Vom Arztdasein in Amerika
Fordernde Angehörige
Montag, 4. Februar 2019
Der Arzt ist ein Dienstleister, so wird es meinen Kollegen und mir andauernd eingetrichtert. Wir bieten eine Ware an (Gesundheit beziehungsweise Gesundheitswiederherstellung), und ein Klient bezahlt uns für diese Ware, so zumindest die Theorie. Daraus erwächst die Notwendigkeit, den Klienten höflich, zuvorkommend und angebotsorientiert gegenüberzutreten, eben wie man es von einem Verkäufer oder Kellner erwartet. Gerade jüngere Patienten beziehungsweise ihre Angehörigen fordern solch ein Verhalten auch ein.
Hier nun das Szenario: Eine Frau Ende 80 wird vom in der Nacht vom Arzt aufgenommen. Sie ist als Folge einer Darmblutung kurz ohnmächtig geworden, was im Rahmen der internistischen Arbeit eine Routineabklärung ist. Schnell ist das verantwortliche Medikament für die Darmblutung gefunden, die Behandlung wird symptomorientiert ausgerichtet und etwaige gefährliche andere Möglichkeiten für die Bewußtlosigkeit werden abgeklärt und ausgeschlossen.
All das wird von mir im Laufe des Tages gemacht, und ich ich treffe mich mit der Patientin und den Angehörigen insgesamt dreimal, um all das zu besprechen. Bezahlt wird übrigens ein Arzt beziehungsweise das Krankenhaus nur für eine einmal am Tag stattfindende Patienten- und Angehörigenbesprechnung – die zwei anderen Treffen sind sozusagen Höflichkeitsgesten.
Im Laufe der nächsten zwei Tage beginnen sich die Fragen zu wiederholen, und immer mehr Tests werden eingefordert. Ich willige ein, ordne teure und aus meiner Sicht unnötige radiologische Untersuchungen (Computertomografie des Beckens, des Bauches und des Brustkorbes) an, bitte meinen chirurgischen Kollegen, eine Magenspiegelung zu machen, und messe allerlei aus meiner Sicht ebenfalls unnötige Blutwerte. Alle Tests zeigen übrigens die erwarteten und von mir vorausgesagten Ergebnisse, nämlich nichts.
Das ist Medizin in den USA: Patienten und Angehörige fordern und als Arzt gibt man (meistens) nach.
Dennoch sind die Angehörigen unzufrieden, wollen mich jeden Tag nicht nur lange, sondern mehrmals sprechen und nehmen mehr als eine Stunde meiner Zeit in Anspruch, was angesichts anderer kranker Patienten eine zeitliche Belastung darstellt. Ich werde sogar einmal nach Dienstschluss ins Krankenhaus gerufen, um Details der Therapie zu erörtern, gebe diesem Ansinnen nach, weil wir Ärzte ja Dienstleister sein sollen.
Am vierten Tag des Krankenhausaufenthaltes – der Patientin geht es sehr gut, trotzdem fühlt sie sich noch nicht bereit, nach Hause zu gehen – platzt mir der Kragen, und in gefasstem, aber direkem Ton erkläre ich einer weiteren Tochter, dass ich es leid bin, meine Antworten und Informationen zum x-ten Mal wiederholen zu müssen.
Was nun folgt, ist typisch für die amerikanische Mentalität: Es wird mir vorgeworfen, ein schlechter Arzt zu sein, einen schlechten Kommunikationsstil zu haben, und mir werden nicht nur juristische Klagen, sondern auch eine Beschwerde bei der Ärztekammer angedroht.
Es kommt, wie es fast immer kommt: Ich schlucke meinen Stolz hinunter, entschuldige mich, gebe der Tochter recht und setze mich zum nun vierten Gespräch des Tages hin und gehe die Details des stationären Aufenthaltes zum wiederholten Mal durch. Diese klientenbasierte Theorie wurde am Reißbrett entwickelt und nicht gut durchdacht, wie ich mir zum wiederholten Mal sage. Aber zum Glück übernimmt meine Kollegin am nächsten Tag und kann sich dann um die Familie und Patientin kümmern.
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