweise ihre Angehörigen fordern solch ein Verhalten auch ein.

Hier nun das Szenario: Eine Frau Ende 80 wird vom in der Nacht vom Arzt aufgenommen. Sie ist als Folge einer Darmblutung kurz ohnmächtig geworden, was im Rahmen der internistischen Arbeit eine Routineabklärung ist. Schnell ist das verantwortliche Medikament für die Darmblutung gefunden, die Behandlung wird symptomorientiert ausgerichtet und etwaige gefährliche andere Möglichkeiten für die Bewußtlosigkeit werden abgeklärt und ausgeschlossen.

All das wird von mir im Laufe des Tages gemacht, und ich ich treffe mich mit der Patientin und den Angehörigen insgesamt dreimal, um all das zu besprechen. Bezahlt wird übrigens ein Arzt beziehungsweise das Krankenhaus nur für eine einmal am Tag stattfindende Patienten- und Angehörigenbesprechnung – die zwei anderen Treffen sind sozusagen Höflichkeitsgesten.

Im Laufe der nächsten zwei Tage beginnen sich die Fragen zu wiederholen, und immer mehr Tests werden eingefordert. Ich willige ein, ordne teure und aus meiner Sicht unnötige radiologische Untersuchungen (Computertomografie des Beckens, des Bauches und des Brustkorbes) an, bitte meinen chirurgischen Kollegen, eine Magen­spiegelung zu machen, und messe allerlei aus meiner Sicht ebenfalls unnötige Blutwerte. Alle Tests zeigen übrigens die erwarteten und von mir vorausgesagten Ergebnisse, nämlich nichts.

Das ist Medizin in den USA: Patienten und Angehörige fordern und als Arzt gibt man (meistens) nach.

Dennoch sind die Angehörigen unzufrieden, wollen mich jeden Tag nicht nur lange, sondern mehrmals sprechen und nehmen mehr als eine Stunde meiner Zeit in Anspruch, was angesichts anderer kranker Patienten eine zeitliche Belastung darstellt. Ich werde sogar einmal nach Dienstschluss ins Krankenhaus gerufen, um Details der Therapie zu erörtern, gebe diesem Ansinnen nach, weil wir Ärzte ja Dienstleister sein sollen.

Am vierten Tag des Krankenhausaufenthaltes – der Patientin geht es sehr gut, trotzdem fühlt sie sich noch nicht bereit, nach Hause zu gehen – platzt mir der Kragen, und in gefasstem, aber direkem Ton erkläre ich einer weiteren Tochter, dass ich es leid bin, meine Antworten und Informationen zum x-ten Mal wiederholen zu müssen.

Was nun folgt, ist typisch für die amerikanische Mentalität: Es wird mir vorgeworfen, ein schlechter Arzt zu sein, einen schlechten Kommunikationsstil zu haben, und mir werden nicht nur juristische Klagen, sondern auch eine Beschwerde bei der Ärztekammer angedroht.

Es kommt, wie es fast immer kommt: Ich schlucke meinen Stolz hinunter, entschul­dige mich, gebe der Tochter recht und setze mich zum nun vierten Gespräch des Tages hin und gehe die Details des stationären Aufenthaltes zum wiederholten Mal durch. Diese klientenbasierte Theorie wurde am Reißbrett entwickelt und nicht gut durchdacht, wie ich mir zum wiederholten Mal sage. Aber zum Glück übernimmt meine Kollegin am nächsten Tag und kann sich dann um die Familie und Patientin kümmern.

Kommentare

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Avatar #749292
bluedreams54
am Montag, 4. Februar 2019, 20:32

In Deutschland auch

Procedere im KH nach Patientenbeschwerdrn die zuweilen hanebüchen sind: schreiben von Ablaufschilderungen an dad Beschwerdemanagement mit Druckaufbau den MA ggü. und dann eine zeitraubende Konferenz bzgl. Aufarbeitung. Dies ist zuweilen notwendig wird aber bei jedweder Beschwerde durchgeführt. In dieser Zeit könnt effektive Therapie und Gespräche mit Patuenten und Angehörigen durchgeführt werden. Dabei stellt sich insgesamt folgendes Bild dar: hochanspruchsvolle Patienten und noch anspruchsvollere Angehörige, die unzählige Maßnahmen zur Abklärung fordern. Sowie jederzeitige Ansprechbarkeit des Arztes. Es ist tlw eine echte Zumutung. Und ich spreche nicht von Privatpatienten, bei denen man dies noch am ehesten erwarten könnte.
Avatar #102888
rkubina
am Montag, 4. Februar 2019, 18:03

Gottseidank...

da bin ich nur froh, in good old Germany zu arbeiten und das als niedergelassener Allgemeinmediziner, da kann so etwas zwar auch ansatzweise vorkommen, doch brauche und werde ich solche Eskapaden sicherlich nicht über mich ergehen lassen! Dafür verdiene ich dann lieber halt eventuell etwas weniger...!
LNS

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